Dienstag, 29. Mai 2007

Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur bezeichnet all jene literarischen Werke, die zielgerichtet für Kinder und Jugendliche als Leser geschrieben oder überarbeitet werden. Sie sollen zum einen durch altersgerechte Aufbereitung die Wahrnehmung von Umgebung, Gesellschaft und Welt fördern, zum anderen auch der Unterhaltung dienen. Einige dieser Werke werden nur zur Unterhaltung geschrieben.

Geschichte
Anfänge
Die erste Kinder- und Jugendliteratur bestand in „erwachsenen“ Stoffen, die im Hinblick auf eine jüngere Leserschaft bearbeitet waren. So sind aus der Antike entsprechende Fassungen von Homers „Ilias“ bekannt.
Im Mittelalter dienten die Fabeln von Äsop als Kinder- und Jugendliteratur, besonders im schulischen Bereich (der damals im wesentlichen auf Klosterschulen beschränkt war). Es ist davon auszugehen, dass Kinder dort auch mit Werken wie der Bibel in Berührung kamen. Diese waren zunächst in lateinischer, später auch in der örtlichen Sprache abgefasst. Ab der Renaissance studierten einige Kinder zusammen mit ihren Eltern oder Religionslehrern religiöse Literatur.
Die Erfindung des Buchdrucks Mitte des 15. Jahrhunderts erleichterte den Zugang der Bevölkerung – darunter auch den Kindern – zur Literatur. In den 1480er Jahren veröffentlichte William Caxton eine Reihe von Kinderbüchern. Diese stellten einen lukrativen Markt dar, da Kinder dazu neigten, Bücher rasch zu zerstören. Mit dem Buchdruck waren auch immer mehr Menschen in der Lage, zu lesen. Ein Großteil der ersten speziell für Kinder gedruckten Werke waren Lernhilfen wie etwa Hornbücher.
In den 1580er Jahren erschienen zahlreiche günstige, oft minderwertige Bücher, die von Hausierern vertrieben und später auch „Volksbücher“ genannt wurden. Einige Historiker halten das 1658 vom Tschechen Johann Amos Comenius veröffentlichte Werk zum Lateinunterricht Orbis Sensualium Pictus für das erste Bilderbuch für Kinder. In den 1750er Jahren kamen nur wenige Seiten umfassende Hefte unterschiedlichen Inhalts aus Pappe auf den Markt, die oft Gebete sowie ein mit Holzschnitten illustriertes ABC enthielten. Diese Buchform war bis Mitte des 19. Jahrhunderts populär. Bekannt wurde der vom englischen Buchverkäufer und Autor anti-katholischer Verse Benjamin Harris verfasste New England Primer, der zum weitverbreitetsten Schulbuch Amerikas wurde.
Ab dem 18. Jahrhundert erschienen jugendgerechte Umarbeitungen erzählender Werke, wie Defoes „Robinson Crusoe“ (bearbeitet durch J. H. Campe, 1719), Coopers „Lederstrumpf“-Erzählungen, Swifts „Gullivers Reisen“ (1726), Melvilles „Moby Dick“ u. a., die durch ihre aufregende Handlung und Exotik bestachen. Allerdings waren vor dem 19. Jahrhundert Romane selten bebildert.
Moralistische Werke
Im 17. und 18. Jahrhundert veröffentlichten Puritaner in England und Amerika Kinderbücher, die von protestantischer Ethik geprägt waren. Da die Kindersterblichkeit damals sehr hoch war – nur jeder zweite Mensch erreichte das Ewachsenenalter –, lag der erzieherische Sinn der moralistischen Kinderliteratur vor allem in der Vorbereitung der Kinder auf ihren Tod und der Vermeidung der Höllenverdammnis. Ein Beispiel puritanischer Kinderliteratur ist James Janeways A Token for Children (1671?), das eine Reihe von „Geschichten beispielhafter Lebensführung und freudvoller Todesfälle kleiner Kinder“ enthält. Es war bis Mitte des 19. Jahrhunderts in England und seinen Kolonien weit verbreitet. Die Todesfurcht der Kinder wurde auch durch präzise Beschreibungen der Höllenqualen und durch das Zeigen von Leichen und öffentlichen Hinrichtungen gefördert.
Isaac Watts’ 1715 veröffentlichte Divine Songs Attempted in Easy Language for the Use of Children milderten die makabre Erzählweise und waren freundlicher gehalten. Seine Verse waren weiterhin Ausdruck der im 18. Jahrhundert verbreiteten Sichtweise, dass Kinder kleine Erwachsene von immanent boshaftem Wesen seien. Watts’ Lieder waren bis ins späte 19. Jahrhundert als Übungen zum Auswendiglernen geschätzt.
Abkehr von der erzieherischen Botschaft
Einige der ersten Kinderbücher, die neben einer rein erzieherischen Botschaft auch Unterhaltungswert hatten, wurden von John Newbery in den 1740er Jahren veröffentlicht; allerdings schrieb bereits einige Jahre zuvor Thomas Boreman seine Gigantick Histories.
Dennoch prägten moralistische Wertvorstellungen bis ins späte 19. Jahrhundert weiterhin – auch im deutschsprachigen Raum – viele Kinderbücher, obwohl ab Mitte des 18. Jahrhunderts die rein religiöse Botschaft immer mehr von dem von Locke und Rousseau propagierten rationalen Moralismus, bei dem die erzieherische Botschaft in raffiniert ausgearbeiteten Geschichten versteckt wird, verdrängt wurde. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden auch reine Fantasie- und Abenteuergeschichten immer mehr als Kinderliteratur akzeptiert. 1893 erschien in Deutschland erstmals die Jugendschriften-Warte, eine Publikation der Vereinigten Prüfausschüsse, die neu erschienene Kinder- und Jugendbücher beurteilten und Listen empfehlenswerter Bücher herausgab. Diese Publikation hatte in Deutschland sehr weitreichenden Einfluss, was als lesenswerte Literatur galt. Gegen Ende der Weimarer Republik betrug die Auflage der Publikation fast 200.000 Exemplare und war Beilage fast aller Lehrerzeitungen. In ihren Empfehlungslisten legte die Prufungsausschüsse sehr traditionelle Bewertungskriterien von Kunst und Kindertümlichkeit als Maßstab an. Weit verbreitete Bücher wie etwa die Trotzkopf-Reihe der Emmy von Rhoden, die Publikation der Thekla von Gumpert oder die Nesthäkchen-Serie von Else Ury galten als verderblicher Schund.
Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter (1845) war eines der ersten und auch eines der erfolgreichsten Kinderbücher, die vom Autor selbst illustriert wurden. Auch wenn – oder gerade weil – die erzieherische Botschaft deutlich zu erkennen ist, weisen die grotesk überzeichneten Illustrationen und Texte eine ganz eigene Komik auf, die jedoch teilweise nicht wahrgenommen wurde.
Historiker sind sich darin einig, dass Lewis Carrolls Geschichten von Alice im Wunderland (1865) als erste vollständig frei von moralistischer Botschaft sind. Interessanterweise parodierte Carroll in seinem Werk Watts’ Verse. Im selben Jahr wie Alice erschienen Wilhelm Buschs satirische Max und Moritz-Geschichten. Die nunmehr zunehmend in Vergessenheit geratenden Geschichten zur moralischen Erbauung wurden auch weiterhin vereinzelt parodiert, etwa von Hilaire Belloc (Cautionary Tales, 1907).
Moderne Werke
Überholt ist die Ansicht, Kinder- und Jugendbücher hätten auf bestimmte Themen zu verzichten, da sie sich nicht altersgerecht darstellen ließen. Vielmehr umfasst die Spanne dieselbe Bandbreite wie in der Literatur für Erwachsene. Auch besteht ein immer größeres Bedürfnis der Kinder und Jugendlichen danach, in Büchern all die gesellschaftlichen und sozialen Themen wieder zu finden, mit denen sie selber konfrontiert sind. Sie möchten auch als Leser ernst genommen werden. Deshalb finden sich in der Literatur Themen Tod (Jutta Bauer: Opas Engel; Jutta Richter: Hechtsommer), Selbstmord (Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werthers), Ausländerfeindlichkeit (Tahar Ben Jelloun: Papa, was ist ein Fremder?), Behinderungen (Rodman Philbreak: Freak), Scheidung der Eltern (Anne Fine: Familien-Spiel) oder der Kampf um Selbstbestimmung (Bali Rai: Bloß (k)eine Heirat).
Zu den Autoren, die immer wieder kontronverse Bücher veröffentlichen und gerade die von der Gesellschaft vielfach schon verloren gegebenen Jugendlichen im Blick haben, gehört Morton Rhue. Aus seinem Werk ragt vor allem der auf tatsächlichen Ereignissen basierende Roman Die Welle heraus, das bekannteste Buch über Rechtsradikalismus unter Jugendlichen. Es bildete auch die Vorlage für ein von Reinhold Tritt verfasstes Thaterstück.
Selbstverständlich finden nicht nur diese engagierten, von der Literaturkritik und Pädagogen als "wertvoll" geschätzten Bücher ihr begeistertes Publikum. Vielfach wird dieser Anspruch als aufgesetzt empfunden und deshalb abgelehnt. Kinder und Jugendliche lesen deshalb häufig reine Unterhaltungsgeschichten wie die Reihen Die wilden Hühner von Cornelia Funke oder Der MädchenHasserClub von Christian Bienek. Sehr beliebt sind vor allem spannende Reihen wie die Gänsehaut- Bücher von R. L. Stine, die von Alfred Hitchcock inspirierten Die drei ??? oder die schon etwas älteren Fünf Freunde von Enid Blyton. Auch dies kann dabei helfen, einen eigenständigen Geschmack zu entwickeln.
Buchtypen
Allgemein
Auch wenn im Gefolge der sehr umfänglichen und sehr erfolgreichen Harry-Potter-Bände so manches Kinder- oder Jugendbuch immer öfter als Roman gehandelt wird, ist die übliche Gestaltungsform in der Kinder- und Jugendliteratur die Erzählung. Insbesondere für Kinder unter 12 Jahren werden in der Hauptsache Titel verfasst, die aus einer Perspektive die Erlebnisse und Erfahrungen einer Identifikationsfigur oder -gruppe zumeist in einem überschaubaren Zeitabschnitt in chronologischer Abfolge abbilden - dass diese Form durchaus anspruchs- wie gehaltvolle Werke zeitigen kann, beweist u.a. Jutta Richter mit ihren preisgekrönten Erzählungen für Kinder Der Tag, als ich lernte die Spinnen zu zähmen oder auch Der Hund mit dem gelben Herzen. Demgegenüber stehen Buchtitel mit funktionaler Ausrichtung wie die sogenannten Erstlesebücher, deren Geschichten sehr knapp gehalten und in kurzen Sätzen erzählt werden, um das Lesen zu erleichtern. Als Faustregel kann gelten: Je jünger die angesprochene Zielgruppe ist, desto mehr Bilder illustrieren ein Kinderbuch. Auch die Seitenzahlen für die jeweiligen Altersgruppen unterliegen mittlerweile einer gewissen Gesetzmäßigkeit. So weisen Bilderbücher für Kinder bis 6 Jahren in der Regel zwischen 24 und 48 großformatige Seiten auf, in denen naturgemäß die Illustrationen mehr Raum einnehmen als der Text. Illustrierte Bücher für Kinder zwischen 6 und 9 Jahren variieren zwischen 64 und 96 Seiten, um dann für die Kinder von 11 Jahren auf ca. 180 Seiten und mittlerweile auch darüber hinaus anzuwachsen.
Jugendromane
Jugendromane sind Bücher für eine jugendliche Zielgruppe. Themen sind Dinge, die für Jugendliche relevant sind, wie Schule, Liebe und Verliebtheit, Sport und andere Freizeitbeschäftigungen, aber auch Drogen, Klamotten, Familienleben mit Familienkrisen, der Prozess des Erwachsenwerdens etc. Ein besonderes Merkmal solcher Bücher ist, dass die Hauptpersonen meist Jugendliche sind, zum Beispiel in Büchern wie Tintenherz, Harry Potter und diversen anderen.
Die Grenzen zur (Erwachsenen-) Literatur sind beim Kinder- und Jugendbuch zunehmend fließend. Richteten die Werke von Jules Verne, Karl May oder Jonathan Swifts „Gullivers Reisen“ sich zur Zeit ihres Entstehens noch vorwiegend an Erwachsene, gelten sie heute als Jugendliteratur.
Die früher gebräuchlichen strikten Differenzierungen der verschiedenen Zielgruppen, für die ein Roman als geeignet angesehen wird, verschwimmen immer mehr. Dies liegt zum einem daran, dass Kinder immer früher die Reife vorausgehender Generationen erreichen, aber auch daran, dass immer mehr Autoren wie Joanne K. Rowling, Cornelia Funke oder Walter Moers mit ihren vor allem an Jugendliche gerichteten Geschichten zunehmend auch Erwachsene als Leser erreichen. Daneben schreiben renommierte Schriftsteller wie Per Olov Enquist, Isabel Allende, Henning Mankell, Paula Fox oder Joyce Carol Oates für eine jugendliche Leserschaft.
Für Kinder- und Jugendromane gibt es keine Schranken hinsichtlich der Genres, in denen ihre Geschichten erzählt werden. Dies reicht vom Bilderbuch, Märchen und Lyrik über Fantasy, Krimi, Liebesgeschichten und Historienroman bis zum Sachbuch und Comic.
Autobiographien
Ein bedeutender Zweig der (Erwachsenen-) Literatur sind des Weiteren Schilderungen von (autobiographischen) Jugenderlebnissen, in denen Literaten sich selber oder fiktive Charaktere beschreiben, um eine zurückliegende Zeit und den dahinter stehenden Reifeprozess zu behandeln. Dieses ist für gleichaltrige Leser aus nahe liegenden Gründen interessant, auch wenn Handlung und Stil nicht an jugendliche Lesebedürfnisse angepasst sind. Reale Beispiele hierfür Imre Kertesz’ “Roman eines Schicksallosen“,„Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque, „Ein Porträt des Künstlers als junger Mann“ von James Joyce oder „Die Kindheit eines Chefs“ von Jean-Paul Sartre, literarische Darstellungen fiktiver Coming of Age-Geschichten sind William Goldings „Herr der Fliegen“ oder Sven Regeners „Neue Vahr Süd“.
Häufig erzählten Schriftsteller ihren jungen Leser ihre eigene Kindheit. Hierzu gehören Erich Kästner (Als ich ein kleiner Junge war), Uri Orlev (Die Bleisoldaten), Renate Welsh (Dieda oder Das fremde Kind) und Roald Dahl (Boy. Schönes und Schreckliches aus meiner Kinderzeit). Marjaleena Lemcke verfasste mehrere Romane über ihre Kindheit und Jugend in Finnland- in Als die Steine noch Vögel waren erinnert sie sich an ihren kleinen Bruder Pekka, den viele für sonderbar hielten. Astrid Lindgrens Autobiographie Das entschwundene Land war das einzige Buch, mit dem die beliebte Autorin sich vorwiegend an eine erwachsene Leserschaft richtete.
Einen Sonderfall stellt Das Tagebuch der Anne Frank dar, denn die Autorin war selber noch Jugendliche. Lara Cardella klagte in dem autobiographischen Roman Ich wollte Hosen, den sie als 19-Jährige verfasste, den Chauvinismus und die Rückständigkeit an, die noch heute in Sizilien vorherrschen. Susan E. Hinton verfasste den Roman Die Outsider 1967 im Alter von 16 Jahren und ließ sich dabei von Ereignissen in ihrer Heimatstadt inspirieren. Hannah Green beschrieb in Ich hab Dir nie einen Rosengarten versprochen ihre eigenen Aufenthalt als Teenager in einer "Irrenanstalt" der 60er Jahre. Die von Per Olov Enquist geschilderten Erlebnisse eines Großvaters mit seinen Enkeln basieren auf tatsächlichen Erlebnissen Enquists (Titel: Großvater und die Wölfe).
Bilderbücher
Ab 1830 kennt man in Deutschland den Begriff Bilderbuch als eine Buchform nur für Kinder. Die beiden ersten großen Erfolge stellen Struwwelpeter von Heinrich Hoffmann sowie Max und Moritz von Wilhelm Busch dar, die mitunter auch als Vorläufer der Comics angesehen werden.
Bilderbücher können bereits für Kleinstkinder entworfen werden.
Sie stellen zumeist den ersten Einstieg für Kleinstkinder dar, ohne dass damit Geschichten verbunden sein müssen. Bilder, in denen etwa anhand bestimmter Motive (Seefahrt, Zoo, Stadt) alle möglichen Szenen zusammengeführt werden, in denen die Kinder dann selber mögliche Geschichten zu den Bildern erfinden können, zeigen sogenannte Wimmelbücher-Das Wimmelbilderbuch ist eine spezielle Form des Bilderbuchs.
Charakteristisch ist das im Verhältnis zu anderen Bilderbüchern große Format. Häufig werden Formate größer als A 4 gewählt. Auf den sich dann im Buch meist doppelseitig erstreckenden Bildern wimmelt es von detailliert dargestellten Menschen, Tieren und Dingen, woraus sich der Name der Bilderbuchart ergibt. Innerhalb eines Bildes werden dutzende kleine Alltagsszenen dargestellt, die miteinander durch die gemeinsame Umgebung, wie zum Beispiel einen Zoo, eine Stadt oder einen Bauernhof, verbunden sind.
Wimmelbilderbücher richten sich an Kinder ab circa 18 Monate. Da es immer wieder Neues zu entdecken gibt, erfreuen sie sich bei Kindern und Eltern großer Beliebtheit. Die dargestellten Alltagsszenen ermöglichen beim gemeinsamen Betrachten einen regen Austausch zwischen Erwachsenen und Kindern über die dargestellten Situationen.
Bekannte Autoren von Wimmelbilderbüchern sind zum Beispiel Ali Mitgutsch, Rotraut Susanne Berner und Eva Scherbarth.
Als die Väter der Wimmelbilder gelten Pieter Brueghel der Ältere und Hans Jürgen Press.). Bekannteste Zeichner dieser Bilderbuchform sind Ali Mitgutsch und Rotraut Susanne Berner.
Typisch für die Verwendung einer Klapp- Zieh und Dreh- Technik zur Aufdeckung versteckter Bilder ist etwa Norman Messengers Buch "Stell Dir vor...", in der Kinder aufgefordert werden, das scheinbar Offensichtliche zu hinterfragen. Wie Messenger, der Motive von Rene Magritte oder Giuseppe Arcimboldo aufgreift, sind bei Mario Giordanos Augenreise- Büchern ganze klassische Bilder von Monstern oder Tieren abgebildet, um Menschen dieser Altersklasse an Kunst heranzuführen.
Daneben gibt es Bücher, in denen zumeist anhand an Gedichten und Bildern die Sprachkompetenz der Kleinen geschärft werden soll. Sehr erfolgreich in dieser Sparte ist etwa Nadia Budde, deren Bücher Titel tragen wie "Eins, zwei, drei, Tier" oder "Trauriger Tiger toastet Tomaten".
Eher selten haben sie Handlungen wie Die kleine Raupe Nimmersatt von Eric Carle. Für etwas größere Kinder ist das Buch Wo die wilden Kerle wohnen von Maurice Sendak, dessen letzte Geschichte Brundibár auf der gleichnamigen, im KZ Theresienstadt aufgeführten Kinderoper beruht. Gerade letzte Geschichte, die von Mut und Hoffnung handelt, beweist, dass auch diese Bücher den kleinen Lesern einen Blick in die Welt ermöglichen können, ohne sie zu überfordern.
Verschiedene Bildergeschichten (Pettersson und Findus von Sven Nordqvist und Hans de Beers Der kleine Eisbär) wurden bereits erfolgreich für Fernsehserien und Kinofilme adaptiert, wodurch wiederum die Verkaufszahlen der Bücher stiegen.
Comics
Obwohl der Comic sich mittlerweile zu einer eigenständigen Kunstrichtung entwickelt hat, gilt er vielen immer noch als anspruchsloses Massenprodukt für Kinder und Jugendliche.
Die meisten Serien haben zwar vor allem junge Leser, ohne aber deren Lebenswirklichkeit abzubilden und obwohl mitunter erst Erwachsene ihre Vielschichtigkeit und Doppeldeutigkeit erkennen. Tim und Asterix, Donald Duck und Clever & Smart, Prinz Eisenherz und Superman sind allesamt in den Geschichten (junge) Erwachsene, deren Abenteuer von Menschen jeden Alters gelesen werden, was auch daran liegt, dass viele Zeichner ihre Serien über Jahrzehnte fortführen und von den erwachsenen Kindern weiter gelesen werden. Diese erkennen zum Teil erst beim späteren Wieder- Lesen geschichtliche und kulturelle Hinweise, die sie als Kinder nicht entschlüsseln konnten, ohne dadurch weniger Spaß zu haben.
Gerade Kinder mögen auch Fantasie-Gestalten wie Die Schlümpfe oder vermenschlichte Tiere (Bewohner von Entenhausen).
Auch gestatten Reihen wie Percy Pickwick und Valerian und Veronique es Kindern, Krimi, Spionage- und Sciencefiction- Handlungen mitzuerleben, für deren Filmversionen sie zu jung wären.
Kinder waren schon früh Protagonisten in Cartoonstrips, die in Zeitungen abgedruckt wurden. Little Nemo und The Yellow Kid richteten sich aber zu aller erst an Erwachsene, die die Käufer waren. An Kinder richteten sich vor allem die pädagogisch orientierten Max und Moritz Wilhelm Busch'.
Erst allmählich änderte sich dieses. Die Peanuts, Mafalda und Calvin und Hobbes können von Kindern gelesen werden, ohne dass diese freilich das Examplarische und Hintersinnige an den Bildergeschichten erkennen. Mafalda etwa steckt voller Hinweise auf die damals in Argentinien herrschende Militärdiktakur sowie den Kalten Krieg.
Kinderfiguren wie Benni Bärenstark bilden aber nur eingeschränkt realistisch die Lebenswirklichkeit ab. Mit den Beschränkungen dieser Lebensphase muss sich der mit Superkräften ausgestattete Junge nicht abgeben. Der kleine Spirou gewinnt der neuen Perspektive einige reizvolle Elemente gegenüber der Hauptserie ab. Kinder wollen aber auch in erster Linie unterhalten werden, die Geschichten sollen positive, heitere Tendenzen aufweisen. Baru verfasste mit seiner mehrbändigen witzigen Geschichte Die Sputnik-Jahre eine in den 60ern angesiedelte Mischung aus Der kleine Nick und Der Krieg der Knöpfe, der seine kleinen Helden ernst nimmt, aber auch erwachsenen Ansprüchen genügt. Titeuf ist wegen seines ätzenden Witzes eher für Jugendliche gedacht.
Diese können sich an den komischen Erlebnissen von Jeremy Schulze in dem Cartoon Zits und Werner erfreuen, der mit seinen Biker-Freunden erfolgreich gegen sämtliche Autoritätspersonen der Welt opponiert. Spider-Man war der erste jugendliche Superheld und schlug sich zwischen seinen Abenteuern mit Teenager-Problemen wie Selbstzweifeln und Anpassungsdruck herum. Die X-Men sind junge Mutanten und besuchen die Schule von Professor Charles Xavier, von der aus sie den Kampf gegen das Böse in der Welt aufnehmen. Bis dahin sollten allenfalls jugendliche Sidekicks (wie Robin bei Batman) für die Identifikation der Leser sorgen. Ansonsten waren die Nebenfigur so ausgestaltet, dass sie zwar erwachsen waren, sich aber infantil verhielten (Obelix in Asterix und Obelix, Käptain Haddock in Tim und Struppi, Tunichtgut in Isnogud). Die Jugendabenteuer von Leutnant Blueberry hingegen lassen nicht erkennen, dass der Western-Held mit Pubertät zu kämpfen gehabt hätte.
Insgesamt sind im Westen Comicserien über Kinder und Jugendliche eher selten. Im Anime- Bereich, dem produktivsten des Genres, werden zumeist den jugendlichen Konsumenten gleichaltrige Helden präsentiert.
Dagegen erzählten zuletzt wieder häufig inhaltlich und formal anspruchsvollere Graphic Novels von der Jugend ihrer Protagonisten.
Das Leben jugendlicher Immigranten in den Vororten und ihre Konfrontation mit Rassismus, Drogenmißbrauch und sozialen Spannungen findet sich in dem explosiven Werk des Franzosen Baru. Der amerikanische Alan Moore schuf in seiner Reihe Promethea erstmals einen weiblichen Superhelden im Teenageralter.
Daneben verfassten einige Comic-Autoren auch Schilderungen eigener Erinnerungen. Marjane Satrapi und Craig Thompson geben dem Leser einen Einblick in ihre unglücklichen Jugenden, die eine im Iran vor und nach der islamischen Revolution sowie im Exil, der andere als unverstandener Sohn einer fundamentalistisch-christlichen Familie in Wisconsin, U.S.A.. Beide wurden thematisch und stilistisch beeinflusst von David B.. In dessen Reihe Die heilige Krankheit schildert der Franzose seine eigene Jugend, die von der Epilepsie-Erkrankung seines Bruders geprägt war. Für seine Erlebnisse als Kind im atombomben-zerstörten Japan findet Keiji Nakazawa in Barfuß durch Hiroshima Bilder bedrückender Intensität.
Humorvoll beschreibt hingegen Markus Witzel alias Mawil sein vielfaches Liebesleid sowie seine erfolglosen Bemühen, ein weltberühmter Musiker zu werden.
Jahrbücher
Vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ende des 20. Jahrhunderts gehörten Jahr- und Sammelbücher sowie illustrierte Jugendkalender zu den auflagenstärksten und einflussreichsten Jugendbüchern. Beispiele sind Der gute Kamerad, Das neue Universum, Der Arbeitskamerad, Wunder im Weltraum und Das große Readers Digest Jugendbuch. Diese Bücher bestanden aus einer lockeren Sammlung von kürzeren fiktiven Geschichten (darunter die ersten in Deutschland veröffentlichten Science Fiction Kurzgeschichten), naturkundlichen Sachberichten (vorwiegend über Expedition, fremde Völker, Naturwunder) und technischen Beiträgen (Lokomotiven, Schiffe, Hoch- und Tiefbau, Radio- und Fernsehtechnik).
Die erfolgreichsten Jahrbücher waren reich und sorgfältig illustriert, beinhalteten teilweise seit den zwanziger Jahren Farbtafeln und ausklappbare Explosionsdarstellungen sowie reich geschmückte, stabile Einbände. Der Schriftsatz war, damals eher unüblich, abwechslungsreich und sauber gestaltet und mehrspaltig. Wegen der aufwendigen Aufmachung waren insbesondere Der gute Kamerad und Das neue Universum preislich eher im oberen Segment angeordnet.
Altersmäßig richteten sich die meisten Jahrbücher an 10- bis 17jährige. Vor allem die technischen Beiträge sind oft derart gut recherchiert, dass sie gleichermaßen als "Anregung zum Staunen" für jüngere Kinder als auch als solide Informationsquelle für junge Erwachsene dienen können.
Waren die Bücher anfangs geschlechtsspezifisch ausgerichtet, wandten sie sich ab Mitte der 60er Jahre zunehmend gleichermaßen an Jungen und Mädchen. Die Anstrengungen, für Mädchen interessante Beiträge einzubinden, wirkten jedoch sehr bemüht und zeitigten fast keinen Erfolg.
Durch die lange Leserbindung, die mitunter ganzen Generationen überdauerte, hatten Jahrbücher einen erheblichen Einfluss auf die Interessenausprägung und moralisch-weltanschauliche Prägung der Jugendlichen des 20. Jahrhunderts. Die einflussreichsten Jahrbücher waren humanistisch-aufklärerischen Anspruchs; so erschien in Der gute Kamerad 1889 der Beitrag "Ein Plädoyer für die versklavte Menschheit" von Erich Heinemann.
Die in den fiktiven Geschichten vermittelten Tugenden beschränkten sich zumeist allgemein auf Fairness, Kameradschaft, Teamgeist und Aufgewecktheit. Ausnahme bildete Der Arbeitskamerad, der sich in der NS-Zeit vorwiegend an Lehrlinge und Werksschüler richtete und die Unterordnung unter die herrschenden Strukturen als hehres Ziel vermitteln sollte.
Nach dem Ende der des letzten Jahrbuches Das neue Universum gab es keine vergleichbare Literaturgattung für Jugendliche. Ob das schwindende Interesse an technischen Sachverhalten Ursache oder Wirkung des Jahrbuchsterbens ist, ist umstritten. Unumstritten ist, dass technisch interessierte Jugendliche beim Entdecken alter Jahrbücher im elterlichen Bücherfundus oft nicht mehr davon loszureißen sind und dass sich gerade in den letzten Jahren eine Sammlerszene etabliert.
Die Jahrbücher finden keine ihrer immensen Bedeutung angemessene Behandlung in der Literarischen Forschung. Durch den großen Anteil technischer Beiträge wurde die teilweise ausgesprochen hohe Qualität der Berichte und fiktiven Geschichten wahrscheinlich einfach übersehen. Erst durch die Entdeckung von teilweise unter Pseudonymen geschriebenen Beiträgen der ersten deutschen Science Fiction-Autoren in den 90er Jahren und die Wiederentdeckung von Karl May-Geschichten (1891 Das Vermächtnis des Inka) fanden Jahrbücher eine gewisse Würdigung in der Literaturszene.
Krimis
Um Kriminalgeschichten einigermaßen glaubwürdig erscheinen zu lassen, muss der Detektiv ein gewisses Alter erreicht haben. Nur dann kann er die hierfür nötigen kognitiven Denkarbeiten leisten. Kalle Blomquist, Emil Tischbein, die vier Ermittler von TKKG, Jan als Detektiv und Die drei ??? sind allesamt Jugendliche, lediglich die meisten Reihen von Enid Blyton (etwa Fünf Freunde, Abenteuer-Serie) drehen sich um Kinder. Die Leser hingegen können stets ältere Kinder sein.
Wolfgang Ecke verfasste neben seinen Geschichten um Perry Clifton und Balduin Pfiff in der Reihe Der Club der Detektive viele Rätselgeschichten, an deren Ende er den Leser aufforderte, den Fall selber zu lösen.
Zu den bekanntesten modernen Vertreter des Genres gehört Mats Wahl. Carl Hiassen, der zahlreiche Krimies für Erwachsene verfasste, veröffentlichte mit Eulen einen unterhaltsamen und lustigen Umweltkrimi für Jugendliche. Mickey Spillane schrieb mit Der Tag, an dem das Meer verschwand eine atemberaubende Geschichte um einen von der Ebbe freigelegten Schatz, hinter den zahlreiche Menschen her sind.
Heutzutage sind auch die unzähligen Krimis von Agatha Christie und Edgar Wallace sowie jene um Sherlock Holmes für ältere Kinder geeignet.
Liebesgeschichten
Eine Reihe von Romanen befassen sich mit der aufkeimenden Liebe junger Menschen, die sie mitunter gar nicht verstehen oder benennen können. Neugier auf das Unbekannte, Enthusiasmus, Eifersucht und eine bislang unbekannte Intensität von Gefühlen überfordert viele, deren bislang geschätzte Freundschaft sich plötzlich in etwas völlig neues und unbekanntes wandelt. Häufig entsteht auch eine Konkurrenzsituation des bisherigen besten Freundes, der plötzlich nicht mehr soviel Wertschätzung erfährt wie die neue Freundin. Als großes Problem erweist sich auch, wenn das Objekt der Begierde nicht (mehr) dasselbe empfindet und sich einem anderen zuwendet.
Ein Ausnahmefall dürfte dabei Ben sein, der Anna liebt. Er ist in dem Buch von Peter Härtling neun Jahre alt.
Zumeist sind die Protagonisten aber schon Jugendliche. Leo verknallt sich in das seltsame Stargirl und isoliert sich von seinen Freunden. Die unglückliche Liebe von Werther zu der andersweitig verlobten Charlotte erscheint ihm wie ein unerträgliches Leiden, dem er sich nur durch Selbstmord entziehen zu können glaubt. Ebenfalls tragisch endet das Theaterstück über Romeo und Julia von William Shakespeare.
Lyrik
Mit Gedichten und Poesie tun sich Kinder häufig schwer, da sie zu den meisten Texten, die häufig einer Interpretation bedürfen, nur schwer Zugang finden. Es hat sich deshalb eine eigene literarische Gattung Kinderlyrik herausgebildet, für die mittlerweile der Österreichische Staatspreis verliehen wird. Ihre bekanntesten deutschsprachigen Vertreter sind Georg Bydlinski und Josef Guggenmos, dessen Band Was denkt die Maus am Donnerstag vielleicht als der Klassiker der Gattung anzusehen ist.
Sachbücher
Ein nicht zu unterschätzendes Segment bei Kinder- und Jugendbüchern bilden Sachbücher. Diese setzen schon im frühen Kinderalter ein machen diese mit bestimmten Themen bekannt. Erfolgreich ist zum Beispiel die langlebige Reihe „Was ist Was?“.
Dahinter steckt häufig der Wunsch der Eltern, ihren Kindern auch außerhalb der Schule Wissen zu vermitteln. Aktuell haben Autoren wie Gerhard Staguhn oder die Organisatoren der Kinder-Uni sehr großen Erfolg. David Macaulay beschreibt anhand fiktiver Beispiele, wie Kathedralen oder Moscheen gebaut wurden. Peter Sís entwirft aufwendige, zum Teil assoziative Bilderbücher über Tibet oder Charles Darwin („Der Baum des Lebens“). Alois Prinz schreibt wissenschaftlich fundierte, gleichwohl spannende Biographien von Menschen wie Ulrike Meinhof (Lieber wütend als traurig), Hermann Hesse oder Hannah Arendt, die dem Leser die Besonderheiten dieser Persönlichkeiten vermitteln und, obgleich vorrangig an Jugendliche gerichtet, auch Erwachsenen viel Neues erzählen.
Manfred Mai verfasste eine Reihe vielgelobter und unterhaltsamer Geschichtsbücher, die älteren Kinder auf gar nicht trockene Weise eine Einführung geben in Deutsche Geschichte oder Weltgeschichte sowie über die der deutschen Literatur. Der Fernsehjournalist Claus Kleber stellt in Nachrichten, die Geschichte machten – Von der Antike bis heute die Ereignisse der Historie als dpa-Meldungen vor und macht sie Jugendlichen deshalb auf eine Weise erlebbar, die ihnen in der heutigen Medienwelt vertraut ist (LUCHS 233).
Zum wohl relevantesten Bereich des Sachbuchs für Kinder und Jugendliche, dem Schulbuch, siehe hier.
"Geschlechtsbezogene" Bücher
Immer noch gibt es verschiedene Buchreihen, die sich ganz speziell an Mädchen wenden. Pferdebücher etwa sind sehr beliebt bei Mädchen im frühen Teenager-Alter. In diesen Büchern geht es hauptsächlich um Mädchenfreundschaften. Dagegen existiert keine Literatur speziell für Jungen. Die erfolgreiche Reihe „Die wilden Fussballkerle“ wird auch von Mädchen gelesen.
Generell ist in Untersuchungen zum Leseverhalten von Kindern und Jugendlichen festgestellt worden, dass Mädchen durchaus bereit sind Bücher zu lesen, in denen Jungen die Hauptpersonen sind, während Jungen sich hingegen schwer damit tun, Geschichten zu lesen, deren Heldin ein Mädchen ist.
„Altersfreigaben“
Im Gegensatz bei den verpflichtenden Altersfreigaben bei Kinder- und Jugendfilmen (FSK) gibt es im Buchbereich lediglich freiwillige Empfehlungen einiger Verlage bezüglich der geeigneten Altersgrenzen. Im unteren Altersbereich sind dies jährliche Altersstufen, später erfolgen die Abstufungen in Zwei-Jahres-Schritten. Dadurch wird eine komplexe Differenzierung ermöglicht, die gleichwohl dem Entwicklungsstand jedes einzelnen Kindes anzupassen ist. Gibt es eine Empfehlung, sollte diese auf der Seite zum Buch angegeben werden.
Bücher, die im Allgemeinen als für Zwölfjährige geeignet angesehen werden, gelten als Jugendbücher.
Übertragung in andere Medien
Eine wichtige Rolle bei der Vermarktung von Kinder-/Jugendbüchern spielen die immer zahlreicheren Buch- Verfilmungen, deren Erfolg auch die Verkaufszahlen der Vorlagen beeinflusst.
Auch in Deutschland werden Adaptionen vorgenommen. Allein im ersten Halbjahr 2006 erlebten Der Räuber Hotzenplotz, Knallhart, Rolltreppe abwärts, Herr der Diebe, Die Wilden Hühner, Die Wolke und die zweite Fortsetzung der Wilden Kerle ihre Kino- Aufführung.
Diverse Bücher lieferten zudem Vorlagen für Fernsehserien und Hörspiele.
Darüber hinaus erschienen Comic- Varianten, etwa von Der kleine Hobbit, Der Wind in den Weiden oder Herman Melvilles Moby Dick, die Will Eisner, einer der bekanntesten Autoren des Genres, vornahm.
Auszeichnungen
In Deutschland ist der Deutsche Jugendliteraturpreis der renommierteste Preis. Daneben gibt es den LUCHS, La vache qui lit, den Preis der Jury der jungen Leser, den Weilheimer Literaturpreis. Die Autorengruppe der deutschen Krimiliteratur Syndikat verleiht jährlich den Hansjörg-Martin-Preis für den besten Kinder- und Jugend-Krimi.
Vergleichbar mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ist in Amerika die Newbery Medal. Im Commonwealth wird die Carnegie Medal verliehen für Werke, die auf Englisch geschrieben wurden.
Gleich zwei Jugendliteraturpreise wurden dem Andenken der schwedischen Kinder- und Jugendbuchautorin Astrid Lindgren gewidmet: der Astrid-Lindgren-Preis für schwedische Werke sowie der international vergebene Astrid-Lindgren-Gedächtnis-Preis.
Die bedeutendste internationale Auszeichnung ist der Hans Christian Andersen Award.
Weitere Kinder- und Jugendliteraturpreise werden in der entsprechenden Kategorie erfasst (siehe dazu unten).

Literatur
• Theodor Brüggemann u. Otto Brunken (Hrsg.): Handbuch der Kinder- und Jugendliteratur von 1570 bis 1750. Stuttgart: Metzler 1991 ISBN 3-476-00611-5
• Hans-Heino Ewers: Literatur für Kinder und Jugendliche. Eine Einführung in grundlegende Aspekte des Handlungs- und Symbolsystems Kinder- und Jugendliteratur. Fink, München 2000. ISBN 3-8252-2124-5
• Carsten Gansel: Moderne Kinder- und Jugendliteratur. Ein Praxishandbuch für den Unterricht. Cornelsen, Berlin 1999. ISBN 3-589-21152-0
• Gabriele von Glasenapp, Michael Nagel: Das jüdische Jugendbuch. Von der Aufklärung bis zum Dritten Reich. J.B. Metzler, Stuttgart/Weimar 1996. ISBN 3476014134.
• „Laboratorium Vielseitigkeit“. Zur Literatur der Weimarer Republik. Festschrift für Helga Karrenbrock zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. Petra Josting u. Walter Fähnders. Bielefeld 2005 ISBN 3-89528-546-3 (enthält u.a. 13 Beiträge über die Kinder- und Jugendliteratur der Weimarer Republik).
• Winfried Kaminski: Antizipation und Erinnerung. Studien zur Kinder- und Jugendliteratur in pädagogischer Absicht. J.B. Metzler, Stuttgart/ Weimar 1992. ISBN 3476450201
• Helga Karrenbrock: Märchenkinder - Zeitgenossen. Untersuchungen zur Kinderliteratur der Weimarer Republik. J.B. Metzler, Stuttgart/ Weimar 1995. ISBN 3476450686
• Aiga Klotz: Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland 1840- 1950. Gesamtverzeichnis der Veröffentlichungen in deutscher Sprache.
Band 1: A-F 1990, ISBN 3476007022
Band 2: G-K 1992, ISBN 3476007049
Band 3: L-Q 1994, ISBN 3476007049
Band 4: R-S 1996, ISBN 3476007057
Band 5: T-Z 1997, ISBN 3476007065. Alle J.B. Metzler Verlag.
• Bettina Kümmerling-Meibauer: Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur. Ein internationales Lexikon. 3 Bände. Metzler, Stuttgart 2004. ISBN 3-476-02021-5
• Dorothee Markert: Momo, Pippi, Rote Zora... was kommt dann? Leseerziehung, weibliche Autorität und Geschlechterdemokratie. Ulrike Helmer Verlag. ISBN 3927164674
• Reiner Wild (Hrsg.): Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur. J.B. Metzler, Stuttgart/Weimar 2002. ISBN 3476019020

Freitag, 11. Mai 2007

Die Märchen der Brüder

Doktor Allwissend

Es war einmal ein armer Bauer namens Krebs, der fuhr mit zwei Ochsen ein Fuder Holz in die Stadt und verkaufte es für zwei Taler an einen Doktor. Wie ihm nun das Geld ausbezahlt wurde, saß der Doktor gerade zu Tisch; da sah der Bauer, wie er schön aß und trank, und das Herz ging ihm danach auf, und er wäre auch gern ein Doktor gewesen. Also blieb er noch ein Weilchen stehen und fragte endlich, ob er nicht auch könnte ein Doktor werden. „O ja", sagte der Doktor, „das ist bald geschehen." „Was muß ich tun?" fragte der Bauer. „Erstlich kauf dir ein Abecebuch, so eins, wo vorn ein Gockelhahn drin ist; zweitens mache deinen Wagen und deine zwei Ochsen zu Geld und schaff dir damit Kleider an und was sonst zur Doktorei gehört; drittens laß dir ein Schild malen mit den Worten: ,Ich bin der Doktor Allwissend’ und laß das oben über deine Haustür nageln!" Der Bauer tat alles, wie’s ihm geheißen war. Als er nun ein wenig gedoktert hatte, aber noch nicht viel, ward einem reichen, großen Herrn Geld gestohlen. Da ward ihm von dem Doktor Allwissend gesagt, der in dem und dem Dorfe wohnte und auch wissen müßte, wo das Geld hingekommen wäre. Also ließ der Herr seinen Wagen anspannen, fuhr hinaus ins Dorf und fragte bei ihm an, ob er der Doktor Allwissend wäre. Ja, der wär er. So sollte er mitgehen und das gestohlene Geld wieder schaffen. O ja, aber die Grete, seine Frau müßte auch mit. Der Herr war damit zufrieden und ließ sie beide in den Wagen sitzen, und sie fuhren zusammen fort. Als sie auf den adligen Hof kamen, war der Tisch gedeckt; da sollte er erst mitessen. Ja, aber seine Frau, die Grete, auch, sagte er und setzte sich mit ihr hinter den Tisch. Wie nun der erste Bediente mit einer Schüssel schönem Essen kam, stieß der Bauer seine Frau an und sagte: „Grete, das war der erste", und meinte, es wäre derjenige, welcher das erste Essen brächte. Der Bediente aber meinte, er hätte damit sagen wollen: Das ist der erste Dieb; und weil er's nun wirklich war, ward ihm angst, und er sagte draußen zu seinen Kameraden: „Der Doktor weiß alles, wir kommen übel an; er hat gesagt, ich wäre der erste." Der zweite wollte gar nicht herein, er mußte aber doch. Wie er nun mit seiner Schüssel herein kam, stieß der Bauer seine Frau an: „Grete, das ist der zweite." Dem Bedienten ward ebenfalls angst, und er machte, daß er hinauskam. Dem dritten ging's nicht besser; der Bauer sagte wieder: „Grete, das ist der dritte." Der vierte mußte eine verdeckte Schüssel hereintragen, und der Herr sprach zum Doktor, er sollte seine Kunst zeigen und raten, was darunter läge; es waren aber Krebse. Der Bauer sah die Schüssel an, wußte nicht, wie er sich helfen sollte, und sprach: „Ach, ich armer Krebs!" Wie der Herr das hörte, rief er: „Da, er weiß es, nun weiß er auch, wer das Geld hat."
Dem Bedienten aber ward gewaltig angst, und er blinzelte den Doktor an, er möchte einmal herauskommen. Wie er nun hinauskam, gestanden sie ihm alle viere, sie hätten das Geld gestohlen; sie wollten’s ja gerne herausgeben und ihm eine schwere Summe dazu, wenn er sie nicht verraten wollte; es ginge ihnen sonst an den Hals. Sie führten ihn auch hin, wo das Geld versteckt lag. Damit war der Doktor zufrieden, ging wieder hinein, setzte sich an den Tisch und sprach: „Herr, nun will ich in meinem Buch suchen, wo das Geld steckt." Der fünfte Bediente aber kroch in den Ofen und wollte hören, ob der Doktor noch mehr wüßte. Der saß aber und schlug sein Abecebuch auf, blätterte hin und her und suchte den Gockelhahn. Weil er ihn nicht gleich finden konnte, sprach er: „Du bist doch darin und mußt auch heraus." Da glaubte der im Ofen, er wäre gemeint, sprang voller Schrecken heraus und rief: „Der Mann weiß alles." Nun zeigte der Doktor Allwissend dem Herrn, wo das Geld lag, sagte aber nicht, wer’s gestohlen hatte, bekam von beiden Seiten viel Geld zur Belohnung und ward ein berühmter Mann.

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Dornröschen

Vorzeiten war ein König und eine Königin, die sprachen jeden Tag: »Ach, wenn wir doch ein Kind hätten!«, und kriegten immer keins. Da trug sich zu, als die Königin einmal im Bade saß, daß ein Frosch aus dem Wasser ans Land kroch und zu ihr sprach: »Dein Wunsch wird erfüllt werden, ehe ein Jahr vergeht, wirst du eine Tochter zur Welt bringen.« Was der Frosch gesagt hatte, das geschah, und die Königin gebar ein Mädchen, das war so schön, daß der König vor Freude sich nicht zu lassen wußte und ein großes Fest anstellte. Er ladete nicht bloß seine Verwandte, Freunde und Bekannte, sondern auch die weisen Frauen dazu ein, damit sie dem Kind hold und gewogen wären. Es waren ihrer dreizehn in seinem Reiche, weil er aber nur zwölf goldene Teller hatte, von welchen sie essen sollten, so mußte eine von ihnen daheim bleiben. Das Fest ward mit aller Pracht gefeiert, und als es zu Ende war, beschenkten die weisen Frauen das Kind mit ihren Wundergaben: die eine mit Tugend, die andere mit Schönheit, die dritte mit Reichtum, und so mit allem, was auf der Welt zu wünschen ist. Als elfe ihre Sprüche eben getan hatten, trat plötzlich die dreizehnte herein. Sie wollte sich dafür rächen, daß sie nicht eingeladen war, und ohne jemand zu grüßen oder nur anzusehen, rief sie mit lauter Stimme: »Die Königstochter soll sich in ihrem fünfzehnten Jahr an einer Spindel stechen und tot hinfallen.« Und ohne ein Wort weiter zu sprechen, kehrte sie sich um und verließ den Saal. Alle waren erschrocken, da trat die zwölfte hervor, die ihren Wunsch noch übrig hatte, und weil sie den bösen Spruch nicht aufheben, sondern nur ihn mildern konnte, so sagte sie: »Es soll aber kein Tod sein, sondern ein hundertjähriger tiefer Schlaf, in welchen die Königstochter fällt."
Der König, der sein liebes Kind vor dem Unglück gern bewahren wollte, ließ den Befehl ausgehen, daß alle Spindeln im ganzen Königreiche sollten verbrannt werden. An dem Mädchen aber wurden die Gaben der weisen Frauen sämtlich erfüllt, denn es war so schön, sittsam, freundlich und verständig, daß es jedermann, der es ansah, liebhaben mußte. Es geschah, daß an dem Tage, wo es gerade fünfzehn Jahr alt ward, der König und die Königin nicht zu Haus waren und das Mädchen ganz allein im Schloß zurückblieb. Da ging es allerorten herum, besah Stuben und Kammern, wie es Lust hatte, und kam endlich auch an einen alten Turm. Es stieg die enge Wendeltreppe hinauf und gelangte zu einer kleinen Türe. In dem Schloß steckte ein verrosteter Schlüssel, und als es umdrehte, sprang die Türe auf, und saß da in einem kleinen Stübchen eine alte Frau mit einer Spindel und spann emsig ihren Flachs. »Guten Tag, du altes Mütterchen«, sprach die Königstochter, »was machst du da?« »Ich spinne«, sagte die Alte und nickte mit dem Kopf. -,»Was ist das für ein Ding, das so lustig herumspringt?« sprach das Mädchen, nahm die Spindel und wollte auch spinnen. Kaum hatte sie aber die Spindel angerührt, so ging der Zauberspruch in Erfüllung, und sie stach sich damit in den Finger.
In dem Augenblick aber, wo sie den Stich empfand, fiel sie auf das Bett nieder, das da stand, und lag in einem tiefen Schlaf. Und dieser Schlaf verbreitete sich über das ganze Schloß: der König und die Königin, die eben heimgekommen waren und in den Saal getreten waren, fingen an einzuschlafen, und der ganze Hofstaat mit ihnen. Da schliefen auch die Pferde im Stall, die Hunde im Hofe, die Tauben auf dem Dache, die Fliegen an der Wand, ja, das Feuer, das auf dem Herd flackerte, ward still und schlief ein, und der Braten hörte auf zu brutzeln, und der Koch, der den Küchenjungen, weil er etwas versehen hatte, in den Haaren ziehen wollte, ließ ihn los und schlief. Und der Wind legte sich, und auf den Bäumen vor dem Schloß regte sich kein Blättchen mehr.
Rings um das Schloß aber begann eine Dornenhecke zu wachsen, die jedes Jahr höher ward und endlich das ganze Schloß umzog und darüber hinaus wuchs, daß gar nichts mehr davon zu sehen war, selbst nicht die Fahne auf dem Dach. Es ging aber die Sage in dem Land von dem schönen schlafenden Dornröschen, denn so ward die Königstochter genannt, also daß von Zeit zu Zeit Königssöhne kamen und durch die Hecke in das Schloß dringen wollten. Es war ihnen aber nicht möglich, denn die Dornen, als hätten sie Hände, hielten fest zusammen, und die Jünglinge blieben darin hängen, konnten sich nicht wieder losmachen und starben eines jämmerlichen Todes. Nach langen, langen Jahren kam wieder einmal ein Königssohn in das Land und hörte, wie ein alter Mann von der Dornenhecke erzählte, es sollte ein Schloß dahinter stehen, in welchem eine wunderschöne Königstochter, Dornröschen genannt, schon seit hundert Jahren schliefe, und mit ihr schliefe der König und die Königin und der ganze Hofstaat. Er wußte auch von seinem Großvater, daß schon viele Königssöhne gekommen wären und versucht hätten, durch die Dornenhecke zu dringen, aber sie wären darin hängengeblieben und eines traurigen Todes gestorben. Da sprach der Jüngling: »Ich fürchte mich nicht, ich will hinaus und das schöne Dornröschen sehen. « Der gute Alte mochte ihm abraten, wie er wollte, er hörte nicht auf seine Worte.
Nun waren aber gerade die hundert Jahre verflossen, und der Tag war gekommen, wo Dornröschen wieder erwachen sollte. Als der Königssohn sich der Dornenhecke näherte, waren es lauter große schöne Blumen, die taten sich von selbst auseinander und ließen ihn unbeschädigt hindurch, und hinter ihm taten sie sich wieder als eine Hecke zusammen. Im Schloßhof sah er die Pferde und scheckigen Jagdhunde liegen und schlafen, auf dem Dache saßen die Tauben und hatten das Köpfchen unter den Flügel gesteckt. Und als er ins Haus kam, schliefen die Fliegen an der Wand, der Koch in der Küche hielt noch die Hand, als wollte er den jungen anpacken, und die Magd saß vor dem schwarzen Huhn, das sollte gerupft werden. Da ging er weiter und sah im Saale den ganzen Hofstaat liegen und schlafen, und oben bei dem Throne lag der König und die Königin. Da ging er noch weiter, und alles war so still, daß einer seinen Atem hören konnte, und endlich kam er zu dem Turm und öffnete die Türe zu der kleinen Stube, in welcher Dornröschen schlief. Da lag es und war so schön, daß er die Augen nicht abwenden konnte, und er bückte sich und gab ihm einen Kuß. Wie er es mit dem Kuß berührt hatte, schlug Dornröschen die Augen auf, erwachte und blickte ihn ganz freundlich an. Da gingen sie zusammen herab, und der König erwachte und die Königin und der ganze Hofstaat und sahen einander mit großen Augen an. Und die Pferde im Hof standen auf und rüttelten sich; die Jagdhunde sprangen und wedelten; die Tauben auf dem Dache zogen das Köpfchen unterm Flügel hervor, sahen umher und flogen ins Feld; die Fliegen an den Wänden krochen weiter; das Feuer in der Küche erhob sich, flackerte und kochte das Essen; der Braten fing wieder an zu brutzeln; und der Koch gab dem jungen eine Ohrfeige, daß er schrie; und die Magd rupfte das Huhn fertig. Und da wurde die Hochzeit des Königssohns mit dem Dornröschen in aller Pracht gefeiert, und sie lebten vergnügt bis an ihr Ende.

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Frau Holle

Eine Witwe hatte zwei Töchter, davon war die eine schön und fleißig, die andere häßlich und faul. Sie hatte aber die häßliche und faule, weil sie ihre rechte Tochter war, viel lieber, und die andere mußte alle Arbeit tun und der Aschenputtel im Hause sein. Das arme Mädchen mußte sich täglich auf die große Straße bei einem Brunnen setzen und mußte so viel spinnen, daß ihm das Blut aus den Fingern sprang.
Nun trug es sich zu, daß die Spule einmal ganz blutig war, da bückte es sich damit in den Brunnen und wollte sie abwaschen; sie sprang ihm aber aus der Hand und fiel hinab. Es weinte, lief zur Stiefmutter und erzählte ihr das Unglück. Sie schalt es aber so heftig und war so unbarmherzig, daß sie sprach: »Hast du die Spule hinunterfallen lassen, so hoi sie auch wieder herauf. « Da ging das Mädchen zu dem Brunnen zurück und wußte nicht, was es anfangen sollte; und in seiner Herzensangst sprang es in den Brunnen hinein, um die Spule zu holen. Es verlor die Besinnung, und als es erwachte und wieder zu sich selber kam, war es auf einer schönen Wiese, wo die Sonne schien und vieltausend Blumen standen. Auf dieser Wiese ging es fort und kam zu einem Backofen, der war voller Brot; das Brot aber rief: »Ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich: ich bin schon längst aus gebacken.«
Da trat es herzu und holte mit dem Brotschieber alles nacheinander heraus. Danach ging es weiter und kam zu einem Baum, der hing voll Äpfel, und rief ihm zu: »Ach, schüttel mich, schüttel mich, wir Äpfel sind alle miteinander reif. « Da schüttelte es den Baum, daß die Äpfel fielen, als regneten sie, und schüttelte, bis keiner mehr oben war; und als es alle in einen Haufen zusammengelegt hatte, ging es wieder weiter.
Endlich kam es zu einem kleinen Haus, daraus guckte eine alte Frau, weil sie aber so große Zähne hatte, ward ihm angst, und es wollte fortlaufen. Die alte Frau aber rief ihm nach: »Was fürchtest du dich, liebes Kind? Bleib bei mir, wenn du alle Arbeit im Hause ordentlich tun willst, so soll dir's gut gehn. Du mußt nur achtgeben, daß du mein Bett gut machst und es fleißig aufschüttelst, daß die Federn fliegen, dann schneit es in der Welt; ich bin die Frau Holle.« Weil die Alte ihm so gut zusprach, so faßte sich das Mädchen ein Herz, willigte ein und begab sich in ihren Dienst. Es besorgte auch alles nach ihrer Zufriedenheit und schüttelte ihr das Bett immer gewaltig, auf daß die Federn wie Schneeflocken umherflogen; dafür hatte es auch ein gut Leben bei ihr, kein böses Wort und alle Tage Gesottenes und Gebratenes.
Nun war es eine Zeitlang bei der Frau Holle, da ward es traurig und wußte anfangs selbst nicht, was ihm fehlte, endlich merkte es, daß es Heimweh war; ob es ihm hier gleich vieltausendmal besser ging als zu Haus, so hatte es doch ein Verlangen dahin. Endlich sagte es zu ihr: »Ich habe den Jammer nach Haus kriegt, und wenn es mir auch noch so gut hier unten geht, so kann ich doch nicht länger bleiben, ich muß wieder hinauf zu den Meinigen.« Die Frau Holle sagte: »Es gefällt mir, daß du wieder nach Haus verlangst, und weil du mir so treu gedient hast, so will ich dich selbst wieder hinaufbringen.« Sie nahm es darauf bei der Hand und führte es vor ein großes Tor. Das Tor ward aufgetan, und wie das Mädchen gerade darunterstand, fiel ein gewaltiger Goldregen, und alles Gold blieb an ihm hängen, so daß es über und über davon bedeckt war. »Das sollst du haben, weil du so fleißig gewesen bist«, sprach die Frau Holle und gab ihm auch die Spule wieder, die ihm in den Brunnen gefallen war. Darauf ward das Tor verschlossen, und das Mädchen befand sich oben auf der Welt, nicht weit von seiner Mutter Haus; und als es in den Hof kam, saß der Hahn auf dem Brunnen und rief:
»Kikeriki, unsere goldene Jungfrau ist wieder hie.«
Da ging es hinein zu seiner Mutter, und weil es so mit Gold bedeckt ankam, ward es von ihr und der Schwester gut aufgenommen.
Das Mädchen erzählte alles, was ihm begegnet war, und als die Mutter hörte, wie es zu dem großen Reichtum gekommen war, wollte sie der andern, häßlichen und faulen Tochter gerne dasselbe Glück verschaffen. Sie mußte sich an den Brunnen setzen und spinnen; und damit ihre Spule blutig ward, stach sie sich in die Finger und stieß sich die Hand in die Dornhecke. Dann warf sie die Spule in den Brunnen und sprang selber hinein.
Sie kam, wie die andere, auf die schöne Wiese und ging auf demselben Pfade weiter. Als sie zu dem Backofen gelangte, schrie das Brot wieder: »Ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich, ich bin schon längst ausgebacken. « Die Faule aber antwortete: »Da hätt ich Lust, mich schmutzig zu machen«, und ging fort.
Bald kam sie zu dem Apfelbaum, der rief: »Ach, schüttel mich, schüttel mich, wir Äpfel sind alle miteinander reif. « Sie antwortete aber: »Du kommst mir recht, es könnte mir einer auf den Kopf fallen«, und ging damit weiter. Als sie vor der Frau Holle Haus kam, fürchtete sie sich nicht, weil sie von ihren großen Zähnen schon gehört hatte, und verdingte sich gleich zu ihr. Am ersten Tag tat sie sich Gewalt an, war fleißig und folgte der Frau Hohe, wenn sie ihr etwas sagte, denn sie dachte an das viele Gold, das sie ihr schenken würde; am zweiten Tag aber fing sie schon an zu faulenzen, am dritten noch mehr, da wollte sie morgens gar nicht aufstehen. Sie machte auch der Frau Holle das Bett nicht, wie sich's gebührte, und schüttelte es nicht, daß die Federn aufflogen. Das ward die Frau Hohe bald müde und sagte ihr den Dienst auf. Die Faule war das wohl zufrieden und meinte, nun würde der Goldregen kommen; die Frau Holle führte sie auch zu dem Tor, als sie aber darunterstand, ward statt des Goldes ein großer Kessel voll Pech ausgeschüttet. »Das ist zur Belohnung deiner Dienste«, sagte die Frau Holle und schloß das Tor zu. Da kam die Faule heim, aber sie war ganz mit Pech bedeckt, und der Hahn auf dem Brunnen, als er sie sah, rief:
» Kikeriki, unsere schmutzige Jungfrau ist wieder hie.«
Das Pech aber blieb fest an ihr hängen und wollte, solange sie lebte, nicht abgehen.

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Hans im Glück

Hans hatte sieben Jahre bei seinem Herrn gedient, da sprach er zu ihm 'Herr, meine Zeit ist herum, nun wollte ich gerne wieder heim zu meiner Mutter, gebt mir meinen Lohn.' Der Herr antwortete 'du hast mir treu und ehrlich gedient, wie der Dienst war, so soll der Lohn sein,' und gab ihm ein Stück Gold, das so groß als Hansens Kopf war. Hans zog ein Tüchlein aus der Tasche, wickelte den Klumpen hinein, setzte ihn auf die Schulter und machte sich auf den Weg nach Haus. Wie er so dahinging und immer ein Bein vor das andere setzte, kam ihm ein Reiter in die Augen, der frisch und fröhlich auf einem muntern Pferd vorbeitrabte. 'Ach,' sprach Hans ganz laut, 'was ist das Reiten ein schönes Ding! da sitzt einer wie auf einem Stuhl, stößt sich an keinen Stein, spart die Schuh, und kommt fort, er weiß nicht wie.' Der Reiter, der das gehört hatte, hielt an und rief 'ei, Hans, warum laufst du auch zu Fuß?' 'Ich muß ja wohl,' antwortete er, 'da habe ich einen Klumpen heim zu tragen: es ist zwar Gold, aber ich kann den Kopf dabei nicht gerad halten, auch drückt mirs auf die Schulter.' 'Weißt du was,' sagte der Reiter, 'wir wollen tauschen: ich gebe dir mein Pferd, und du gibst mir deinen Klumpen.' 'Von Herzen gern,' sprach Hans, 'aber ich sage Euch, Ihr müßt Euch damit schleppen.' Der Reiter stieg ab, nahm das Gold und half dem Hans hinauf, gab ihm die Zügel fest in die Hände und sprach 'wenns nun recht geschwind soll gehen, so mußt du mit der Zunge schnalzen und hopp hopp rufen.'
Hans war seelenfroh, als er auf dem Pferde saß und so frank und frei dahinritt. Über ein Weilchen fiels ihm ein, es sollte noch schneller gehen, und fing an mit der Zunge zu schnalzen und hopp hopp zu rufen. Das Pferd setzte sich in starken Trab, und ehe sichs Hans versah' war er abgeworfen und lag in einem Graben, der die Äcker von der Landstraße trennte. Das Pferd wäre auch durchgegangen, wenn es nicht ein Bauer auf gehalten hätte, der des Weges kam und eine Kuh vor sich hertrieb. Hans suchte seine Glieder zusammen und machte sich wieder auf die Beine. Er war aber verdrießlich und sprach zu dem Bauer 'es ist ein schlechter Spaß, das Reiten, zumal, wenn man auf so eine Mähre gerät, wie diese, die stößt und einen herabwirft, daß man den Hals brechen kann; ich setze mich nun und nimmermehr wieder auf. Da lob ich mir Eure Kuh, da kann einer mit Gemächlichkeit hinterhergehen, und hat obendrein seine Milch, Butter und Käse jeden Tag gewiß. Was gäb ich darum, wenn ich so eine Kuh hätte!' 'Nun,' sprach der Bauer, 'geschieht Euch so ein großer Gefallen, so will ich Euch wohl die Kuh für das Pferd vertauschen.' Hans willigte mit tausend Freuden ein: der Bauer schwang sich aufs Pferd und ritt eilig davon.
Hans trieb seine Kuh ruhig vor sich her und bedachte den glücklichen Handel. 'Hab ich nur ein Stück Brot, und daran wird mirs noch nicht fehlen, so kann ich, sooft mirs beliebe, Butter und Käse dazu essen; hab ich Durst, so melk ich meine Kuh und trinke Milch. Herz, was verlangst du mehr?' Als er zu einem Wirtshaus kam, machte er halt, aß in der großen Freude alles, was er bei sich hatte, sein Mittags- und Abendbrot, rein auf, und ließ sich für seine letzten paar Heller ein halbes Glas Bier einschenken. Dann trieb er seine Kuh weiter, immer nach dem Dorfe seiner Mutter zu. Die Hitze ward drückender, je näher der Mittag kam, und Hans befand sich in einer Heide, die wohl noch eine Stunde dauerte. Da ward es ihm ganz heiß, so daß ihm vor Durst die Zunge am Gaumen klebte. 'Dem Ding ist zu helfen'' dachte Hans, 'jetzt will ich meine Kuh melken und mich an der Milch laben.' Er band sie an einen dürren Baum, und da er keinen Eimer hatte, so stellte er seine Ledermütze unter, aber wie er sich auch bemühte, es kam kein Tropfen Milch zum Vorschein. Und weil er sich ungeschickt dabei anstellte, so gab ihm das ungeduldige Tier endlich mit einem der Hinterfüße einen solchen Schlag vor den Kopf, daß er zu Boden taumelte und eine Zeitlang sich gar nicht besinnen konnte, wo er war. Glücklicherweise kam gerade ein Metzger des Weges, der auf einem Schuhkarren ein junges Schwein liegen hatte. 'Was sind das für Streiche!' rief er und half dem guten Hans auf. Hans erzählte, was vorgefallen war. Der Metzger reichte ihm seine Flasche und sprach 'da trinkt einmal und erholt Euch. Die Kuh will wohl keine Milch geben, das ist ein altes Tier, das höchstens noch zum Ziehen taugt oder zum Schlachten.' 'Ei, ei,' sprach Hans und strich sich die Haare über den Kopf, 'wer hätte das gedacht! es ist freilich gut, wenn man so ein Tier ins Haus abschlachten kann, was gibts für Fleisch! aber ich mache mir aus dem Kuhfleisch nicht viel, es ist mir nicht saftig genug. Ja, wer so ein junges Schwein hätte! das schmeckt anders, dabei noch die Würste.' 'Hört, Hans,' sprach da der Metzger, 'Euch zuliebe will ich tauschen und will Euch das Schwein für die Kuh lassen.' 'Gott lohn Euch Eure Freundschaft,' sprach Hans, übergab ihm die Kuh, ließ sich das Schweinchen vom Karren losmachen und den Strick, woran es gebunden war, in die Hand geben.
Hans zog weiter und überdachte, wie ihm doch alles nach Wunsch ginge, begegnete ihm ja eine Verdrießlichkeit, so würde sie doch gleich wieder gutgemacht. Es gesellte sich danach ein Bursch zu ihm, der trug eine schöne weiße Gans unter dem Arm. Sie boten einander die Zeit, und Hans fing an, von seinem Glück zu erzählen, und wie er immer so vorteilhaft getauscht hätte. Der Bursch erzählte ihm, daß er die Gans zu einem Kindtaufschmaus brächte. 'Hebt einmal,' fuhr er fort und packte sie bei den Flügeln, 'wie schwer sie ist, die ist aber auch acht Wochen lang genudelt worden. Wer in den Braten beißt, muß sich das Fett von beiden Seiten abwischen.' 'Ja,' sprach Hans, und wog sie mit der einen Hand, 'die hat ihr Gewicht, aber mein Schwein ist auch keine Sau.' Indessen sah sich der Bursch nach allen Seiten ganz bedenklich um, schüttelte auch wohl mit dem Kopf. 'Hört,' fing er darauf an, 'mit Eurem Schweine mags nicht ganz richtig sein. In dem Dorfe, durch das ich gekommen bin, ist eben dem Schulzen eins aus dem Stall gestohlen worden. Ich fürchte, ich fürchte, Ihr habts da in der Hand. Sie haben Leute ausgeschickt, und es wäre ein schlimmer Handel, wenn sie Euch mit dem Schwein erwischten: das Geringste ist, daß Ihr ins finstere Loch gesteckt werdet.' Dem guten Hans ward bang, 'ach Gott,' sprach er, 'helft mir aus der Not, Ihr wißt hier herum bessern Bescheid, nehmt mein Schwein da und laßt mir Eure Gans.' 'Ich muß schon etwas aufs Spiel setzen,' antwortete der Bursche, 'aber ich will doch nicht schuld sein, daß Ihr ins Unglück geratet.' Er nahm also das Seil in die Hand und trieb das Schwein schnell auf einen Seitenweg fort: der gute Hans aber ging, seiner Sorgen entledigt, mit der Gans unter dem Arme der Heimat zu. 'Wenn ichs recht überlege,' sprach er mit sich selbst, 'habe ich noch Vorteil bei dem Tausch: erstlich den guten Braten, hernach die Menge von Fett, die herausträu feln wird, das gibt Gänsefettbrot auf ein Vierteljahr, und endlich die schönen weißen Federn, die laß ich mir in mein Kopfkissen stopfen, und darauf will ich wohl ungewiegt einschlafen. Was wird meine Mutter eine Freude haben!'
Als er durch das letzte Dorf gekommen war, stand da ein Scherenschleifer mit seinem Karren, sein Rad schnurrte, und er sang dazu.
'ich schleife die Schere und drehe geschwind,
und hänge mein Mäntelchen nach dem Wind.'
Hans blieb stehen und sah ihm zu; endlich redete er ihn an und sprach 'Euch gehts wohl, weil Ihr so lustig bei Eurem Schleifen seid.' 'Ja,' antwortete der Scherenschleifer, 'das Handwerk hat einen güldenen Boden. Ein rechter Schleifer ist ein Mann, der, sooft er in die Tasche greift, auch Geld darin findet. Aber wo habt Ihr die schöne Gans gekauft?' 'Die hab ich nicht gekauft, sondern für mein Schwein eingetauscht.' 'Und das Schwein?' 'Das hab ich für eine Kuh gekriegt.' 'Und die Kuh?' 'Die hab ich für ein Pferd bekommen.' 'Und das Pferd?' 'Dafür hab ich
einen Klumpen Gold, so groß als mein Kopf, gegeben.' 'Und das Gold?' 'Ei, das war mein Lohn für sieben Jahre Dienst.' 'Ihr habt Euch jederzeit zu helfen gewußt,' sprach der Schleifer, 'könnt Ihrs nun dahin bringen, daß Ihr das Geld in der Tasche springen hört, wenn Ihr aufsteht, so habt Ihr Euer Glück gemacht.' 'Wie soll ich das anfangen?' sprach Hans. 'Ihr müßt ein Schleifer werden wie ich; dazu gehört eigentlich nichts als ein Wetzstein, das andere findet sich schon von selbst. Da hab ich einen, der ist zwar ein wenig schadhaft, dafür sollt Ihr mir aber auch weiter nichts als Eure Gans geben; wollt Ihr das?' 'Wie könnt Ihr noch fragen,' antwortete Hans, 'ich werde ja zum glücklichsten Menschen auf Erden; habe ich Geld, sooft ich in die Tasche greife, was brauche ich da länger zu sorgen?' reichte ihm die Gans hin, und nahm den Wetzstein in Empfang. 'Nun,' sprach der Schleifer und hob einen gewöhnlichen schweren Feldstein, der neben ihm lag, auf, 'da habt Ihr noch einen tüchtigen Stein dazu, auf dem sichs gut schlagen läßt und Ihr Eure alten Nägel gerade klopfen könnt. Nehmt ihn und hebt ihn ordendich auf.'
Hans lud den Stein auf und ging mit vergnügtem Herzen weiter; seine Augen leuchteten vor Freude, 'ich muß in einer Glückshaut geboren sein,' rief er aus 'alles, was ich wünsche, trifft mir ein, wie einem Sonntagskind.' Indessen, weil er seit Tagesanbruch auf den Beinen gewesen war, begann er müde zu werden; auch plagte ihn der Hunger, da er allen Vorrat auf einmal in der Freude über die erhandelte Kuh aufgezehrt hatte. Er konnte endlich nur mit Mühe weitergehen und mußte jeden Augenblick halt machen; dabei drückten ihn die Steine ganz erbärmlich. Da konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, wie gut es wäre, wenn er sie gerade jetzt nicht zu tragen brauchte. Wie eine Schnecke kam er zu einem Feldbrunnen geschlichen, wollte da ruhen und sich mit einem frischen Trunk laben: damit er aber die Steine im Niedersitzen nicht beschädigte, legte er sie bedächtig neben sich auf den Rand des Brunnens. Darauf setzte er sich nieder und wollte sich zum Trinken bücken, da versah ers, stieß ein klein wenig an, und beide Steine plumpten hinab. Hans, als er sie mit seinen Augen in die Tiefe hatte versinken sehen, sprang vor Freuden auf, kniete dann nieder und dankte Gott mit Tränen in den Augen, daß er ihm auch diese Gnade noch erwiesen und ihn auf eine so gute Art, und ohne daß er sich einen Vorwurf zu machen brauchte, von den schweren Steinen befreit hätte, die ihm allein noch hinderlich gewesen wären. 'So glücklich wie ich,' rief er aus, 'gibt es keinen Menschen unter der Sonne.' Mit leichtem Herzen und frei von aller Last sprang er nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter war.


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Hänsel und Gretel

Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei Kindern; das Bübchen hieß Hänsel und das Mädchen Gretel. Er hatte wenig zu beißen und zu brechen, und einmal, als große Teuerung ins Land kam, konnte er das tägliche Brot nicht mehr schaffen. Wie er sich nun abends im Bette Gedanken machte und sich vor Sorgen herumwälzte, seufzte er und sprach zu seiner Frau: "Was soll aus uns werden ? Wie können wir unsere armen Kinder ernähren da wir für uns selbst nichts mehr haben ?" "Weißt du was, Mann, antwortete die Frau, "wir wollen morgen in aller Frühe die Kinder hinaus in den Wald führen, wo er am dicksten ist. Da machen wir ihnen ein Feuer an und geben jedem noch ein Stückchen Brot, dann gehen wir an unsere Arbeit und lassen sie allein. Sie finden den Weg nicht wieder nach Haus, und wir sind sie los." "Nein, Frau", sagte der Mann, "das tue ich nicht; wie sollt ich's übers Herz bringen, meine Kinder im Walde allein zu lassen ! Die wilden Tiere würden bald kommen und sie zerreißen." "Oh, du Narr", sagte sie, "dann müssen wir alle viere Hungers sterben, du kannst nur die Bretter für die Särge hobeln", und ließ ihm keine Ruhe, bis er einwilligte. "Aber die armen Kinder dauern mich doch", sagte der Mann. Die zwei Kinder hatten vor Hunger auch nicht einschlafen können und hatten gehört, was die Stiefmutter zum Vater gesagt hatte. Gretel weinte bittere Tränen und sprach zu Hänsel: "Nun ist's um uns geschehen." "Still, Gretel", sprach Hänsel, "gräme dich nicht, ich will uns schon helfen." Und als die Alten eingeschlafen waren, stand er auf, zog sein Röcklein an, machte die Untertüre auf und schlich sich hinaus. Da schien der Mond ganz hell, und die weißen Kieselsteine, die vor dem Haus lagen, glänzten wie lauter Batzen. Hänsel bückte sich und steckte so viele in sein Rocktäschlein, als nur hinein wollten. Dann ging er wieder zurück, sprach zu Gretel: "Sei getrost, liebes Schwesterchen, und schlaf nur ruhig ein, Gott wird uns nicht verlassen", und legte sich wieder in sein Bett.
Als der Tag anbrach, noch ehe die Sonne aufgegangen war, kam schon die Frau und weckte die beiden Kinder: "Steht auf, ihr Faulenzer, wir wollen in den Wald gehen und Holz holen." Dann gab sie jedem ein Stückchen Brot und sprach: "Da habt ihr etwas für den Mittag, aber eßt's nicht vorher auf, weiter kriegt ihr nichts." Gretel nahm das Brot unter die Schürze, weil Hänsel die Steine in der Tasche hatte. Danach machten sie sich alle zusammen auf den Weg nach dem Wald. Als sie ein Weilchen gegangen waren, stand Hänsel still und guckte nach dem Haus zurück und tat das wieder und immer wieder. Der Vater sprach: "Hänsel, was guckst du da und bleibst zurück, hab acht und vergiß deine Beine nicht!" "Ach, Vater", sagte Hänsel, "ich sehe nach meinem weißen Kätzchen, das sitzt oben auf dem Dach und will mir Ade sagen." Die Frau sprach: "Narr, das ist dein Kätzchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein scheint." Hänsel aber hatte nicht nach dem Kätzchen gesehen, sondern immer einen von den blanken Kieselsteinen aus seiner Tasche auf den Weg geworfen.
Als sie mitten in den Wald gekommen waren, sprach der Vater: "Nun sammelt Holz, ihr Kinder, ich will ein Feuer anmachen, damit ihr nicht friert." Hänsel und Gretel trugen Reisig zusammen, einen kleinen Berg hoch. Das Reisig ward angezündet, und als die Flamme recht hoch brannte, sagte die Frau: "Nun legt euch ans Feuer, ihr Kinder, und ruht euch aus, wir gehen in den Wald und hauen Holz. Wenn wir fertig sind, kommen wir wieder und holen euch ab."
Hänsel und Gretel saßen um das Feuer, und als der Mittag kam, aß jedes sein Stücklein Brot. Und weil sie die Schläge der Holzaxt hörten, so glaubten sie, ihr Vater wär' in der Nähe. Es war aber nicht die Holzaxt, es war ein Ast, den er an einen dürren Baum gebunden hatte und den der Wind hin und her schlug. Und als sie so lange gesessen hatten, fielen ihnen die Augen vor Müdigkeit zu, und sie schliefen fest ein. Als sie endlich erwachten, war es schon finstere Nacht. Gretel fing an zu weinen und sprach: "Wie sollen wir nun aus dem Wald kommen ?" Hänsel aber tröstete sie: "Wart nur ein Weilchen, bis der Mond aufgegangen ist, dann wollen wir den Weg schon finden." Und als der volle Mond aufgestiegen war, so nahm Hänsel sein Schwesterchern an der Hand und ging den Kieselsteinen nach, die schimmerten wie neugeschlagene Batzen und zeigten ihnen den Weg. Sie gingen die ganze Nacht hindurch und kamen bei anbrechendem Tag wieder zu ihres Vaters Haus. Sie klopften an die Tür, und als die Frau aufmachte und sah, daß es Hänsel und Gretel waren, sprach sie: "Ihr bösen Kinder, was habt ihr so lange im Walde geschlafen, wir haben geglaubt, ihr wollet gar nicht wiederkommen." Der Vater aber freute sich, denn es war ihm zu Herzen gegangen, daß er sie so allein zurückgelassen hatte.
Nicht lange danach war wieder Not in allen Ecken, und die Kinder hörten, wie die Mutter nachts im Bette zu dem Vater sprach: "Alles ist wieder aufgezehrt, wir haben noch einen halben Laib Brot, hernach hat das Lied ein Ende. Die Kinder müssen fort, wir wollen sie tiefer in den Wald hineinführen, damit sie den Weg nicht wieder herausfinden; es ist sonst keine Rettung für uns." Dem Mann fiel's schwer aufs Herz, und er dachte: Es wäre besser, daß du den letzten Bissen mit deinen Kindern teiltest. Aber die Frau hörte auf nichts, was er sagte, schalt ihn und machte ihm Vorwürfe. Wer A sagt, muß B sagen, und weil er das erstemal nachgegeben hatte, so mußte er es auch zum zweitenmal.
Die Kinder waren aber noch wach gewesen und hatten das Gespräch mitangehört. Als die Alten schliefen, stand Hänsel wieder auf, wollte hinaus und die Kieselsteine auflesen, wie das vorigemal; aber die Frau hatte die Tür verschlossen, und Hänsel konnte nicht heraus. Aber er tröstete sein Schwesterchen und sprach: "Weine nicht, Gretel, und schlaf nur ruhig, der liebe Gott wird uns schon helfen."
Am frühen Morgen kam die Frau und holte die Kinder aus dem Bette. Sie erhielten ihr Stückchen Brot, das war aber noch kleiner als das vorigemal. Auf dem Wege nach dem Wald bröckelte es Hänsel in der Tasche, stand oft still und warf ein Bröcklein auf die Erde. "Hänsel, was stehst du und guckst dich um ?" sagte der Vater, "geh deiner Wege !" "Ich sehe nach meinem Täubchen, das sitzt auf dem Dache und will mir Ade sagen", antwortete Hänsel. "Narr", sagte die Frau, "das ist dein Täubchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein oben scheint." Hänsel aber warf nach und nach alle Bröcklein auf den Weg.
Die Frau führte die Kinder noch tiefer in den Wald, wo sie ihr Lebtag noch nicht gewesen waren. Da ward wieder ein großes Feuer angemacht, und die Mutter sagte: "Bleibt nur da sitzen, ihr Kinder, und wenn ihr müde seid, könnt ihr ein wenig schlafen. Wir gehen in den Wald und hauen Holz, und abends, wenn wir fertig sind, kommen wir und holen euch ab." Als es Mittag war, teilte Gretel ihr Brot mit Hänsel, der sein Stück auf den Weg gestreut hatte. Dann schliefen sie ein, und der Abend verging; aber niemand kam zu den armen Kindern. Sie erwachten erst in der finstern Nacht, und Hänsel tröstete sein Schwesterchen und sagte: "Wart nur, Gretel, bis der Mond aufgeht, dann werden wir die Brotbröcklein sehen, die ich ausgestreut habe, die zeigen uns den Weg nach Haus" Als der Mond kam, machten sie sich auf, aber sie fanden kein Bröcklein mehr, denn die viel tausend Vögel, die im Walde und im Felde umherfliegen, die hatten sie weggepickt. Hänsel sagte zu Gretel: "Wir werden den Weg schon finden." Aber sie fanden ihn nicht. Sie gingen die ganze Nacht und noch einen Tag von Morgen bis Abend, aber sie kamen aus dem Wald nicht heraus und waren so hungrig, denn sie hatten nichts als die paar Beeren, die auf der Erde standen. Und weil sie so müde waren, daß die Beine sie nicht mehr tragen wollten, so legten sie sich unter einen Baum und schliefen ein. Nun war's schon der dritte Morgen, daß sie ihres Vaters Haus verlassen hatten. Sie fingen wieder an zu gehen, aber sie gerieten immer tiefer in den Wald, und wenn nicht bald Hilfe kam, mußten sie verschmachten. Als es Mittag war, sahen sie ein schönes, schneeweißes Vögelein auf einem Ast sitzen, das sang so schön, daß sie stehen blieben und ihm zuhörten. Und als es fertig war, schwang es seine Flügel und flog vor ihnen her, und sie gingen ihm nach, bis sie zu einem Häuschen gelangten, auf dessen Dach es sich setzte, und als sie ganz nahe herankamen, so sahen sie, daß das Häuslein aus Brot gebaut war und mit Kuchen gedeckt; aber die Fenster waren von hellem Zucker. "Da wollen wir uns dranmachen", sprach Hänsel, "und eine gesegnete Mahlzeit halten. Ich will ein Stück vom Dach essen, Gretel, du kannst vom Fenster essen, das schmeckt süß." Hänsel reichte in die Höhe und brach sich ein wenig vom Dach ab, um zu versuchen, wie es schmeckte, und Gretel stellte sich an die Scheiben und knupperte daran. Da rief eine feine Stimme aus der Stube heraus:
"Knupper, knupper, Kneischen,
Wer knuppert an meinem Häuschen ?"
Die Kinder antworteten:
"Der Wind, der Wind,
Das himmlische Kind",
und aßen weiter, ohne sich irre machen zu lassen. Hänsel, dem das Dach sehr gut schmeckte, riß sich ein großes Stück davon herunter, und Gretel stieß eine ganze runde Fensterscheibe heraus, setzte sich nieder und tat sich wohl damit. Da ging auf einmal die Türe auf, und eine steinalte Frau, die sich auf eine Krücke stützte, kam herausgeschlichen. Hänsel und Gretel erschraken so gewaltig, daß sie fallen ließen, was sie in den Händen hielten. Die Alte aber wackelte mit dem Kopfe und sprach: "Ei, ihr lieben Kinder, wer hat euch hierher gebracht ? Kommt nur herein und bleibt bei mir, es geschieht euch kein Leid." Sie faßte beide an der Hand und führte sie in ihr Häuschen. Da ward ein gutes Essen aufgetragen, Milch und Pfannkuchen mit Zucker, Äpfel und Nüsse. Hernach wurden zwei schöne Bettlein weiß gedeckt, und Hänsel und Gretel legten sich hinein und meinten, sie wären im Himmel.
Die Alte hatte sich nur freundlich angestellt, sie war aber eine böse Hexe, die den Kindern auflauerte, und hatte das Brothäuslein bloß gebaut, um sie herbeizulocken. Wenn eins in ihre Gewalt kam, so machte sie es tot, kochte es und aß es, und das war ihr ein Festtag. Die Hexen haben rote Augen und können nicht weit sehen, aber sie haben eine feine Witterung wie die Tiere und merken's, wenn Menschen herankommen. Als Hänsel und Gretel in ihre Nähe kamen, da lachte sie boshaft und sprach höhnisch: "Die habe ich, die sollen mir nicht wieder entwischen !" Früh morgens, ehe die Kinder erwacht waren, stand sie schon auf, und als sie beide so lieblich ruhen sah, mit den vollen roten Backen, so murmelte sie vor sich hin: "Das wird ein guter Bissen werden." Da packte sie Hänsel mit ihrer dürren Hand und trug ihn in einen kleinen Stall und sperrte ihn mit einer Gittertüre ein. Er mochte schrein, wie er wollte, es half ihm nichts. Dann ging sie zur Gretel, rüttelte sie wach und rief: "Steh auf, Faulenzerin, trag Wasser und koch deinem Bruder etwas Gutes, der sitzt draußen im Stall und soll fett werden. Wenn er fett ist, so will ich ihn essen." Gretel fing an bitterlich zu weinen; aber es war alles vergeblich, sie mußte tun, was die böse Hexe verlangte.
Nun ward dem armen Hänsel das beste Essen gekocht, aber Gretel bekam nichts als Krebsschalen. Jeden Morgen schlich die Alte zu dem Ställchen und rief: "Hänsel, streck deine Finger heraus, damit ich fühle, ob du bald fett bist." Hänsel streckte ihr aber ein Knöchlein heraus, und die Alte, die trübe Augen hatte, konnte es nicht sehen und meinte, es wären Hänsels Finger, und verwunderte sich, daß er gar nicht fett werden wollte. Als vier Wochen herum waren und Hänsel immer mager blieb, da überkam sie die Ungeduld, und sie wollte nicht länger warten. "Heda, Gretel", rief sie dem Mädchen zu, "sei flink und trag Wasser ! Hänsel mag fett oder mager sein, morgen will ich ihn schlachten und kochen." Ach, wie jammerte das arme Schwesterchen, als es das Wasser tragen mußte, und wie flossen ihm die Tränen über die Backen herunter ! "Lieber Gott, hilf uns doch", rief sie aus, "hätten uns nur die wilden Tiere im Wald gefressen, so wären wir doch zusammen gestorben !" "Spar nur dein Geplärre", sagte die Alte, "es hilft dir alles nichts."
Früh morgens mußte Gretel heraus, den Kessel mit Wasser aufhängen und Feuer anzünden. "Erst wollen wir backen" sagte die Alte, "ich habe den Backofen schon eingeheizt und den Teig geknetet." Sie stieß das arme Gretel hinaus zu dem Backofen, aus dem die Feuerflammen schon herausschlugen "Kriech hinein", sagte die Hexe, "und sieh zu, ob recht eingeheizt ist, damit wir das Brot hineinschieben können" Und wenn Gretel darin war, wollte sie den Ofen zumachen und Gretel sollte darin braten, und dann wollte sie's aufessen. Aber Gretel merkte, was sie im Sinn hatte, und sprach "Ich weiß nicht, wie ich's machen soll; wie komm ich da hinein ?" "Dumme Gans", sagte die Alte, "die Öffnung ist groß genug, siehst du wohl, ich könnte selbst hinein", krabbelte heran und steckte den Kopf in den Backofen. Da gab ihr Gretel einen Stoß, daß sie weit hineinfuhr, machte die eiserne Tür zu und schob den Riegel vor. Hu ! Da fing sie an zu heulen, ganz grauselich; aber Gretel lief fort, und die gottlose Hexe mußte elendiglich verbrennen.
Gretel aber lief schnurstracks zum Hänsel, öffnete sein Ställchen und rief: "Hänsel, wir sind erlöst, die alte Hexe ist tot " Da sprang Hänsel heraus wie ein Vogel aus dem Käfig, wenn ihm die Türe aufgemacht wird. Wie haben sie sich gefreut sind sich um den Hals gefallen, sind herumgesprungen und haben sich geküßt ! Und weil sie sich nicht mehr zu fürchten brauchten, so gingen sie in das Haus der Hexe hinein. Da standen in allen Ecken Kasten mit Perlen und Edelsteinen. "Die sind noch besser als Kieselsteine", sagte Hänsel und steckte in seine Taschen, was hinein wollte. Und Gretel sagte" Ich will auch etwas mit nach Haus bringen", und füllte sein Schürzchen voll. "Aber jetzt wollen wir fort", sagte Hänsel, "damit wir aus dem Hexenwald herauskommen." Als sie aber ein paar Stunden gegangen waren, gelangten sie an ein großes Wasser. "Wir können nicht hinüber", sprach Hänsel, "ich seh keinen Steg und keine Brücke." "Hier fährt auch kein Schiffchen", antwortete Gretel, "aber da schwimmt eine weiße Ente, wenn ich die bitte, so hilft sie uns hinüber." Da rief sie:
"Entchen, Entchen,
Da steht Gretel und Hänsel.
Kein Steg und keine Brücke,
Nimm uns auf deinen weißen Rücken."
Das Entchen kam auch heran, und Hänsel setzte sich auf und bat sein Schwesterchen, sich zu ihm zu setzen. "Nein", antwortete Gretel, "es wird dem Entchen zu schwer, es soll uns nacheinander hinüberbringen." Das tat das gute Tierchen, und als sie glücklich drüben waren und ein Weilchen fortgingen, da kam ihnen der Wald immer bekannter und immer bekannter vor, und endlich erblickten sie von weitem ihres Vaters Haus. Da fingen sie an zu laufen, stürzten in die Stube hinein und fielen ihrem Vater um den Hals. Der Mann hatte keine frohe Stunde gehabt, seitdem er die Kinder im Walde gelassen hatte, die Frau aber war gestorben. Gretel schüttelte sein Schürzchen aus, daß die Perlen und Edelsteine in der Stube herumsprangen, und Hänsel warf eine Handvoll nach der andern aus seiner Tasche dazu. Da hatten alle Sorgen ein Ende, und sie lebten in lauter Freude zusammen.

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Jorinde und Joringel

Es war einmal ein altes Schloß mitten in einem großen dicken Wald, darinnen wohnte eine alte Frau ganz allein, das war eine Erzzauberin. Am Tage machte sie sich zur Katze oder zur Nachteule, des Abends aber wurde sie wieder ordentlich wie ein Mensch gestaltet. Sie konnte das Wild und die Vögel herbeilocken, und dann schlachtete sie, kochte und briet es. Wenn jemand auf hundert Schritte dem Schloß nahe kam, so mußte er stillestehen und konnte sich nicht von der Stelle bewegen, bis sie ihn lossprach; wenn aber eine keusche Jungfrau in diesen Kreis kam, so verwandelte sie dieselbe in einen Vogel und sperrte sie dann in einen Korb ein und trug den Korb in eine Kammer des Schlosses. Sie hatte wohl siebentausend solcher Körbe mit so raren Vögeln im Schlosse.
Nun war einmal eine Jungfrau, die hieß Jorinde; sie war schöner als alle andere Mädchen. Die und dann ein gar schöner Jüngling namens Joringel hatten sich zusammen versprochen. Sie waren in den Brauttagen, und sie hatten ihr größtes Vergnügen eins am andern. Damit sie nun einsmalen vertraut zusammen reden könnten, gingen sie in den Wald spazieren. »Hüte dich«, sagte Joringel, »daß du nicht so nahe ans Schloß kommst.« Es war ein schöner Abend, die Sonne schien zwischen den Stämmen der Bäume hell ins dunkle Grün des Waldes, und die Turteltaube sang kläglich auf den alten Maibuchen.
Jorinde weinte zuweilen, setzte sich hin im Sonnenschein und klagte: Joringel klagte auch. Sie waren so bestürzt, als wenn sie hätten sterben sollen; sie sahen sich um, waren irre und wußten nicht, wohin sie nach Hause gehen sollten. Noch halb stand die Sonne über dem Berg, und halb war sie unter. Joringel sah durchs Gebüsch und sah die alte Mauer des Schlosses nah bei sich; er erschrak und wurde todbang. Jorinde sang:
»Mein Vöglein mit dem Ringlein rot singt Leide, Leide, Leide: es singt dem Täubelein seinen Tod, singt Leide, Lei - zicküth, zicküth, zicküth. «
Joringel sah nach Jorinde. Jorinde war in eine Nachtigall verwandelt, die sang zicküth, zicküth. Eine Nachteule mit glühenden Augen flog dreimal um sie herum und schrie dreimal schu, hu, hu, hu. Joringel konnte sich nicht regen.- er stand da wie ein Stein, konnte nicht weinen, nicht reden, nicht Hand noch Fuß regen. Nun war die Sonne unter; die Eule flog in einen Strauch, und gleich darauf kam eine alte krumme Frau aus diesem hervor, gelb und mager: große rote Augen, krumme Nase, die mit der Spitze ans Kinn reichte. Sie murmelte, fing die Nachtigall und trug sie auf der Hand fort. Joringel konnte nichts sagen, nicht von der Stelle kommen; die Nachtigall war fort. Endlich kam das Weib wieder und sagte mit dumpfer Stimme: »Grüß dich, Zachiel, wenn's Möndel ins Körbel scheint, bind lose Zachiel, zu guter Stund.« Da wurde Joringel los. Er fiel vor dem Weib auf die Knie und bat, sie möchte ihm seine Jorinde wiedergeben, aber sie sagte, er sollte sie nie wiederhaben, und ging fort. Er rief, er weinte, er jammerte, aber alles umsonst. »Uu, was soll mir geschehen?« Joringel ging fort und kam endlich in ein fremdes Dorf; da hütete er die Schafe lange Zeit. Oft ging er rund um das Schloß herum, aber nicht zu nahe dabei. Endlich träumte er einmal des Nachts, er fände eine blutrote Blume, in deren Mitte eine schöne große Perle war. Die Blume brach er ab, ging damit zum Schlosse: alles, was er mit der Blume berührte, ward von der Zauberei frei; auch träumte er, er hätte seine Jorinde dadurch wiederbekommen. Des Morgens, als er erwachte, fing er an, durch Berg und Tal zu suchen, ob er eine solche Blume fände; er suchte bis an den neunten Tag, da fand er die blutrote Blume am Morgen früh. In der Mitte war ein großer Tautropfe, so groß wie die schönste Perle. Diese Blume trug er Tag und Nacht bis zum Schloß. Wie er auf hundert Schritt nahe bis zum Schloß kam, da ward er nicht fest, sondern ging fort bis ans Tor. Joringel freute sich hoch, berührte die Pforte mit der Blume, und sie sprang auf. Er ging hinein, durch den Hof, horchte, wo er die vielen Vögel vernähme; endlich hörte er's. Er ging und fand den Saal, darauf war die Zauberin und fütterte die Vögel in den siebentausend Körben. Wie sie den Joringel sah, ward sie bös, sehr bös, schalt, spie Gift und Galle gegen ihn aus, aber sie konnte auf zwei Schritte nicht an ihn kommen. Er kehrte sich nicht an sie und ging, besah die Körbe mit den Vögeln; da waren aber viele hundert Nachtigallen, wie sollte er nun seine Jorinde wiederfinden? indem er so zusah, [merkte er,] daß die Alte heimlich ein Körbchen mit einem Vogel wegnahm und damit nach der Türe ging. Flugs sprang er hinzu, berührte das Körbchen mit der Blume und auch das alte Weib- nun konnte sie nichts mehr zaubern, und Jorinde stand da, hatte ihn um den Hals gefaßt, so schön, wie sie ehemals war. Da machte er auch alle die andern Vögel wieder zu Jungfrauen, und da ging er mit seiner Jorinde nach Hause, und sie lebten lange vergnügt zusammen.

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König Drosselbart

Ein König hatte eine Tochter, die war über alle Maßen schön, aber dabei so stolz und übermütig, daß ihr kein Freier gut genug war. Sie wies einen nach dem andern ab, und trieb noch dazu Spott mit ihnen. Einmal ließ der König ein großes Fest anstellen, und ladete dazu aus der Nähe und Ferne die heiratslustigen Männer ein. Sie wurden alle in eine Reihe nach Rang und Stand geordnet; erst kamen die Könige, dann die Herzöge, die Fürsten, Grafen und Freiherrn, zuletzt die Edelleute.
Nun ward die Königstochter durch die Reihen geführt, aber an jedem hatte sie etwas auszusetzen. Der eine war ihr zu dick, 'das Weinfaß!' sprach sie. Der andere zu lang, 'lang und schwank hat keinen Gang.' Der dritte zu kurz, 'kurz und dick hat kein Geschick.' Der vierte zu blaß, 'der bleiche Tod!' der fünfte zu rot, 'der Zinshahn!' der sechste war nicht gerad genug, 'grünes Holz, hinterm Ofen getrocknet!' Und so hatte sie an einem jeden etwas auszusetzen, besonders aber machte sie sich über einen guten König lustig, der ganz oben stand und dem das Kinn ein wenig krumm gewachsen war. 'Ei,' rief sie und lachte, 'der hat ein Kinn, wie die Drossel einen Schnabel;, und seit der Zeit bekam er den Namen
D r o s s e l b a r t. Der alte König aber, als er sah, daß seine Tochter nichts tat als über die Leute spotten, und alle Freier, die da versammelt waren, verschmähte, ward er zornig und schwur, sie sollte den ersten besten Bettler zum Manne nehmen, der vor seine Türe käme.
Ein paar Tage darauf hub ein Spielmann an unter dem Fenster zu singen, um damit ein geringes Almosen zu verdienen. Als es der König hörte, sprach er 'laßt ihn heraufkommen.' Da trat der Spielmann in seinen schmutzigen verlumpten Kleidern herein, sang vor dem König und seiner Tochter, und bat, als er fertig war, um eine milde Gabe. Der König sprach 'dein Gesang hat mir so wohl gefallen, daß ich dir meine Tochter da zur Frau geben will.' Die Königstochter erschrak, aber der König sagte 'ich habe den Eid getan, dich dem ersten besten Bettelmann zu geben, den will ich auch halten.' Es half keine Einrede, der Pfarrer ward geholt, und sie mußte sich gleich mit dem Spielmann trauen lassen. Als das geschehen war, sprach der König 'nun schickt sichs nicht, daß du als ein Bettelweib noch Iänger in meinem Schloß bleibst, du kannst nur mit deinem Manne fortziehen.'
Der Bettelmann führte sie an der Hand hinaus, und sie mußte mit ihm zu Fuß fortgehen.
Als sie in einen großen Wald kamen, da fragte sie
'ach, wem gehört der schöne Wald?'
'Der gehört dem König Drosselbart;
hättst du'n genommen, so wär er dein.'
'Ich arme Jungfer zart, ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!'
Darauf kamen sie über eine Wiese, da fragte sie wieder
'wem gehört die schöne grüne Wiese?'
'Sie gehört dem König Drosselbart;
hättst du'n genommen, so wär sie dein.'
'Ich arme Jungfer zart' ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!'
Dann kamen sie durch eine große Stadt, da fragte sie wieder
'ach, wem gehört der schöne Wald?'
'Der gehört dem König Drosselbart;
hättst du'n genommen, so wär er dein.'
'Ich arme Jungfer zart, ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!'
'Es gefällt mir gar nicht,' sprach der Spielmann, 'daß du dir immer einen andern zum Mann wünschest: bin ich dir nicht gut genug?' Endlich kamen sie an ein ganz kleines Häuschen, da sprach sie
'ach, Gott, was ist das Haus so klein!
wem mag das elende winzige Häuschen sein?'
Der Spielmann antwortete 'das ist mein und dein Haus, wo wir zusammen wohnen.' Sie mußte sich bücken, damit sie zu der niedrigen Tür hineinkam. 'Wo sind die Diener?' sprach die Königstochter. 'Was Diener!' antwortete der Bettelmann, 'du mußt selber tun, was du willst getan haben. Mach nur gleich Feuer an und stell Wasser auf, daß du mir mein Essen kochst; ich bin ganz müde.' Die Königstochter verstand aber nichts vom Feueranmachen und Kochen, und der Bettelmann mußte selber mit Hand anlegen, daß es noch so leidlich ging. Als sie die schmale Kost verzehrt hatten, legten sie sich zu Bett: aber am Morgen trieb er sie schon ganz früh heraus, weil sie das Haus besorgen sollte. Ein paar Tage lebten sie auf diese Art schlecht und recht, und zehrten ihren Vorrat auf. Da sprach der Mann 'Frau, so gehts nicht länger, daß wir hier zehren und nichts verdienen. Du sollst Körbe flechten.'
Er ging aus, schnitt Weiden und brachte sie heim: da fing sie an zu flechten, aber die harten Weiden stachen ihr die zarten Hände wund. 'Ich sehe, das geht nicht,' sprach der Mann, 'spinn lieber, vielleicht kannst du das besser.' Sie setzte sich hin und versuchte zu spinnen, aber der harte Faden schnitt ihr bald in die weichen Finger, daß das Blut daran herunterlief. 'Siehst du,' sprach der Mann, 'du taugst zu keiner Arbeit, mit dir bin ich schlimm angekommen. Nun will ichs versuchen, und einen Handel mit Töpfen und irdenem Geschirr anfangen: du sollst dich auf den Markt setzen und die Ware feil halten.' 'Ach,' dachte sie, 'wenn auf den Markt Leute aus meines Vaters Reich kommen, und sehen mich da sitzen und feil halten, wie werden sie mich verspotten!'
Aber es half nichts, sie mußte sich fügen, wenn sie nicht Hungers sterben wollten. Das erstemal gings gut, denn die Leute kauften der Frau, weil sie schön war, gern ihre Ware ab, und bezahlten, was sie forderte: ja, viele gaben ihr das Geld, und ließen ihr die Töpfe noch dazu . Nun lebten sie von dem Erworbenen, solange es dauerte, da handelte der Mann wieder eine Menge neues Geschirr ein. Sie setzte sich damit an eine Ecke des Marktes, und stellte es um sich her und hielt feil.
Da kam plötzlich ein trunkener Husar dahergejagt, und ritt geradezu in die Töpfe hinein, daß alles in tausend Scherben zersprang. Sie fing an zu weinen und wußte vor Angst nicht, was sie anfangen sollte. 'Ach, wie wird mirs ergehen!' rief sie, 'was wird mein Mann dazu sagen!' Sie lief heim und erzählte ihm das Unglück. 'Wer setzt sich auch an die Ecke des Marktes mit irdenem Geschirr!' sprach der Mann, 'laß nur das Weinen, ich sehe wohl, du bist zu keiner ordentlichen Arbeit zu gebrauchen. Da bin ich in unseres Königs Schloß gewesen und habe gefragt, ob sie nicht eine Küchenmagd brauchen könnten, und sie haben mir versprochen, sie wollten dich dazu nehmen; dafür bekommst du freies Essen.'
Nun ward die Königstochter eine Küchenmagd, mußte dem Koch zur Hand gehen und die sauerste Arbeit tun. Sie machte sich in beiden Taschen ein Töpfchen fest, darin brachte sie nach Haus was ihr von dem Übriggebliebenen zuteil ward, und davon nährten sie sich. Es trug sich zu, daß die Hochzeit des ältesten Königssohnes sollte gefeiert werden, da ging die arme Frau hinauf, stellte sich vor die Saaltüre und wollte zusehen. Als nun die Lichter angezündet waren, und immer einer schöner als der andere hereintrat, und alles voll Pracht und Herrlichkeit war, da dachte sie mit betrübtem Herzen an ihr Schicksal und verwünschte ihren Stolz und Übermut, der sie erniedrigt und in so große Armut gestürzt hatte. Von den köstlichen Speisen, die da ein- und ausgetragen wurden, und von welchen der Geruch zu ihr aufstieg, warfen ihr Diener manchmal ein paar Brocken zu, die tat sie in ihr Töpfchen und wollte es heimtragen. Auf einmal trat der Königssohn herein, war in Samt und Seide gekleidet und hatte goldene Ketten um den Hals. Und als er die schöne Frau in der Türe stehen sah, ergriff er sie bei der Hand und wollte mit ihr tanzen, aber sie weigerte sich und erschrak, denn sie sah, daß es der König Drosselbart war, der um sie gefreit und den sie mit Spott abgewiesen hatte. Ihr Sträuben half nichts, er zog sie in den Saal: da zerriß das Band, an welchem die Taschen hingen, und die Töpfe fielen heraus, daß die Suppe floß und die Brocken umhersprangen. Und wie das die Leute sahen, entstand ein allgemeines Gelächter und Spotten, und sie war so beschämt, daß sie sich lieber tausend Klafter unter die Erde gewünscht hätte. Sie sprang zur Türe hinaus und wollte entfliehen, aber auf der Treppe holte sie ein Mann ein und brachte sie zurück: und wie sie ihn ansah, war es wieder der König Drosselbart.
Er sprach ihr freundlich zu 'fürchte dich nicht, ich und der Spielmann, der mit dir in dem elenden Häuschen gewohnt hat, sind eins: dir zuliebe habe ich mich so verstellt, und der Husar, der dir die Töpfe entzweigeritten hat, bin ich auch gewesen. Das alles ist geschehen, um deinen stolzen Sinn zu beugen und dich für deinen Hochmut zu strafen, womit du mich verspottet hast.' Da weinte sie bitterlich und sagte 'ich habe großes Unrecht gehabt und bin nicht wert, deine Frau zu sein.' Er aber sprach 'tröste dich, die bösen Tage sind vorüber, jetzt wollen wir unsere Hochzeit feiern.' Da kamen die Kammerfrauen und taten ihr die prächtigsten Kleider an, und ihr Vater kam und der ganze Hof, und wünschten ihr Glück zu ihrer Vermählung mit dem König Drosselbart, und die rechte Freude fing jetzt erst an. Ich wollte, du und ich, wir wären auch dabei gewesen.

Die Märchen der Brüder

Die Bremer Stadtmusikanten


Es hatte ein Mann einen Esel, der schon lange Jahre die Säcke unverdrossen zur Mühle getragen hatte, dessen Kräfte aber nun zu Ende gingen, so daß er zur Arbeit immer untauglicher ward. Da dachte der Herr daran, ihn aus dem Futter zu schaffen, aber der Esel merkte, daß kein guter Wind wehte, lief fort und machte sich auf den Weg nach Bremen: dort, meinte er, könnte er ja Stadtmusikant werden. Als er ein Weilchen fortgegangen war, fand er einen Jagdhund auf dem Wege liegen, der jappte wie einer, der sich müde gelaufen hat. »Nun, was jappst du so, Packan?« fragte der Esel. »Ach«, sagte der Hund, »weil ich alt bin und jeden Tag schwächer werde, auch auf der Jagd nicht mehr fort kann, hat mich mein Herr wollen totschlagen, da hab ich Reißaus genommen; aber womit soll ich nun mein Brot verdienen?« »Weißt du was«, sprach der Esel, »ich gehe nach Bremen und werde dort Stadtmusikant, geh mit und laß dich auch bei der Musik annehmen. Ich spiele die Laute, und du schlägst die Pauken.« Der Hund war's zufrieden, und sie gingen weiter. Es dauerte nicht lange, so saß da eine Katze an dem Weg und machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. »Nun, was ist dir in die Quere gekommen, alter Bartputzer?« sprach der Esel. »Wer kann da lustig sein, wenn's einem an den Kragen geht«, antwortete die Katze, »weil ich nun zu Jahren komme, meine Zähne stumpf werden und ich lieber hinter dem Ofen sitze und Spinne als nach Mäusen herumjage, hat mich meine Frau ersäufen wollen; ich habe mich zwar noch fortgemacht, aber nun ist guter Rat teuer: wo soll ich hin?« »Geh mit uns nach Bremen, du verstehst dich doch auf die Nachtmusik, da kannst du ein Stadtmusikant werden.« Die Katze hielt das für gut und ging mit. Darauf kamen die drei Landesflüchtigen an einem Hof vorbei, da saß auf dem Tor der Haushahn und schrie aus Leibeskräften. »Du schreist einem durch Mark und Bein«, sprach der Esel, »was hast du vor?« »Da hab ich gut Wetter prophezeit«, sprach der Hahn, »weil unserer lieben Frauen Tag ist, wo sie dem Christkindlein die Hemdchen gewaschen hat und sie trocknen will; aber weil morgen zum Sonntag Gäste kommen, so hat die Hausfrau doch kein Erbarmen und hat der Köchin gesagt, sie wollte mich morgen in der Suppe essen, und da soll ich mir heut abend den Kopf abschneiden lassen. Nun schrei ich aus vollem Hals, solang ich noch kann.« »Ei was, du Rotkopf«, sagte der Esel, »zieh lieber mit uns fort, wir gehen nach Bremen, etwas Besseres als den Tod findest du überall; du hast eine gute Stimme, und wenn wir zusammen musizieren, so muß es eine Art haben.« Der Hahn ließ sich den Vorschlag gefallen, und sie gingen alle viere zusammen fort.
Sie konnten aber die Stadt Bremen in einem Tag nicht erreichen und kamen abends in einen Wald, wo sie übernachten wollten. Der Esel und der Hund legten sich unter einen großen Baum, die Katze und der Hahn machten sich in die Äste, der Hahn aber flog bis in die Spitze, wo es am sichersten für ihn war. Ehe er einschlief, sah er sich noch einmal nach allen vier Winden um, da däuchte ihn, er sähe in der Ferne ein Fünkchen brennen, und rief seinen Gesellen zu, es müßte nicht gar weit ein Haus sein, denn es scheine ein Licht. Sprach der Esel: »So müssen wir uns aufmachen und noch hingehen, denn hier ist die Herberge schlecht.« Der Hund meinte, ein paar Knochen und etwas Fleisch dran täten ihm auch gut. Also machten sie sich auf den Weg nach der Gegend, wo das Licht war, und sahen es bald heller schimmern, und es ward immer größer, bis sie vor ein hell erleuchtetes Räuberhaus kamen. Der Esel, als der größte, näherte sich dem Fenster und schaute hinein. »Was siehst du, Grauschimmel?« fragte der Hahn. »Was ich sehe?« antwortete der Esel. »Einen gedeckten Tisch mit schönem Essen und Trinken, und Räuber sitzen daran und lassen's sich wohl sein.« »Das wäre was für uns«, sprach der Hahn. »Ja, ja, ach, wären wir da!« sagte der Esel. Da ratschiagten die Tiere, wie sie es anfangen müßten, um die Räuber hinauszujagen, und fanden endlich ein Mittel. Der Esel mußte sich mit den Vorderfüßen auf das Fenster stellen, der Hund auf des Eseis Rücken springen, die Katze auf den Hund klettern, und endlich flog der Hahn hinauf und setzte sich der Katze auf den Kopf. Wie das geschehen war, fingen sie auf ein Zeichen insgesamt an, ihre Musik zu machen: der Esel schrie, der Hund bellte, die Katze miaute, und der Hahn krähte; dann stürzten sie durch das Fenster in die Stube hinein, daß die Scheiben klirnen. Die Räuber fuhren bei dem entsetzlichen Geschrei in die Höhe, meinten nicht anders, als ein Gespenst käme herein, und flohen in größter Furcht in den Wald hinaus. Nun setzten sich die vier Gesellen an den Tisch, nahmen mit dem vorlieb, was übriggeblieben war, und aßen, als wenn sie vier Wochen hungern sollten.
Wie die vier Spielleute fertig waren, löschten sie das Licht aus und suchten sich eine Schlafstätte, jeder nach seiner Natur und Bequemlichkeit. Der Esel legte sich auf den Mist, der Hund hinter die Türe, die Katze auf den Herd bei die warme Asche, und der Hahn setzte sich auf den Hahnenbalken; und weil sie müde waren von ihrem langen Weg, schliefen sie auch bald ein. Als Mitternacht vorbei war und die Räuber von weitem sahen, daß kein Licht mehr im Haus brannte, auch alles ruhig schien, sprach der Hauptmann: »Wir hätten uns doch nicht sollen ins Bockshorn jagen lassen«, und hieß einen hingehen und das Haus untersuchen. Der Abgeschickte fand alles still, ging in die Küche, ein Licht anzuzünden, und weil er die glühenden, feurigen Augen der Katze für lebendige Kohlen ansah, hielt er ein Schwefelhölzchen daran, daß es Feuer fangen sollte. Aber die Katze ver stand keinen Spaß, sprang ihm ins Gesicht, spie und kratzte. Da erschrak er gewaltig, lief und wollte zur Hintertüre hinaus, aber der Hund, der da lag, sprang auf und biß ihn ins Bein; und als er über den Hof an dem Miste vorbeirannte, gab ihm der Esel noch einen tüchtigen Schlag mit dem Hinterfuß; der Hahn aber, der vom Lärmen aus dem Schlaf geweckt und munter geworden war, rief vom Balken herab: »Kikeriki!« Da lief der Räuber, was er konnte, zu seinem Hauptmann zurück und sprach: »Ach, in dem Haus sitzt eine greuliche Hexe, die hat mich angehaucht und mit ihren langen Fingern mir das Gesicht zerkratzt; und vor der Türe steht ein Mann mit einem Messer, der hat mich ins Bein gestochen; und auf dem Hof liegt ein schwarzes Ungeheuer, das hat mit einer Holzkeule auf mich losgeschlagen; und oben auf dem Dache, da sitzt der Richter, der rief: 'Bringt mir den Schelm her.' Da machte ich, daß ich fortkam.« Von nun an getrauten sich die Räuber nicht weiter in das Haus, den vier Bremer Musikanten gefiel's aber so wohl darin, daß sie nicht wieder heraus wollten. Und der das zuletzt erzählt hat, dem ist der Mund noch warm.

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Die drei Brüder

Es war ein Mann, der hatte drei Söhne und weiter nichts im Vermögen als das Haus, worin er wohnte. Nun hätte jeder gerne nach seinem Tode das Haus gehabt, dem Vater war aber einer so lieb als der andere, da wußte er nicht, wie ers anfangen sollte, daß er keinem zu nahe tät; verkaufen wollte er das Haus auch nicht, weils von seinen Voreltern war, sonst hätte er das Geld unter sie geteilt. Da fiel ihm endlich ein Rat ein, und er sprach zu seinen Söhnen 'geht in die Welt und versucht euch, und lerne jeder sein Handwerk, wenn ihr dann wiederkommt, wer das beste Meisterstück macht, der soll das Haus haben.'
Das waren die Söhne zufrieden, und der älteste wollte ein Hufschmied, der zweite ein Barbier, der dritte aber ein Fechtmeister werden. Darauf bestimmten sie eine Zeit, wo sie wieder nach Haus zusammenkommen wollten, und zogen fort. Es traf sich auch, daß jeder einen tüchtigen Meister fand, wo er was Rechtschaffenes lernte. Der Schmied mußte des Königs Pferde beschlagen und dachte 'nun kann dirs nicht fehlen, du kriegst das Haus.' Der Barbier rasierte lauter vornehme Herren und meinte auch, das Haus wäre schon sein. Der Fechtmeister kriegte manchen Hieb, biß aber die Zähne zusammen und ließ sichs nicht verdrießen, denn er dachte bei sich 'fürchtest du dich vor einem Hieb, so kriegst du das Haus nimmermehr.' Als nun die gesetzte Zeit herum war, kamen sie bei ihrem Vater wieder zusammen: sie wußten aber nicht, wie sie die beste Gelegenheit finden sollten, ihre Kunst zu zeigen, saßen beisammen und ratschlagten. Wie sie so saßen, kam auf einmal ein Hase übers Feld dahergelaufen. 'Ei,' sagte der Barbier, 'der kommt wie gerufen,' nahm Becken und Seife, schäumte so lange, bis der Hase in die Nähe kam, dann seifte er ihn in vollem Laufe ein, und rasierte ihm auch in vollem Laufe ein Stutzbärtchen, und dabei schnitt er ihn nicht und tat ihm an keinem Haare weh. 'Das gefällt mir,' sagte der Vater, 'wenn sich die andern nicht gewaltig angreifen, so ist das Haus dein.' Es währte nicht lang, so kam ein Herr in einem Wagen dahergerennt in vollem Tagen 'Nun sollt Ihr sehen, Vater, was ich kann,' sprach der Hufschmied, sprang dem Wagen nach, riß dem Pferd, das in einem fortjagte, die vier Hufeisen ab und schlug ihm auch im Jagen vier neue wieder an. 'Du bist ein ganzer Kerl,' sprach der Vater, 'du machst deine Sachen so gut wie dein Bruder; ich weiß nicht, wem ich das Haus geben soll.' Da sprach der dritte 'Vater, laßt mich auch einmal gewähren,' und weil es anfing zu regnen, zog er seinen Degen und schwenkte ihn in Kreuzhieben über seinen Kopf, daß kein Tropfen auf ihn fiel: und als der Regen stärker ward, und endlich so stark, als ob man mit Mulden vom Himmel gösse, schwang er den Degen immer schneller und blieb so trocken, als säß er unter Dach und Fach. Wie der Vater das sah, erstaunte er und sprach 'du hast das beste Meisterstück gemacht, das Haus ist dein.'
Die beiden andern Brüder waren damit zufrieden, wie sie vorher gelobt hatten, und weil sie sich einander so lieb hatten, blieben sie alle drei zusammen im Haus und trieben ihr Handwerk; und da sie so gut ausgelernt hatten und so geschickt waren, verdienten sie viel Geld. So lebten sie vergnügt bis in ihr Alter zusammen, und als der eine krank ward und starb, grämten sich die zwei andern so sehr darüber, daß sie auch krank wurden und bald starben. Da wurden sie, weil sie so geschickt gewesen waren und sich so lieb gehabt hatten, alle drei zusammen in ein Grab gelegt.

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Die goldene Gans

Es war ein Mann, der hatte drei Söhne, davon hieß der jüngste der Dummling und wurde verachtet und verspottet und bei jeder Gelegenheit zurückgesetzt. Es geschah, daß der älteste in den Wald gehen wollte, Holz hauen, und eh' er ging, gab ihm noch seine Mutter einen schönen feinen Eierkuchen und eine Flasche Wein mit, damit er nicht Hunger und Durst litte. Als er in den Wald kam, begegnete ihm ein altes, graues Männlein, das bot ihm einen guten Tag und sprach: "Gib mir doch ein Stück Kuchen aus deiner Tasche und laß mich einen Schluck von deinem Wein trinken ! Ich bin so hungrig und durstig." Der kluge Sohn aber antwortete: "Geb ich dir meinen Kuchen und meinen Wein, so hab ich selber nichts, pack dich deiner Wege !" ließ das Männlein stehen und ging fort. Als er nun anfing, einen Baum zu behauen, dauerte es nicht lange, so hieb er fehl, und die Axt fuhr ihm in den Arm, daß er mußte heimgehen und sich verbinden lassen. Das war aber von dem grauen Männchen gekommen.
Darauf ging der zweite Sohn in den Wald, und die Mutter gab ihm, wie dem ältesten, einen Eierkuchen und eine Flasche Wein. Dem begegnete gleichfalls das alte, graue Männchen und hielt um ein Stückchen Kuchen und einen Trunk Wein an. Aber der zweite Sohn sprach auch ganz verständig: "Was ich dir gebe, das geht mir selber ab, pack dich deiner Wege !" ließ das Männlein stehen und ging fort. Die Strafe blieb nicht aus, als er ein paar Hiebe am Baum getan, hieb er sich ins Bein, daß er mußte nach Haus getragen werden.
Da sagte der Dummling: "Vater, laß mich einmal hinausgehen und Holz hauen !" Antwortete der Vater: "Deine Brüder haben sich Schaden dabei getan, laß dich davon, du verstehst nichts davon." Der Dummling aber bat so lange, bis er endlich sagte: "Geh nur hin, durch Schaden wirst du klug werden." Die Mutter gab ihm einen Kuchen, der war mit Wasser in der Asche gebacken, und dazu eine Flasche saures Bier. Als er in den Wald kam, begegnete ihm gleichfalls das alte, graue Männchen, grüßte ihn und sprach: "Gib mir ein Stück von deinem Kuchen und einen Trunk aus deiner Flasche, ich bin so hungrig und durstig." Antwortet der Dummling: " Ich habe nur Aschenkuchen und saures Bier, wenn dir das recht ist, so wollen wir uns setzen und essen." Da setzten sie sich, und als der Dummling seinen Aschenkuchen herausholte, so war's ein feiner Eierkuchen, und das saure Bier war ein guter Wein. Nun aßen und tranken sie, und danach sprach das Männlein: "Weil du ein gutes Herz hast und von dem deinigen gerne mitteilst, so will ich dir Glück bescheren. Dort steht ein alter Baum, den hau ab, so wirst du in den Wurzeln etwas finden." Darauf nahm das Männlein Abschied.
Der Dummling ging hin und hieb den Baum um, und wie er fiel, saß in den Wurzeln eine Gans, die hatte Federn von reinem Gold. Er hob sie heraus, nahm sie mit sich und ging in ein Wirtshaus, da wollte er übernachten. Der Wirt hatte aber drei Töchter, die sahen die Gans, waren neugierig, was das für ein wunderlicher Vogel wäre, und hätten gar gern eine von seinen goldenen Federn gehabt. Die älteste dachte: Es wird sich schon eine Gelegenheit finden, wo ich mir eine Feder ausziehen kann. Und als der Dummling einmal hinaus gegangen war, faßte sie die Gans beim Flügel aber Finger und Hand blieben ihr daran fest hängen. Bald hernach kam die zweite und hatte keinen andern Gedanken, als sich eine goldene Feder zu holen, kaum aber hatte sie ihre Schwester angerührt, so blieb sie fest hängen. Endlich kam auch die dritte in der gleichen Absicht. Da schrien die andern: "Bleib weg, um Himmels Willen bleib weg!" Aber sie begriff nicht, warum sie wegbleiben sollte, dachte: Sind die dabei so kann ich auch dabeisein und sprang hinzu, und wie sie ihre Schwester angerührt hatte, so blieb sie an ihr hängen. So mußten sie die Nacht bei der Ganz zubringen.
Am anderen Morgen nahm der Dummling die Gans in den Arm ging fort und kümmerte sich nicht um die drei Mädchen, die daran hingen. Sie mußten immer hinter im dreinlaufen, links und rechts, wie's ihm in die Beine kam. Mitten auf dem Felde begegnete ihnen der Pfarrer, und als er den Aufzug sah, sprach er : "Schämt euch, ihr garstigen Mädchen, was lauft ihr dem jungen Bursch durchs Feld nach, schickt sich das?" Damit faßte er die jüngste an der Hand und wollte sie zurückziehen, wie er sie aber anrührte, blieb er gleichfalls hängen und mußte selber hinterdreinlaufen. Nicht lange, so kam der Küster daher und sah den Herrn Pfarrer, der drei Mädchen auf dem Fuß folgte. Da verwunderte er sich und rief: "Ei, Herr Pfarrer, wohinaus so geschwind ? vergeßt nicht, daß wir heute noch eine Kindtaufe haben." Lief auf ihn zu und faßte ihn am Ärmel, blieb aber auch fest hängen. Wie die fünf so hintereinander hertrabten, kamen zwei Bauern mit ihren Hacken vom Felde. Da rief der Pfarrer sie an und bat, sie möchten ihn und den Küster losmachen. Kaum aber hatten sie den Küster angerührt, so blieben sie hängen, und waren ihrer nun siebene, die dem Dummling mit der Gans nachliefen.
Er kam darauf in eine Stadt; da herrschte ein König, der hatte eine Tochter, die war so ernsthaft, daß sie niemand zum Lachen bringen konnte. Darum hatte er ein Gesetz gegeben, wer sie könnte zum Lachen bringen, der sollte sie heiraten. Der Dummling, als er das hörte, ging mit seiner Gans und ihrem Anhang vor die Königstochter, und als diese die sieben Menschen immer hintereinander herlaufen sah, fing sie überlaut an zu lachen und wollte gar nicht wieder aufhören.
Da verlangte sie der Dummling zur Braut, aber dem König gefiel der Schwiegersohn nicht, er machte allerlei Einwendungen und sagte, er müßte ihm erst einen Mann bringen, der einen Keller voll Wein austrinken könne. Der Dummling dachte an das graue Männchen, das könnte ihm wohl helfen, ging hinaus in den Wald, und auf der Stelle, wo er den Baum abgehauen hatte, sah er einen Mann sitzen, der machte ein ganz betrübtes Gesicht. Der Dummling fragte, was er sich so sehr zu Herzen nähme. Da antwortete er: "Ich habe so großen Durst und kann ihn nicht löschen, das kalte Wasser vertrage ich nicht, ein Faß Wein habe ich zwar ausgeleert, aber was ist ein Tropfen auf einen heißen Stein ?" "Da kann ich dir helfen", sagte der Dummling, "komm nur mit mir, du sollst satt haben !" Er führte ihn darauf in des Königs Keller, und der Mann machte sich über die großen Fässer, trank und trank, daß ihm die Hüften weh taten, und ehe ein Tag herum war, hatte er den ganzen Keller ausgetrunken.
Der Dummling verlangte abermals seine Braut, der König aber ärgerte sich, daß ein schlechter Bursch, den jedermann einen Dummling nannte, seine Tochter davontragen sollte, und machte neue Bedingungen: Er müßte erst einen Mann schaffen, der einen Berg voll Brot aufessen könnte. Der Dummling besann sich nicht lange, sondern ging gleich hinaus in den Wald. Da saß auf demselben Platz ein Mann, der schnürte sich den Leib mit einem Riemen zusammen, machte ein grämliches Gesicht und sagte: "Ich habe einen ganzen Backofen voll Raspelbrot gegessen, aber was hilft das, wenn man so großen Hunger hat wie ich. Mein Magen bleibt leer, und ich muß ihn zuschnüren, wenn ich nicht Hungers sterben soll." Der Dummling war froh darüber und sprach: "Mach dich auf und geh mit mir, du sollst dich satt essen !" Er führte ihn an den Hof des Königs, der hatte alles Mehl aus dem ganzen Reich zusammenfahren und einen ungeheuren Berg davon bauen lassen; der Mann aber aus dem Walde stellte sich davor, fing an zu essen, und in einem Tag war der ganze Berg verschwunden. Der Dummling forderte zum drittenmal seine Braut. Der König aber suchte noch einmal Ausflucht und verlangte ein Schiff, das zu Land und zu Wasser fahren könnt. "Sowie du aber damit angesegelt kommst", sagte er, "sollst du gleich meine Tochter zur Gemahlin haben." Der Dummling ging geraden Weges in den Wald, da saß das alte, graue Männchen, dem er seinen Kuchen gegeben hatte, und sagte: "Ich habe für dich getrunken und gegessen, ich will dir auch das Schiff geben; das alles tu ich, weil du barmherzig gegen mich gewesen bist" Da gab er ihm das Schiff, das zu Land und zu Wasser fuhr, und als der König das sah, konnte er ihm seine Tochter nicht länger vorenthalten.
Die Hochzeit ward gefeiert; nach des Königs Tod erbte der Dummling das Reich und lebte lange Zeit vergnügt mit seiner Gemahlin.

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Die kluge Else

Es war ein Mann, der hatte eine Tochter, die hieß die kluge Else. Als sie nun erwachsen war, sprach der Vater »wir wollen sie heirathen lassen«. »Ja«, sagte die Mutter »wenn nur einer käme, der sie haben wollte.« Endlich kam von weither einer, der hieß Hans, und hielt um sie an, er machte aber die Bedingung, daß die kluge Else auch recht gescheidt wäre. »O«, sprach der Vater, »die hat Zwirn im Kopf«, und die Mutter sagte »ach, die sieht den Wind auf der Gasse laufen und hört die Fliegen husten.« »Ja«, sprach der Hans, »wenn sie nicht recht gescheidt ist, so nehm ich sie nicht.« Als sie nun zu Tisch saßen und gegessen hatten, sprach die Mutter »Else, geh in den Keller und hol Bier«. Da nahm die kluge Else den Krug von der Wand, gieng in den Keller und klappte unterwegs brav mit dem Deckel, damit ihr die Zeit ja nicht lang würde. Als sie unten war, holte sie ein Stühlchen und stellte es vors Faß, damit sie sich nicht zu bücken brauchte und ihrem Rücken etwa nicht weh thäte und unverhofften Schaden nähme. Dann schob sie die Kanne mit dem Fuße vor sich und drehte den Hahn auf, und während der Zeit, daß das Bier hinein lief, wollte sie doch ihre Augen nicht müssig lassen und sah oben an die Wand hinauf und erblickte nach vielem Hin- und Herschauen eine Kreuzhacke gerade über sich, welche die Maurer da aus Versehen hatten stecken lassen. Da fieng die kluge Else an zu weinen und sprach »wenn ich den Hans kriege, und wir kriegen ein Kind, und das ist groß, und wir schicken das Kind in den Keller, daß es hier soll Bier zapfen, so fällt ihm die Kreuzhacke auf den Kopf und schlägts todt«.
Da blieb sie sitzen und weinte aus Leibeskräften über das bevorstehende Unglück. Oben saßen sie und warteten auf den Trank, aber die kluge Else kam immer nicht. Da sprach die Frau zur Magd »geh doch hinunter in den Keller und sieh, wo die Else bleibt«. Die Magd gieng und fand sie vor dem Fasse sitzend und laut schreiend. »Else, was weinst du?« fragte die Magd. »Ach«, antwortete sie, »soll ich nicht weinen? wenn ich den Hans kriege, und wir kriegen ein Kind, und das ist groß und soll hier Trinken zapfen, so fällt ihm vielleicht die Kreuzhacke auf den Kopf und schlägt es todt.« Da sprach die Magd »was haben wir für eine kluge Else!« setzte sich zu ihr und fieng auch an über das Unglück zu weinen. Ueber eine Weile, als die Magd nicht wieder kam, und die droben durstig nach dem Trank waren, sprach der Mann zum Knecht »geh doch hinunter in den Keller und sieh, wo die Else und die Magd bleibt«. Der Knecht gieng hinab, da saß die kluge Else und die Magd, und weinten beide zusammen. Da fragte er »was weint ihr denn?« »Ach«, sprach die Else, »soll ich nicht weinen? wenn ich den Hans kriege, und wir kriegen ein Kind, und das ist groß und soll hier Trinken zapfen, so fällt ihm die Kreuzhacke auf den Kopf, und schlägts todt.« Da sprach der Knecht »was haben wir für eine kluge Else!« setzte sich zu ihr und fieng auch an laut zu heulen. Oben warteten sie auf den Knecht, als er aber immer nicht kam, sprach der Mann zur Frau »geh doch hinunter in den Keller und sieh, wo die Else bleibt«. Die Frau gieng hinab und fand alle drei in Wehklagen, und fragte nach der Ursache, da erzählte ihr die Else auch, daß ihr zukünftiges Kind wohl würde von der Kreuzhacke todtgeschlagen werden, wenn es erst groß ware und Bier zapfen sollte, und die Kreuzhacke fiele herab. Da sprach die Mutter gleichfalls »ach, was haben wir für eine kluge Else!« setzte sich hin und weinte mit. Der Mann oben wartete noch ein Weilchen, als aber seine Frau nicht wieder kam und sein Durst immer stärker ward, sprach er »ich muß nur selber in den Keller gehn und sehen, wo die Else bleibt«. Als er aber in den Keller kam, und alle da bei einander saßen und weinten, und er die Ursache hörte, daß das Kind der Else schuld wäre, das sie vielleicht einmal zur Welt brächte und von der Kreuzhacke könnte todtgeschlagen werden, wenn es gerade zur Zeit, wo sie herab fiele, darunter säße, Bier zu zapfen: da rief er »was für eine kluge Else!« setzte sich und weinte auch mit. Der Bräutigam blieb lange oben allein: da niemand wiederkommen wollte, dachte er »sie werden unten auf dich warten, du muß auch hingehen und sehen, was sie vorhaben«. Als er hinab kam, saßen da fünfe und schrien und jammerten ganz erbärmlich, einer immer besser als der andere. »Was für ein Unglück ist denn geschehen?« fragte er. »Ach, lieber Hans«, sprach die Else, »wann wir einander heirathen und haben ein Kind, und es ist groß, und wir schickens vielleicht hierher Trinken zu zapfen, da kann ihm ja die Kreuzhacke, die da oben ist stecken geblieben, wenn sie herabfallen sollte, den Kopf zerschlagen, daß es liegen bleibt! sollen wir da nicht weinen?« »Nun«, sprach der Hans, »mehr Verstand ist für meinen Haushalt nicht nöthig: weil du so eine kluge Else bist, so will ich dich haben«, packte sie bei der Hand und nahm sie mit hinauf und hielt Hochzeit mit ihr.
Als sie den Hans eine Weile hatte, sprach er »Frau ich will ausgehen arbeiten und uns Geld verdienen, geh du ins Feld und schneid das Korn, daß wir Brot haben«. »Ja, mein lieber Hans, das will ich thun.« Nachdem der Hans fort war, kochte sie sich einen guten Brei und nahm ihn mit ins Feld. Als sie vor den Acker kam, sprach sie zu sich selbst »was thu ich? schneid ich ehr, oder eß ich ehr? hei, ich will erst essen«. Nun aß sie ihren Topf mit Brei aus, und als sie dick satt war, sprach sie wieder »was thu ich? schneid ich ehr, oder schlaf ich ehr? hei, ich will erst schlafen«. Da legte sie sich ins Korn und schlief ein. Der Hans war längst zu Haus, aber die Else wollte nicht kommen: da sprach er »was hab ich für eine kluge Else, die ist so fleißig, daß sie nicht einmal nach Haus kommt und ißt«. Als sie aber noch immer ausblieb, und es Abend ward, gieng der Hans hinaus und wollte sehen, was sie geschnitten hätte: aber es war nichts geschnitten, sondern sie lag im Korn und schlief. Da eilte Hans geschwind heim und holte ein Vogelgarn mit kleinen Schellen und hängte es um sie herum; und sie schlief noch immer fort. Dann lief er heim, schloß die Hausthüre zu und setzte sich auf seinen Arbeitsstuhl nieder. Endlich, wie es schon ganz dunkel war, erwachte die kluge Else, und als sie aufstand, rappelte es um sie herum bei jedem Schritte, den sie that. Da erschrak sie, ward irre, ob sie auch wirklich die kluge Else wäre und sprach »bin ichs, oder bin ichs nicht?« Sie wußte aber nicht, was sie darauf antworten sollte und stand eine Zeitlang zweifelhaft: endlich dachte sie »ich will nach Haus gehen und fragen, ob ichs bin oder ob ichs nicht bin, die werdens ja wissen«. Sie lief vor ihre Hausthüre, aber die war verschlossen: da klopfte sie an das Fenster und rief »Hans, ist die Else drinnen?« »Ja«, antwortete der Hans, »sie ist drinnen.« Da erschrak sie und sprach »ach Gott, dann bin ichs nicht«, und ging vor eine andere Thür; als aber die Leute das Klingeln der Schellen hörten, wollten sie nicht auf machen, und sie konnte nirgend unterkommen. Da lief sie fort zum Dorfe hinaus, und niemand hat sie wieder gesehen.


Die sieben Raben

Ein Mann hatte sieben Söhne und immer noch kein Töchterchen, so sehr er sichs auch wünschte; endlich gab ihm seine Frau wieder gute Hoffnung zu einem Kinde, und wies zur Welt kam, war es auch ein Mädchen. Die Freude war groß, aber das Kind war schmächtig und klein, und sollte wegen seiner Schwachheit die Nottaufe haben. Der Vater schickte einen der Knaben eilends zur Quelle, Taufwasser zu holen: die andern sechs liefen mit, und weil jeder der erste beim Schöpfen sein wollte, so fiel ihnen der Krug in den Brunnen. Da standen sie und wußten nicht, was sie tun sollten, und keiner getraute sich heim. Als sie immer nicht zurückkamen, ward der Vater ungeduldig und sprach 'gewiß haben sies wieder über ein Spiel vergessen, die gottlosen Jungen.' Es ward ihm angst, das Mädchen müßte ungetauft verscheiden, und im Ärger rief er 'ich wollte, daß die Jungen alle zu Raben würden.' Kaum war das Wort ausgeredet, so hörte er ein Geschwirr über seinem Haupt in der Luft, blickte in die Höhe und sah sieben kohlschwarze Raben auf- und davonfliegen.
Die Eltern konnten die Verwünschung nicht mehr zurücknehmen, und so traurig sie über den Verlust ihrer sieben Söhne waren, trösteten sie sich doch einigermaßen durch ihr liebes Töchterchen, das bald zu Kräften kam, und mit jedem Tage schöner ward. Es wußte lange Zeit nicht einmal, daß es Geschwister gehabt hatte, denn die Eltern hüteten sich, ihrer zu erwähnen, bis es eines Tags von ungefähr die Leute von sich sprechen hörte, das Mädchen wäre wohl schön, aber doch eigentlich schuld an dem Unglück seiner sieben Brüder. Da ward es ganz betrübt, ging zu Vater und Mutter und fragte, ob es denn Brüder gehabt hätte, und wo sie hingeraten wären. Nun durften die Eltern das Geheimnis nicht länger verschweigen, sagten jedoch, es sei so des Himmels Verhängnis und seine Geburt nur der unschuldige Anlaß gewesen. Allein das Mädchen machte sich täglich ein Gewissen daraus und glaubte, es müßte seine Geschwister wieder erlösen. Es hatte nicht Ruhe und Rast, bis es sich heimlich aufmachte und in die weite Welt ging, seine Brüder irgendwo aufzuspüren und zu befreien, es möchte kosten, was es wollte. Es nahm nichts mit sich als ein Ringlein von seinen Eltern zum Andenken, einen Laib Brot für den Hunger, ein Krüglein Wasser für den Durst und ein Stühlchen für die Müdigkeit.
Nun ging es immerzu, weit weit, bis an der Welt Ende. Da kam es zur Sonne, aber die war zu heiß und fürchterlich, und fraß die kleinen Kinder. Eilig lief es weg und lief hin zu dem Mond, aber der war gar zu kalt und auch grausig und bös, und als er das Kind merkte, sprach er 'ich rieche rieche Menschenfleisch.' Da machte es sich geschwind fort und kam zu den Sternen, die waren ihm freundlich und gut, und jeder saß auf seinem besondern Stühlchen. Der Morgenstern aber stand auf, gab ihm ein Hinkelbeinchen und sprach 'wenn du das Beinchen nicht hast, kannst du den Glasberg nicht aufschließen, und in dem Glasberg, da sind deine Brüder.'
Das Mädchen nahm das Beinchen, wickelte es wohl in ein Tüchlein, und ging wieder fort, so lange, bis es an den Glasberg kam. Das Tor war verschlossen und es wollte das Beinchen hervorholen, aber wie es das Tüchlein aufmachte, so war es leer, und es hatte das Geschenk der guten Sterne verloren. Was sollte es nun anfangen? seine Brüder wollte es erretten und hatte keinen SchIüssel zum Glasberg. Das gute Schwesterchen nahm ein Messer, schnitt sich ein kleines Fingerchen ab, steckte es in das Tor und schloß glücklich auf. Als es eingegangen war, kam ihm ein Zwerglein entgegen, das sprach 'mein Kind, was suchst du?' 'Ich suche meine Brüder, die sieben Raben,' antwortete es. Der Zwerg sprach 'die Herren Raben sind nicht zu Haus, aber willst du hier so lang warten, bis sie kommen, so tritt ein.' Darauf trug das Zwerglein die Speise der Raben herein auf sieben Tellerchen und in sieben Becherchen, und von jedem Tellerchen aß das Schwesterchen ein Bröckchen, und aus jedem Becherchen trank es ein SchIückchen; in das letzte Becherchen aber ließ es das Ringlein fallen, das es mitgenommen hatte.
Auf einmal hörte es in der Luft ein Geschwirr und ein Geweh, da sprach das Zwerglein 'jetzt kommen die Herren Raben heim geflogen.' Da kamen sie, wollten essen und trinken, und suchten ihre Tellerchen und Becherchen. Da sprach einer nach dem andern 'wer hat von meinem Tellerchen gegessen? wer hat aus meinem Becherchen getrunken? das ist eines Menschen Mund gewesen.' Und wie der siebente auf den Grund des Bechers kam, rollte ihm das Ringlein entgegen. Da sah er es an und erkannte, daß es ein Ring von Vater und Mutter war, und sprach 'Gott gebe, unser Schwesterlein wäre da, so wären wir erlöst.' Wie das Mädchen, das hinter der Türe stand und lauschte, den Wunsch hörte, so trat es hervor, und da bekamen alle die Raben ihre menschliche Gestalt wieder. Und sie herzten und küßten einander, und zogen fröhlich heim.


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Die sieben Schwaben

Einmal waren sieben Schwaben beisammen, der erste war der Herr Schulz, der zweite der Jackli, der dritte der Marli, der vierte der Jergli, der fünfte der Michal, der sechste der Hans, der siebente der Veitli; die hatten alle siebene sich vorgenommen, die Welt zu durchziehen, Abenteuer zu suchen und große Taten zu vollbringen. Damit sie aber auch mit bewaffneter Hand und sicher gingen, sahen sies für gut an, daß sie sich zwar nur einen einzigen, aber recht starken und langen Spieß machen ließen. Diesen Spieß faßten sie alle siebene zusammen an, vorn ging der kühnste und männlichste, das mußte der Herr Schulz sein, und dann folgten die andern nach der Reihe, und der Veitli war der letzte.
Nun geschah es, als sie im Heumonat eines Tags einen weiten Weg gegangen waren, auch noch ein gut Stück bis in das Dorf hatten, wo sie über Nacht bleiben mußten, daß in der Dämmerung auf einer Wiese ein großer Roßkäfer oder eine Hornisse nicht weit von ihnen hinter einer Staude vorbeiflog und feindlich brummelte. Der Herr Schulz erschrak, daß er fast den Spieß hätte fallen lassen und ihm der Angstschweiß am ganzen Leibe ausbrach. 'Horcht, horcht,' rief er seinen Gesellen, 'Gott, ich höre eine Trommel!' Der Jackli, der hinter ihm den Spieß hielt, und dem ich weiß nicht was für ein Geruch in die Nase kam, sprach 'etwas ist ohne Zweifel vorhanden, denn ich schmeck das Pulver und den Zündstrick.' Bei diesen Worten hub der Herr Schulz an, die Flucht zu ergreifen, und sprang im Hui über einen Zaun, weil er aber gerade auf die Zinken eines Rechen sprang, der vom Heumachen da liegen geblieben war, so fuhr ihm der Stiel ins Gesicht und gab ihm einen ungewaschenen Schlag. 'O wei, o wei,' schrie der Herr Schulz, 'nimm mich gefangen, ich ergeb mich, ich ergeb mich!, Die andern sechs hüpften auch alle einer über den andern herzu und schrien 'gibst du dich, so geb ich mich auch, gibst du dich, so geb ich mich auch.' Endlich, wie kein Feind da war, der sie binden und fortführen wollte, merkten sie, daß sie betrogen waren: und damit die Geschichte nicht unter die Leute käme, und sie nicht genarrt und gespottet würden, verschwuren sie sich untereinander, so lang davon stillzuschweigen, bis einer unverhofft das Maul auftäte.
Hierauf zogen sie weiter. Die zweite Gefährlichkeit, die sie erlebten, kann aber mit der ersten nicht verglichen werden. Nach etlichen Tagen trug sie ihr Weg durch ein Brachfeld, da saß ein Hase in der Sonne und schlief, streckte die Ohren in die Höhe, und hatte die großen gläsernen Augen starr aufstehen. Da erschraken sie bei dem Anblick des grausamen und wilden Tieres insgesamt und hielten Rat, was zu tun das wenigst Gefährliche wäre. Denn so sie fliehen wollten, war zu besorgen, das Ungeheuer setzte ihnen nach und verschlänge sie alle mit Haut und Haar. Also sprachen sie 'wir müssen einen großen und gefährlichen Kampf bestehen, frisch gewagt ist halb gewonnen!' faßten alle siebene den Spieß an' der Herr Schulz vorn und der Veitli hinten. Der Herr Schulz wollte den Spieß noch immer anhalten, der Veitli aber war hinten ganz mutig geworden, wollte losbrechen und rief
'stoß zu in aller Schwabe Name,
sonst wünsch i, daß ihr möcht erlahme.'
Aber der Hans wußt ihn zu treffen und sprach
'beim Element, du hascht gut schwätze,
bischt stets der letscht beim Drachehetze.'
Der Michal rief
'es wird nit fehle um ein Haar'
so ischt es wohl der Teufel gar.'
Drauf kam an den Jergli die Reihe, der sprach
'ischt er es nit, so ischts sei Muter
oder des Teufels Stiefbruder.'
Der Marli hatte da einen guten Gedanken und sagte zum Veitli
'gang, Veitli, gang, gang du voran,
i will dahinte vor di stahn.'
Der Veitli hörte aber nicht drauf, und der Jackli sagte
'der Schulz, der muß der erschte sei,
denn ihm gebührt die Ehr allei.'
Da nahm sich der Herr Schulz ein Herz und sprach gravitätisch
'so zieht denn herzhaft in den Streit,
hieran erkennt man tapfre Leut.'
Da gingen sie insgesamt auf den Drachen los. Der Herr Schulz segnete sich und rief Gott um Beistand an: wie aber das alles nicht helfen wollte und er dem Feind immer näher kam, schrie er in großer Angst 'hau; hurlehau! hau! hauhau!, Davon er
wachte der Has, erschrak und sprang eilig davon. Als ihn der Herr Schulz so feldflüchtig sah, da rief er voll Freude
'potz, Veitli, lueg, lueg' was isch das?
das Ungehüer ischt a Has.'
Der Schwabenbund suchte aber weiter Abenteuer und kam an die Mosel, ein mosiges, stilles und tiefes Wasser, darüber nicht viel Brücken sind, sondern man an mehrern Orten sich muß in Schiffen überfahren lassen. Weil die sieben Schwaben dessen unberichtet waren, riefen sie einem Mann, der jenseits des Wassers seine Arbeit vollbrachte, zu, wie man doch hinüberkommen könnte. Der Mann verstand wegen der Weite und wegen ihrer Sprache nicht, was sie wollten, und fragte auf sein Trierisch 'wat? wat!, Da meinte der Herr Schulz, er spräche nicht anders als 'wate, wate durchs Wasser,' und hub an, weil er der vorderste war, sich auf den Weg zu machen und in die Mosel hineinzugehen. Nicht lang, so versank er in den Schlamm und in die antreibenden tiefen Wellen, seinen Hut aber jagte der Wind hinüber an das jenseitige Ufer, und ein Frosch setzte sich dabei und quakte 'wat, wat, wat.' Die sechs andern hörten das drüben und sprachen 'unser Gesell, der Herr Schulz, ruft uns, kann er hinüberwaten, warum wir nicht auch?' Sprangen darum eilig alle zusammen in das Wasser und ertranken, also daß ein Frosch ihrer sechse ums Leben brachte, und niemand von dem Schwabenbund wieder nach Haus kam.


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Die Sterntaler

Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater und Mutter gestorben, und es war so arm, daß es kein Kämmerchen mehr hatte, darin zu wohnen, und kein Bettchen mehr hatte, darin zu schlafen, und endlich gar nichts mehr als die Kleider auf dem Leib und ein Stückchen Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte. Es war aber gut und fromm. Und weil es so von aller Welt verlassen war, ging es im Vertrauen auf den lieben Gott hinaus ins Feld.
Da begegnete ihm ein armer Mann, der sprach: »Ach, gib mir etwas zu essen, ich bin so hungerig.« Es reichte ihm das ganze Stückchen Brot und sagte: »Gott segne dir's«, und ging weiter.
Da kam ein Kind, das jammerte und sprach: »Es friert mich so an meinem Kopfe, schenk mir etwas, womit ich ihn bedecken kann.« Da tat es seine Mütze ab und gab sie ihm.
Und als es noch eine Weile gegangen war, kam wieder ein Kind und hatte kein Leibchen an und fror: da gab es ihm seins; und noch weiter, da bat eins um ein Röcklein, das gab es auch von sich hin.
Endlich gelangte es in einen Wald, und es war schon dunkel geworden, da kam noch eins und bat um ein Hemdlein, und das fromme Mädchen dachte: »Es ist dunkle Nacht, da sieht dich niemand, du kannst wohl dein Hemd weggeben«, und zog das Hemd ab und gab es auch noch hin.
Und wie es so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel, und waren lauter blanke Taler; und ob es gleich sein Hemdlein weggegeben, so hatte es ein neues an, und das war vom allerfeinsten Linnen. Da sammelte es sich die Taler hinein und war reich für sein Lebtag.

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Die wahre Braut

Es war einmal ein Mädchen, das war jung und schön, aber seine Mutter war ihm früh gestorben, und die Stiefmutter tat ihm alles gebrannte Herzeleid an. Wenn sie ihm eine Arbeit auftrug, sie mochte noch so schwer sein, so ging es unverdrossen daran und tat, was in seinen Kräften stand. Aber es konnte damit das Herz der bösen Frau nicht rühren, immer war sie unzufrieden, immer war es nicht genug. Je fleißiger es arbeitete, je mehr ward ihm aufgelegt, und sie hatte keinen andern Gedanken, als wie sie ihm eine immer größere Last aufbürden und das Leben recht sauer machen wollte.
Eines Tags sagte sie zu ihm: »Da hast du zwölf Pfund Federn, die sollst du abschleißen, und wenn du nicht heute abend damit fertig bist, so wartet eine Tracht Schläge auf dich. Meinst du, du könntest den ganzen Tag faulenzen?« Das arme Mädchen setzte sich zu der Arbeit nieder, aber die Tränen flossen ihm dabei über die Wangen herab, denn es sah wohl, daß es unmöglich war, mit der Arbeit in einem Tage zu Ende zu kommen. Wenn es ein Häufchen Federn vor sich liegen hatte und es seufzte oder schlug in seiner Angst die Hände zusammen, so stoben sie auseinander, und es mußte sie wieder auflesen und von neuem anfangen. Da stützte es einmal die Ellbogen auf den Tisch, legte sein Gesicht in beide Hände und rief: »Ist denn niemand auf Gottes Erdboden, der sich meiner erbarmt?«
Indem hörte es eine sanfte Stimme, die sprach: »Tröste dich, mein Kind, ich bin gekommen, um dir zu helfen.« Das Mädchen blickte auf, und eine alte Frau stand neben ihm. Sie faßte das Mädchen freundlich an der Hand und sprach: »Vertraue mir nur an, was dich drückt.« Da sie so herzlich sprach, so erzählte ihr das Mädchen von seinem traurigen Leben, daß ihm eine Last auf die andere gelegt würde und es mit den aufgegebenen Arbeiten nicht mehr zu Ende kommen könnte.
»Wenn ich mit diesen Federn heute abend nicht fertig bin, so schlägt mich die Stiefmutter; sie hat mir's angedroht, und ich weiß, sie hält Wort.« Ihre Tränen fingen wieder an zu fließen, aber die gute Alte sprach: »Sei unbesorgt, mein Kind, ruhe dich aus, ich will derweil deine Arbeit verrichten.« Das Mädchen legte sich auf sein Bett und schlief bald ein. Die Alte setzte sich an den Tisch bei die Federn, hu! wie flogen sie von den Kielen ab, die sie mit ihren dürren Händen kaum berührte. Bald war sie mit den zwölf Pfund fertig. Als das Mädchen erwachte, lagen große, schneeweiße Haufen aufgetürmt, und alles war im Zimmer reinlich aufgeräumt, aber die Alte war verschwunden. Das Mädchen dankte Gott und saß still, bis der Abend kam. Da trat die Stiefmutter herein und staunte über die vollbrachte Arbeit.
»Siehst du, Trulle«, sprach sie, »was man ausrichtet, wenn man fleißig ist? Hättest du nicht noch etwas anderes vornehmen können? Aber da sitzest du und legst die Hände in den Schoß.« Als sie hinausging, sprach sie: »Die Kreatur kann mehr als Brot essen, ich muß ihr schwerere Arbeit auflegen.«
Am andern Morgen rief sie das Mädchen und sprach: »Da hast du einen Löffel, damit schöpfe mir den großen Teich aus, der bei dem Garten liegt. Und wenn du damit abends nicht zu Rand gekommen bist, so weißt du, was erfolgt.« Das Mädchen nahm den Löffel und sah, daß er durchlöchert war, und wenn er es auch nicht gewesen wäre, es hätte nimmermehr damit den Teich ausgeschöpft. Es machte sich gleich an die Arbeit, kniete am Wasser, in das seine Tränen fielen, und schöpfte. Aber die gute Alte erschien wieder, und als sie die Ursache von seinem Kummer erfuhr, sprach sie: »Sei getrost, mein Kind, geh in das Gebüsch und lege dich schlafen, ich will deine Arbeit schon tun.« Als die Alte allein war, berührte sie nur den Teich; wie ein Dunst stieg das Wasser in die Höhe und vermischte sich mit den Wolken. Allmählich ward der Teich leer, und als das Mädchen vor Sonnenuntergang erwachte und herbeikam, so sah es nur noch die Fische, die in dem Schlamm zappelten. Es ging zu der Stiefmutter und zeigte ihr an daß die Arbeit vollbracht wäre.
»Du hättest längst fertig sein sollen«, sagte sie und ward blaß vor Ärger, aber sie sann etwas Neues aus.
Am dritten Morgen sprach sie zu dem Mädchen: »Dort in der Ebene mußt du mir ein schönes Schloß bauen, und zum Abend muß es fertig sein.« Das Mädchen erschrak und sagte: »Wie kann ich ein so großes Werk vollbringen?«
»Ich dulde keinen Widerspruch«, schrie die Stiefmutter, »kannst du mit einem durchlöcherten Löffel einen Teich ausschöpfen, so kannst du auch ein Schloß bauen. Noch heute will ich es beziehen, und wenn etwas fehlt, sei es das Geringste in Küche und Keller, so weißt du, was dir bevorsteht.« Sie trieb das Mädchen fort, und als es in das Tal kam, so lagen da die Felsen übereinander aufgetürmt; mit aller seiner Kraft konnte es den kleinsten nicht einmal bewegen. Es setzte sich nieder und weinte, doch hoffte es auf den Beistand der guten Alten. Sie ließ auch nicht lange auf sich warten, kam und sprach ihm Trost ein: »Lege dich nur dort in den Schatten und schlaf, ich will dir das Schloß schon bauen. Wenn es dir Freude macht, so kannst du selbst darin wohnen.«
Als das Mädchen weggegangen war, rührte die Alte die grauen Felsen an. Alsbald regten sie sich, rückten zusammen und standen da, als hätten Riesen die Mauer gebaut; darauf erhob sich das Gebäude, und es war, als ob unzählige Hände unsichtbar arbeiteten und Stein auf Stein legten. Der Boden dröhnte, große Säulen stiegen von selbst in die Höhe und stellten sich nebeneinander in Ordnung. Auf dem Dach legten sich die Ziegeln zurecht, und als es Mittag war, drehte sich schon die große Wetterfahne wie eine goldene Jungfrau mit fliegendem Gewand auf der Spitze des Turms. Das Innere des Schlosses war bis zum Abend vollendet. Wie es die Alte anfing, weiß ich nicht, aber die Wände der Zimmer waren mit Seide und Sammet bezogen, buntgestickte Stühle standen da und reichverzierte Armsessel an Tischen von Marmor, kristallne Kronleuchter hingen von der Bühne herab und spiegelten sich in dem glatten Boden; grüne Papageien saßen in goldenen Käfigen und fremde Vögel, die lieblich sangen; überall war eine Pracht, als wenn ein König da einziehen sollte.
Die Sonne wollte eben untergehen, als das Mädchen erwachte und ihm der Glanz von tausend Lichtern entgegenleuchtete. Mit schnellen Schritten kam es heran und trat durch das geöffnete Tor in das Schloß. Die Treppe war mit rotem Tuch belegt und das goldene Geländer mit blühenden Bäumen besetzt. Als es die Pracht der Zimmer erblickte, blieb es wie erstarrt stehen. Wer weiß, wie lang es so gestanden hätte, wenn ihm nicht der Gedanke an die Stiefmutter gekommen wäre. Ach, sprach es zu sich selbst, wenn sie doch endlich zufriedengestellt wäre und mir das Leben nicht länger zur Qual machen wollte. Das Mädchen ging und zeigte ihr an, daß das Schloß fertig wäre.
»Gleich will ich einziehen«, sagte sie und erhob sich von ihrem Sitz. Als sie in das Schloß eintrat, mußte sie die Hand vor die Augen halten, so blendete sie der Glanz. »Siehst du«, sagte sie zu dem Mädchen, »wie leicht dir's geworden ist, ich hätte dir etwas Schwereres aufgeben sollen.« Sie ging durch alle Zimmer und spürte in allen Ecken, ob etwas fehlte oder mangelhaft wäre, aber sie konnte nichts auffinden. »Jetzt wollen wir hinabsteigen«, sprach sie und sah das Mädchen mit boshaften Blicken an, »Küche und Keller muß noch untersucht werden, und hast du etwas vergessen, so sollst du deiner Strafe nicht entgehen.« Aber das Feuer brannte auf dem Herd, in den Töpfen kochten die Speisen, Kluft und Schippe waren angelehnt und an den Wänden das blanke Geschirr von Messing aufgestellt. Nichts fehlte, selbst nicht der Kohlenkasten und die Wassereimer. »Wo ist der Eingang zum Keller?« rief sie. »Wo der nicht mit Weinfässern reichlich angefüllt ist, so wird dir's schlimm ergehen.« Sie hob selbst die Falltüre auf und stieg die Treppe hinab, aber kaum hatte sie zwei Schritte getan, so stürzte die schwere Falltüre, die nur angelehnt war, nieder. Das Mädchen hörte einen Schrei, hob die Türe schnell auf, um ihr zu Hilfe zu kommen, aber sie war hinabgestürzt, und es fand sie entseelt auf dem Boden liegen.
Nun gehörte das prächtige Schloß dem Mädchen ganz allein. Es wußte sich in der ersten Zeit gar nicht in seinem Glück zu finden, schöne Kleider hingen in den Schränken, die Truhen waren mit Gold und Silber oder mit Perlen und Edelsteinen angefüllt, und es hatte keinen Wunsch, den es nicht erfüllen konnte. Bald ging der Ruf von der Schönheit und dem Reichtum des Mädchens durch die ganze Welt. Alle Tage meldeten sich Freier, aber keiner gefiel ihr. Endlich kam auch der Sohn eines Königs, der ihr Herz zu rühren wußte, und sie verlobte sich mit ihm. In dem Schloßgarten stand eine grüne Linde, darunter saßen sie eines Tages vertraulich zusammen, da sagte er zu ihr: »Ich will heimziehen und die Einwilligung meines Vaters zu unserer Vermählung holen; ich bitte dich, harre mein hier unter dieser Linde, in wenigen Stunden bin ich wieder zurück.« Das Mädchen küßte ihn auf den linken Backen und sprach: »Bleib mir treu, und laß dich von keiner andern auf diesen Backen küssen. Ich will hier unter der Linde warten, bis du wieder zurückkommst.«
Das Mädchen blieb unter der Linde sitzen, bis die Sonne unterging, aber er kam nicht wieder zurück. Sie saß drei Tage von Morgen bis Abend und erwartete ihn, aber vergeblich. Als er am vierten Tag noch nicht da war, so sagte sie: »Gewiß ist ihm ein Unglück begegnet, ich will ausgehen und ihn suchen und nicht eher wiederkommen, als bis ich ihn gefunden habe.« Sie packte drei von ihren schönsten Kleidern zusammen, eins mit glänzenden Sternen gestickt, das zweite mit silbernen Monden, das dritte mit goldenen Sonnen, band eine Handvoll Edelsteine in ihr Tuch und machte sich auf. Sie fragte allerorten nach ihrem Bräutigam, aber niemand hatte ihn gesehen, niemand wußte von ihm. Weit und breit wanderte sie durch die Welt, aber sie fand ihn nicht. Endlich vermietete sie sich bei einem Bauer als Hirtin und vergrub ihre Kleider und Edelsteine unter einem Stein.
Nun lebte sie als eine Hirtin, hütete ihre Herde, war traurig und voll Sehnsucht nach ihrem Geliebten. Sie hatte ein Kälbchen, das gewöhnte sie an sich, fütterte es aus der Hand, und wenn sie sprach:
»Kälbchen, Kälbchen, knie nieder,
vergiß nicht deine Hirtin wieder,
wie der Königssohn die Braut vergaß,
die unter der grünen Linde saß«,
so kniete das Kälbchen nieder und ward von ihr gestreichelt.
Als sie ein paar Jahre einsam und kummervoll gelebt hatte, so verbreitete sich im Lande das Gerücht, daß die Tochter des Königs ihre Hochzeit feiern wollte. Der Weg nach der Stadt ging an dem Dorf vorbei, wo das Mädchen wohnte, und es trug sich zu, als sie einmal ihre Herde austrieb, daß der Bräutigam vorüberzog. Er saß stolz auf seinem Pferd und sah sie nicht an, aber als sie ihn ansah, so erkannte sie ihren Liebsten. Es war, als ob ihr ein scharfes Messer in das Herz schnitte.
»Ach«, sagte sie, »ich glaubte, er wäre mir treu geblieben, aber er hat mich vergessen.«
Am andern Tag kam er wieder des Wegs. Als er in ihrer Nähe war, sprach sie zum Kälbchen:
»Kälbchen, Kälbchen, knie nieder,
vergiß nicht deine Hirtin wieder,
wie der Königssohn die Braut vergaß,
die unter der grünen Linde saß.«
Als er die Stimme vernahm, blickte er herab und hielt sein Pferd an. Er schaute der Hirtin ins Gesicht, hielt dann die Hand vor die Augen, als wollte er sich auf etwas besinnen, aber schnell ritt er weiter und war bald verschwunden. »Ach«, sagte sie, »er kennt mich nicht mehr«, und ihre Trauer ward immer größer.
Bald darauf sollte an dem Hofe des Königs drei Tage lang ein großes Fest gefeiert werden, und das ganze Land ward dazu eingeladen. Nun will ich das Letzte versuchen, dachte das Mädchen, und als der Abend kam, ging es zu dem Stein, unter dem es seine Schätze vergraben hatte. Sie holte das Kleid mit den goldnen Sonnen hervor, legte es an und schmückte sich mit den Edelsteinen. Ihre Haare, die sie unter einem Tuch verborgen hatte, band sie auf, und sie fielen in langen Locken an ihr herab. So ging sie nach der Stadt und ward in der Dunkelheit von niemand bemerkt. Als sie in den hellerleuchteten Saal trat, wichen alle voll Verwunderung zurück, aber niemand wußte, wer sie war. Der Königssohn ging ihr entgegen, doch er erkannte sie nicht. Er führte sie zum Tanz und war so entzückt über ihre Schönheit, daß er an die andere Braut gar nicht mehr dachte. Als das Fest vorüber war, verschwand sie im Gedränge und eilte vor Tagesanbruch in das Dorf, wo sie ihr Hirtenkleid wieder anlegte.
Am andern Abend nahm sie das Kleid mit den silbernen Monden heraus und steckte einen Halbmond von Edelsteinen in ihre Haare. Als sie auf dem Fest sich zeigte, wendeten sich alle Augen nach ihr, aber der Königssohn eilte ihr entgegen, und ganz von Liebe erfüllt, tanzte er mit ihr allein und blickte keine andere mehr an. Ehe sie wegging, mußte sie ihm versprechen, den letzten Abend nochmals zum Fest zu kommen.
Als sie zum drittenmal erschien, hatte sie das Sternenkleid an, das bei jedem ihrer Schritte funkelte, und Haarband und Gürtel waren Sterne von Edelsteinen. Der Königssohn hatte schon lange auf sie gewartet und drängte sich zu ihr hin.
»Sage mir nur, wer du bist«, sprach er, »mir ist, als wenn ich dich schon lange gekannt hätte.«
»Weißt du nicht«, antwortete sie, »was ich tat, als du von mir schiedest?« Da trat sie zu ihm heran und küßte ihn auf den linken Backen; in dem Augenblick fiel es wie Schuppen von seinen Augen, und er erkannte die wahre Braut.
»Komm«, sagte er zu ihr, »hier ist meines Bleibens nicht länger«, reichte ihr die Hand und führte sie hinab zu dem Wagen. Als wäre der Wind vorgespannt, so eilten die Pferde zu dem Wunderschloß. Schon von weitem glänzten die erleuchteten Fenster. Als sie bei der Linde vorbeifuhren, schwärmten unzählige Glühwürmer darin, sie schüttelte ihre Äste und sendete ihre Düfte herab. Auf der Treppe blühten die Blumen, aus dem Zimmer schallte der Gesang der fremden Vögel, aber in dem Saal stand der ganze Hof versammelt, und der Priester wartete, um den Bräutigam mit der wahren Braut zu vermählen.

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Die Märchen der Brüder

Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich

In alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, lebte einmal ein König, der hatte wunderschöne Töchter. Die jüngste von ihnen war so schön, daß die Sonne selber, die doch so vieles schon gesehen hat, sich verwundene, sooft sie ihr ins Gesicht schien. Nahe bei dem Schlosse war ein großer, dunkler Wald, und mitten darin, unter einer alten Linde, war ein Brunnen. Wenn nun der Tag recht heiß war, ging die jüngste Prinzessin hinaus in den Wald und setzte sich an den Rand des kühlen Brunnens. Und wenn sie Langeweile hatte, nahm sie eine goldene Kugel, warf sie in die Höhe und fing sie wieder auf. Das war ihr liebstes Spiel.
Nun trug es sich einmal zu, daß die goldene Kugel der Königstochter nicht in die Händchen fiel, sondern auf die Erde schlug und gerade in den Brunnen hineinrollte. Die Königstochter folgte ihr mit den Augen nach, aber die Kugel verschwand, und der Brunnen war tief, so tief, daß man keinen Grund sah.
Da fing die Prinzessin an zu weinen und weinte immer lauter und konnte sich gar nicht trösten. Als sie so klagte, rief ihr plötzlich jemand zu: "Was hast du nur, Königstochter? Du schreist ja, daß sich ein Stein erbarmen möchte."
Sie sah sich um, woher die Stimme käme, da erblickte sie einen Frosch, der seinen dicken, häßlichen Kopf aus dem Wasser streckte. "Ach, du bist's, alter Wasserpatscher", sagte sie. "Ich weine über meine goldene Kugel, die mir in den Brunnen hinabgefallen ist."
"Sei still und weine nicht", antwortete der Frosch, "ich kann wohl Rat schaffen. Aber was gibst du mir, wenn ich dein Spielzeug wieder heraufhole?"
"Was du haben willst, lieber Frosch", sagte sie, "meine Kleider, meine Perlen und Edelsteine, auch noch die goldene Krone, die ich trage."
Der Frosch antwortete: "Deine Kleider, deine Perlen und Edelsteine und deine goldene Krone, die mag ich nicht. Aber wenn du mich liebhaben willst und ich dein Geselle und Spielkamerad sein darf, wenn ich an deinem Tischlein neben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherlein trinken, in deinem Bettlein schlafen darf, dann will ich hinuntersteigen und dir die goldene Kugel heraufholen."
"Ach, ja", sagte sie, "ich verspreche dir alles, was du willst, wenn du mir nur die Kugel wiederbringst." Sie dachte aber, der einfältige Frosch mag schwätzen, was er will, der sitzt doch im Wasser bei seinesgleichen und quakt und kann keines Menschen Geselle sein!
Als der Frosch das Versprechen der Königstochter erhalten hatte, tauchte er seinen Kopf unter, sank hinab, und über ein Weilchen kam er wieder heraufgerudert, hatte die Kugel im Maul und warf sie ins Gras. Die Königstochter war voll Freude, als sie ihr schönes Spielzeug wiedererblickte, hob es auf und sprang damit fort.
"Warte, warte!" rief der Frosch. "Nimm mich mit, ich kann nicht so laufen wie du!" Aber was half es ihm, daß er ihr sein Quak-quak so laut nachschrie, wie er nur konnte! Sie hörte nicht darauf, eilte nach Hause und hatte den Frosch bald vergessen.
Am andern Tag, als sie sich mit dem König und allen Hofleuten zur Tafel gesetzt hatte und eben von ihrem goldenen Tellerlein aß, da kam, plitsch platsch, plitsch platsch, etwas die Marmortreppe heraufgekrochen. Als es oben angelangt war, klopfte es an die Tür und rief. "Königstochter, jüngste, mach mir auip"
Sie lief und wollte sehen, wer draußen wäre. Als sie aber aufmachte, saß der Frosch vor der Tür. Da warf sie die Tür hastig zu, setzte sich wieder an den Tisch, und es war ihr ganz ängstlich zumute.
Der König sah wohl, daß ihr das Herz gewaltig klopfte, und sprach: "Mein Kind, was fürchtest du dich? Steht etwa ein Riese vor der Tür und will dich holen?"
"Ach, nein", antwortete sie, "es ist kein Riese, sondern ein garstiger Frosch."
"Was will der Frosch von dir?"
"Ach, lieber Vater, als ich gestern im Wald bei dem Brunnen saß und spielte, fiel meine goldene Kugel ins Wasser. Als ich deshalb weinte, hat sie mir der Frosch heraufgeholt. Und weil er es durchaus verlangte, versprach ich ihm, er sollte mein Spielgefährte werden. Ich dachte aber nimmermehr, daß er aus seinem Wasser käme. Nun ist er draußen und will zu mir herein."
Da klopfte es zum zweiten Mal, und eine Stimme rief:
"Königstochter, jüngste,
Mach mir auf!
Weißt du nicht, was gestern
Du zu mir gesagt
Bei dem kühlen Brunnenwasser?
Königstochter, jüngste,
Mach mir auf!"
Da sagte der König: "Was du versprochen hast, das mußt du auch halten! Geh nur und mach ihm auf!"
Sie ging und öffnete die Tür. Da hüpfte der Frosch herein und hüpfte ihr immer nach bis zu ihrem Stuhl. Dort blieb er sitzen und rief: "Heb mich hinauf zu dir!" Sie zauderte, bis es endlich der König befahl. Als der Frosch auf dem Stuhl war, wollte er auf den Tisch, und als er da saß, sprach er: "Nun schieb rnir dein goldenes Tellerlein näher, damit wir mitsammen essen können." Der Frosch ließ sich's gut schmecken, ihr aber blieb fast jeder Bissen im Halse stecken.
Endlich sprach der Frosch: "Ich habe mich satt gegessen und bin müde. Nun trag mich in dein Kämmerlein und mach dein seidenes Bettlein zurecht!" Die Königstochter fing an zu weinen und fürchtete sich vor dem kalten Frosch, den sie sich nicht anzurühren getraute und der nun in ihrem schönen, reinen Bettlein schlafen sollte.
Der König aber wurde zornig und sprach: "Wer dir geholfen hat, als du in Not warst, den sollst du hernach nicht verachten!"
Da packte sie den Frosch mit zwei Fingern, trug ihn hinauf in ihr Kämmerlein und setzte ihn dort in eine Ecke. Als sie aber im Bette lag, kam er gekrochen und sprach: "Ich will schlafen so gut wie du. Heb mich hinauf, oder ich sag's deinem Vater!"
Da wurde sie bitterböse, holte ihn herauf und warf ihn gegen die Wand. "Nun wirst du Ruhe geben", sagte sie, "du garstiger Frosch!" Als er aber herabfiel, war er kein Frosch mehr, sondern ein Königssohn mit schönen freundlichen Augen. Der war nun nach ihres Vaters Willen ihr lieber Geselle und Gemahl. Er erzählte ihr, er wäre von einer bösen Hexe verwünscht worden, und niemand hätte ihn aus dem Brunnen erlösen können als sie allein, und morgen wollten sie mitsammen in sein Reich gehen.
Und wirklich, am anderen Morgen kam ein Wagen herangefahren, mit acht weißen Pferden bespannt, die hatten weiße Straußfedern auf dem Kopf und gingen in goldenen Ketten. Hinten auf dem Wagen aber stand der Diener des jungen Königs, das war der treue Heinrich.
Der treue Heinrich hatte sich so gekränkt, als sein Herr in einen Frosch verwandelt worden war, daß er drei eiserne Bänder um sein Herz hatte legen lassen, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspränge.
Der Wagen sollte nun den jungen König in sein Reich holen. Der treue Heinrich hob ihn und seine unge Gemahlin hinein, stellte sich wieder hinten hinauf und war voll Freude über die Erlösung seines Herrn. Als sie ein Stück des Weges gefahren waren, hörte der Königssohn, daß es hinter ihm krachte, als ob etwas zerbrochen wäre. Da drehte er sich um und rief:
"Heinrich, der Wagen bricht!"
"Nein, Herr, der Wagen nicht,
Es ist ein Band von meinem Herzen,
Das da lag in großen Schmerzen,
Als Ihr in dem Brunnen saßt
Und in einen Frosch verzaubert wart."
Noch einmal und noch einmal krachte es auf dem Weg, und der Königssohn meinte immer, der Wagen bräche. Doch es waren nur die Bänder, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein Herr nun erlöst und glücklich war.

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Der Gevatter Tod

Es hatte ein armer Mann zwölf Kinder und mußte Tag und Nacht arbeiten, damit er ihnen nur Brot geben konnte. Als nun das dreizehnte zur Welt kam, wußte er sich seiner Not nicht zu helfen, lief hinaus auf die große Landstraße und wollte den ersten, der ihm begegnete, zu Gevatter bitten. Der erste, der ihm begegnete, das war der liebe Gott, der wußte schon, was er auf dem Herzen hatte, und sprach zu ihm 'armer Mann, du dauerst mich, ich will dein Kind aus der Taufe heben, will für es sorgen und es glücklich machen auf Erden.' Der Mann sprach 'wer bist du?' 'Ich bin der liebe Gott.' 'So begehr ich dich nicht zu Gevatter,' sagte der Mann, 'du gibst dem Reichen und lässest den Armen hungern.' Das sprach der Mann, weil er nicht wußte, wie weislich Gott Reichtum und Armut verteilt. Also wendete er sich von dem Herrn und ging weiter. Da trat der Teufel zu ihm und sprach 'was suchst du? willst du mich zum Paten deines Kindes nehmen, so will ich ihm Gold die Hülle und Fülle und alle Lust der Welt dazu geben.' Der Mann fragte 'wer bist du?' 'Ich bin der Teufel.' 'So begehr ich dich nicht zum Gevatter,' sprach der Mann, 'du betrügst und verführst die Menschen.' Er ging weiter, da kam der dürrbeinige Tod auf ihn zugeschritten und sprach 'nimm mich zu Gevatter.' Der Mann fragte 'wer bist du?' 'Ich bin der Tod, der alle gleich macht.' Da sprach der Mann 'du bist der rechte, du holst den Reichen wie den Armen ohne Unterschied, du sollst mein Gevattersmann sein.' Der Tod antwortete 'ich will dein Kind reich und berühmt machen, denn wer mich zum Freunde hat, dem kanns nicht fehlen.' Der Mann sprach 'künftigen Sonntag ist die Taufe, da stelle dich zu rechter Zeit ein.' Der Tod erschien, wie er versprochen hatte, und stand ganz ordentlich Gevatter.
Als der Knabe zu Jahren gekommen war, trat zu einer Zeit der Pate ein und hieß ihn mitgehen. Er führte ihn hinaus in den Wald, zeigte ihm ein Kraut, das da wuchs, und sprach 'jetzt sollst du dein Patengeschenk empfangen. Ich mache dich zu einem berühmten Arzt. Wenn du zu einem Kranken gerufen wirst, so will ich dir jedesmal erscheinen: steh ich zu Häupten des Kranken, so kannst du keck sprechen, du wolltest ihn wieder gesund machen, und gibst du ihm dann von jenem Kraut ein, so wird er genesen; steh ich aber zu Füßen des Kranken, so ist er mein, und du mußt sagen, alle Hilfe sei umsonst, und kein Arzt in der Welt könne ihn retten. Aber hüte dich, daß du das Kraut nicht gegen meinen Willen gebrauchst, es könnte dir schlimm ergehen.'
Es dauerte nicht lange, so war der Jüngling der berühmteste Arzt auf der ganzen Welt. 'Er braucht nur den Kranken anzusehen, so weiß er schon, wie es steht, ob er wieder gesund wird, oder ob er sterben muß,' so hieß es von ihm, und weit und breit kamen die Leute herbei, holten ihn zu den Kranken und gaben ihm so viel Gold, daß er bald ein reicher Mann war. Nun trug es sich zu, daß der König erkrankte: der Arzt ward berufen und sollte sagen, ob Genesung möglich wäre. Wie er aber zu dem Bette trat, so stand der Tod zu den Füßen des Kranken, und da war für ihn kein Kraut mehr gewachsen. 'Wenn ich doch einmal den Tod überlisten könnte,' dachte der Arzt, 'er wirds freilich übelnehmen, aber da ich sein Pate bin, so drückt er wohl ein Auge zu: ich wills wagen.' Er faßte also den Kranken und legte ihn verkehrt, so daß der Tod zu Häupten desselben zu stehen kam. Dann gab er ihm von dem Kraute ein, und der König erholte sich und ward wieder gesund. Der Tod aber kam zu dem Arzte, machte ein böses und finsteres Gesicht, drohte mit dem Finger und sagte 'du hast mich hinter das Licht geführt: diesmal will ich dirs nachsehen, weil du mein Pate bist, aber wagst du das noch einmal, so geht dirs an den Kragen, und ich nehme dich selbst mit fort.'
Bald hernach verfiel die Tochter des Königs in eine schwere Krankheit. Sie war sein einziges Kind, er weinte Tag und Nacht, daß ihm die Augen erblindeten, und ließ bekanntmachen, wer sie vom Tode errettete, der sollte ihr Gemahl werden und die Krone erben. Der Arzt, als er zu dem Bette der Kranken kam, erblickte den Tod zu ihren Füßen. Er hätte sich der Warnung seines Paten erinnern sollen, aber die große Schönheit der Königstochter und das Glück, ihr Gemahl zu werden, betörten ihn so, daß er alle Gedanken in den Wind schlug. Er sah nicht, daß der Tod ihm zornige Blicke zuwarf, die Hand in die Höhe hob und mit der dürren Faust drohte; er hob die Kranke auf, und legte ihr Haupt dahin, wo die Füße gelegen hatten. Dann gab er ihr das Kraut ein, und alsbald röteten sich ihre Wangen, und das Leben regte sich von neuem.
Der Tod, als er sich zum zweitenmal um sein Eigentum betrogen sah, ging mit langen Schritten auf den Arzt zu und sprach 'es ist aus mit dir und die Reihe kommt nun an dich,' packte ihn mit seiner eiskalten Hand so hart, daß er nicht widerstehen konnte, und führte ihn in eine unterirdische Höhle. Da sah er, wie tausend und tausend Lichter in unübersehbaren Reihen brannten' einige groß, andere halbgroß, andere klein.
Jeden Augenblick verloschen einige, und andere brannten wieder auf, also daß die Flämmchen in beständigem Wechsel hinund herzuhüpfen schienen. 'Siehst du,' sprach der Tod, 'das sind die Lebenslichter der Menschen. Die großen gehören Kindern, die halbgroßen Eheleuten in ihren besten Jahren, die kleinen gehören Greisen. Doch auch Kinder und junge Leute haben oft nur ein kleines Lichtchen.' 'Zeige mir mein Lebenslicht,' sagte der Arzt und meinte, es vväre noch recht groß. Der Tod deutete auf ein kleines Endchen, das eben auszugehen drohte, und sagte 'siehst du, da ist es.' 'Ach, lieber Pate,' sagte der erschrockene Arzt, 'zündet mir ein neues an, tut mirs zuliebe, damit ich meines Lebens genießen kann, König werde und Gemahl der schönen Königstochter.' 'Ich kann nicht,' antwortete der Tod, 'erst muß eins verlöschen, eh ein neues anbrennt.' 'So setzt das alte auf ein neues, das gleich fortbrennt, wenn jenes zu Ende ist,' bat der Arzt. Der Tod stellte sich, als ob er seinen Wunsch erfüllen wollte, langte ein frisches großes Licht herbei: aber weil er sich rächen wollte, versah ers beim Umstecken absichtlich, und das Stückchen fiel um und verlosch. Alsbald sank der Arzt zu Boden, und war nun selbst in die Hand des Todes geraten.

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Der starke Hans

Es war einmal ein Mann und eine Frau, die hatten nur ein einziges Kind und lebten in einem abseits gelegenen Tale ganz allein. Es trug sich zu, daß die Mutter einmal ins Holz ging, Tannenreiser zu lesen, und den kleinen Hans, der erst zwei Jahr alt war, mitnahm. Da es gerade in der Frühlingszeit war und das Kind seine Freude an den bunten Blumen hatte, so ging sie immer weiter mit ihm in den Wald hinein.
Plötzlich sprangen aus dem Gebüsch zwei Räuber hervor, packten die Mutter und das Kind und führten sie tief in den schwarzen Wald, wo jahraus, jahrein kein Mensch hinkam. Die arme Frau bat die Räuber inständig, sie mit ihrem Kinde freizulassen, aber das Herz der Räuber war von Stein; sie hörten nicht auf ihr Bitten und Flehen und trieben sie mit Gewalt an weiterzugehen.
Nachdem sie etwa zwei Stunden durch Stauden und Dörner sich hatten durcharbeiten müssen, kamen sie zu einem Felsen, wo eine Türe war, an welche die Räuber klopften und die sich alsbald öffnete. Sie mußten durch einen langen, dunkelen Gang und kamen endlich in eine große Höhle, die von einem Feuer, das auf dem Herd brannte, erleuchtet war. An der Wand hingen Schwerter, Säbel und andere Mordgewehre, die in dem Lichte blinkten, und in der Mitte stand ein schwarzer Tisch, an dem vier andere Räuber saßen und spielten, und obenan saß der Hauptmann. Dieser kam, als er die Frau sah, herbei, redete sie an und sagte, sie sollte nur ruhig und ohne Angst sein, sie täten ihr nichts zuleid, aber sie müßte das Hauswesen besorgen, und wenn sie alles in Ordnung hielte, so sollte sie es nicht schlimm bei ihnen haben. Darauf gaben sie ihr etwas zu essen und zeigten ihr ein Bett, wo sie mit ihrem Kinde schlafen könnte.
Die Frau blieb viele Jahre bei den Räubern, und Hans ward groß und stark. Die Mutter erzählte ihm Geschichten und lehrte ihn in einem alten Ritterbuch, das sie in der Höhle fand, lesen. Als Hans neun Jahre alt war, machte er sich aus einem Tannenast einen starken Knüttel und versteckte ihn hinter das Bett; dann ging er zu seiner Mutter und sprach: »Liebe Mutter, sage mir jetzt einmal, wer mein Vater ist, ich will und muß es wissen.« Die Mutter schwieg still und wollte es ihm nicht sagen, damit er nicht das Heimweh bekäme; sie wußte auch, daß die gottlosen Räuber den Hans doch nicht fortlassen würden; aber es hätte ihr fast das Herz zersprengt, daß Hans nicht sollte zu seinem Vater kommen.
In der Nacht, als die Räuber von ihrem Raubzug heimkehrten, holte Hans seinen Knüttel hervor, stellte sich vor den Hauptmann und sagte: »Jetzt will ich wissen, wer mein Vater ist, und wenn du mir's nicht gleich sagst, so schlag ich dich nieder.« Da lachte der Hauptmann und gab dem Hans eine Ohrfeige, daß er unter den Tisch kugelte. Hans machte sich wieder auf, schwieg und dachte: Ich will noch ein Jahr warten und es dann noch einmal versuchen, vielleicht geht's besser.
Als das Jahr herum war, holte er seinen Knüttel wieder hervor, wischte den Staub ab, betrachtete ihn und sprach: »Es ist ein tüchtiger, wackerer Knüttel.« Nachts kamen die Räuber heim, tranken Wein, einen Krug nach dem anderen, und fingen an die Köpfe zu hängen. Da holte der Hans seinen Knüttel herbei, stellte sich wieder vor den Hauptmann und fragte ihn, wer sein Vater wäre. Der Hauptmann gab ihm abermals eine so kräftige Ohrfeige, daß Hans unter den Tisch rollte, aber es dauerte nicht lange, so war er wieder oben und schlug mit seinem Knüttel auf den Hauptmann und die Räuber, daß sie Arme und Beine nicht mehr regen konnten. Die Mutter stand in einer Ecke und war voll Verwunderung über seine Tapferkeit und Stärke. Als Hans mit seiner Arbeit fertig war, ging er zu seiner Mutter und sagte: »Jetzt ist mir's Ernst gewesen, aber jetzt muß ich auch wissen, wer mein Vater ist.«
»Lieber Hans«, antwortete die Mutter, »komm, wir wollen gehen und ihn suchen, bis wir ihn finden.« Sie nahm dem Hauptmann den Schlüssel zu der Eingangstüre ab, und Hans holte einen großen Mehlsack, packte Gold, Silber, und was er sonst noch für schöne Sachen fand, zusammen, bis er voll war, und nahm ihn dann auf den Rücken. Sie verließen die Höhle, aber was tat Hans die Augen auf, als er aus der Finsternis heraus in das Tageslicht kam und den grünen Wald, Blumen und Vögel und die Morgensonne am Himmel erblickte. Er stand da und staunte alles an, als wenn er nicht recht gescheit wäre. Die Mutter suchte den Weg nach Haus, und als sie ein paar Stunden gegangen waren, so kamen sie glücklich in ihr einsames Tal und zu ihrem Häuschen.
Der Vater saß unter der Türe, er weinte vor Freude, als er seine Frau erkannte und hörte, daß Hans sein Sohn war, die er beide längst für tot gehalten hatte. Aber Hans, obgleich erst zwölf Jahr alt, war doch einen Kopf größer als sein Vater. Sie gingen zusammen in das Stübchen, aber kaum hatte Hans seinen Sack auf die Ofenbank gesetzt, so fing das ganze Haus an zu krachen, die Bank brach ein und dann auch der Fußboden, und der schwere Sack sank in den Keller hinab.
»Gott behüte uns«, rief der Vater, »was ist das? Jetzt hast du unser Häuschen zerbrochen.«
»Laßt Euch keine graue Haare darüber wachsen, lieber Vater«, antwortete Hans, »da in dem Sack steckt mehr, als für ein neues Haus nötig ist.« Der Vater und Hans fingen auch gleich an, ein neues Haus zu bauen, Vieh zu erhandeln und Land zu kaufen und zu wirtschaften. Hans ackerte die Felder, und wenn er hinter dem Pflug ging und ihn in die Erde hineinschob, so hatten die Stiere fast nicht nötig zu ziehen.
Den nächsten Frühling sagte Hans: »Vater, behaltet alles Geld, und laßt mir einen zentnerschweren Spazierstab machen, damit ich in die Fremde gehen kann.« Als der verlangte Stab fertig war, verließ er seines Vaters Haus, zog fort und kam in einen tiefen und finstern Wald. Da hörte er etwas knistern und knastern, schaute um sich und sah eine Tanne, die von unten bis oben wie ein Seil gewunden war; und wie er die Augen in die Höhe richtete, so erblickte er einen großen Kerl, der den Baum gepackt hatte und ihn wie eine Weidenrute umdrehte. »He!« rief Hans, »was machst du da droben?« Der Kerl antwortete: »Ich habe gestern Reiswellen zusammengetragen und will mir ein Seil dazu drehen.« - Das laß ich mir gefallen, dachte Hans, der hat Kräfte, und rief ihm zu: »Laß du das gut sein, und komm mit mir.« Der Kerl kletterte von oben herab und war einen ganzen Kopf größer als Hans, und der war doch auch nicht klein. »Du heißest jetzt Tannendreher«, sagte Hans zu ihm.
Sie gingen darauf weiter und hörten etwas klopfen und hämmern, so stark, daß bei jedem Schlag der Erdboden zitterte. Bald darauf kamen sie zu einem mächtigen Felsen, vor dem stand ein Riese und schlug mit der Faust große Stücke davon ab. Als Hans fragte, was er da vorhätte, antwortete er: »Wenn ich nachts schlafen will, so kommen Bären, Wölfe und anderes Ungeziefer der Art, die schnuppern und schnuffeln an mir herum und lassen mich nicht schlafen, da will ich mir ein Haus bauen und mich hineinlegen, damit ich Ruhe habe.« - Ei ja wohl, dachte Hans, den kannst du auch noch brauchen, und sprach zu ihm: »Laß das Hausbauen gut sein, und geh mit mir, du sollst der Felsenklipperer heißen.« Er willigte ein, und sie strichen alle drei durch den Wald hin, und wo sie hinkamen, da wurden die wilden Tiere aufgeschreckt und liefen vor ihnen weg.
Abends kamen sie in ein altes, verlassenes Schloß, stiegen hinauf und legten sich in den Saal schlafen. Am andern Morgen ging Hans hinab in den Garten, der war ganz verwildert und stand voll Dörner und Gebüsch. Und wie er so herumging, sprang ein Wildschwein auf ihn los; er gab ihm aber mit seinem Stab einen Schlag, daß es gleich niederfiel. Dann nahm er es auf die Schulter und brachte es hinauf; da steckten sie es an einen Spieß, machten sich einen Braten zurecht und waren guter Dinge. Nun verabredeten sie, daß jeden Tag, der Reihe nach, zwei auf die Jagd gehen sollten und einer daheim bleiben und kochen, für jeden neun Pfund Fleisch.
Den ersten Tag blieb der Tannendreher daheim, und Hans und der Felsenklipperer gingen auf die Jagd. Als der Tannendreher beim Kochen beschäftigt war, kam ein kleines, altes, zusammengeschrumpeltes Männchen zu ihm auf das Schloß und forderte Fleisch.
»Pack dich, Duckmäuser«, antwortete er, »du brauchst kein Fleisch.« Aber wie verwunderte sich der Tannendreher, als das kleine, unscheinbare Männlein an ihm hinaufsprang und mit Fäusten so auf ihn losschlug, daß er sich nicht wehren konnte, zur Erde fiel und nach Atem schnappte. Das Männlein ging nicht eher fort, als bis es seinen Zorn völlig an ihm ausgelassen hatte. Als die zwei andern von der Jagd heimkamen, sagte ihnen der Tannendreher nichts von dem alten Männchen und den Schlägen, die er bekommen hatte, und dachte: Wenn sie daheim bleiben, so können sie's auch einmal mit der kleinen Kratzbürste versuchen, und der bloße Gedanke machte ihm schon Vergnügen.
Den folgenden Tag blieb der Steinklipperer daheim, und dem ging es geradeso wie dem Tannendreher, er ward von dem Männlein übel zugerichtet, weil er ihm kein Fleisch hatte geben wollen. Als die andern abends nach Haus kamen, sah es ihm der Tannendreher wohl an, was er erfahren hatte, aber beide schwiegen still und dachten: Der Hans muß auch von der Suppe kosten.
Der Hans, der den nächsten Tag daheim bleiben mußte, tat seine Arbeit in der Küche, wie sich's gebührte, und als er oben stand und den Kessel abschaumte, kam das Männchen und forderte ohne weiteres ein Stück Fleisch. Da dachte Hans: Es ist ein armer Wicht, ich will ihm von meinem Anteil geben, damit die andern nicht zu kurz kommen, und reichte ihm ein Stück Fleisch. Als es der Zwerg verzehrt hatte, verlangte er nochmals Fleisch, und der gutmütige Hans gab es ihm und sagte, da wäre noch ein schönes Stück, damit sollte er zufrieden sein. Der Zwerg forderte aber zum drittenmal.
»Du wirst unverschämt«, sagte Hans und gab ihm nichts. Da wollte der boshafte Zwerg an ihm hinaufspringen und ihn wie den Tannendreher und Felsenklipperer behandeln, aber er kam an den Unrechten. Hans gab ihm, ohne sich anzustrengen, ein paar Hiebe, daß er die Schloßtreppe hinabsprang. Hans wollte ihm nachlaufen, fiel aber, so lang er war, über ihn hin. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, war ihm der Zwerg voraus. Hans eilte ihm bis in den Wald nach und sah, wie er in eine Felsenhöhle schlüpfte. Hans kehrte nun heim, hatte sich aber die Stelle gemerkt.
Die beiden andern, als sie nach Haus kamen, wunderten sich, daß Hans so wohlauf war. Er erzählte ihnen, was sich zugetragen hatte, und da verschwiegen sie nicht länger, wie es ihnen ergangen war. Hans lachte und sagte: »Es ist euch ganz recht, warum seid ihr so geizig mit eurem Fleisch gewesen, aber es ist eine Schande, ihr seid so groß und habt euch von dem Zwerge Schläge geben lassen.«
Sie nahmen darauf Korb und Seil und gingen alle drei zu der Felsenhöhle, in welche der Zwerg geschlüpft war, und ließen den Hans mit seinem Stab im Korb hinab. Als Hans auf dem Grund angelangt war, fand er eine Türe, und als er sie öffnete, saß da eine bildschöne Jungfrau, nein, so schön, daß es nicht zu sagen ist, und neben ihr saß der Zwerg und grinste den Hans an wie eine Meerkatze. Sie aber war mit Ketten gebunden und blickte ihn so traurig an, daß Hans großes Mitleid empfand und dachte: Du mußt sie aus der Gewalt des bösen Zwerges erlösen, und gab ihm einen Streich mit seinem Stab, daß er tot niedersank.
Alsbald fielen die Ketten von der Jungfrau ab, und Hans war wie verzückt über ihre Schönheit. Sie erzählte ihm, sie wäre eine Königstochter, die ein wilder Graf aus ihrer Heimat geraubt und hier in den Felsen eingesperrt hätte, weil sie nichts von ihm hätte wissen wollen; den Zwerg aber hätte der Graf zum Wächter gesetzt, und er hätte ihr Leid und Drangsal genug angetan.
Darauf setzte Hans die Jungfrau in den Korb und ließ sie hinaufziehen. Der Korb kam wieder herab, aber Hans traute den beiden Gesellen nicht und dachte: Sie haben sich schon falsch gezeigt und dir nichts von dem Zwerg gesagt, wer weiß, was sie gegen dich im Schild führen. Da legte er seinen Stab in den Korb, und das war sein Glück, denn als der Korb halb in der Höhe war, ließen sie ihn fallen, und hätte Hans wirklich darin gesessen, so wäre es sein Tod gewesen. Aber nun wußte er nicht, wie er sich aus der Tiefe herausarbeiten sollte, und wie er hin und her dachte, er fand keinen Rat.
»Es ist doch traurig«, sagte er, »daß du da unten verschmachten sollst.« Und als er so auf und ab ging, kam er wieder zu dem Kämmerchen, wo die Jungfrau gesessen hatte, und sah, daß der Zwerg einen Ring am Finger hatte, der glänzte und schimmerte. Da zog er ihn ab und steckte ihn an, und als er ihn am Finger umdrehte, so hörte er plötzlich etwas über seinem Kopf rauschen. Er blickte in die Höhe und sah da Luftgeister schweben, die sagten, er wäre ihr Herr, und fragten, was sein Begehren wäre.
Hans war anfangs ganz verstummt, dann aber sagte er, sie sollten ihn hinauftragen. Augenblicklich gehorchten sie, und es war nicht anders, als flöge er hinauf. Als er aber oben war, so war kein Mensch mehr zu sehen, und als er in das Schloß ging, so fand er auch dort niemand. Der Tannendreher und der Felsenklipperer waren fortgeeilt und hatten die schöne Jungfrau mitgeführt. Aber Hans drehte den Ring, da kamen die Luftgeister und sagten ihm, die zwei wären auf dem Meer. Hans lief und lief in einem fort, bis er zu dem Meeresstrand kam, da erblickte er weit, weit auf dem Wasser ein Schiffchen, in welchem seine treulosen Gefährten saßen. Und im heftigen Zorn sprang er, ohne sich zu besinnen, mitsamt seinem Stab ins Wasser und fing an zu schwimmen, aber der zentnerschwere Stab zog ihn tief hinab, daß er fast ertrunken wäre.
Da drehte er noch zu rechter Zeit den Ring, alsbald kamen die Luftgeister und trugen ihn, so schnell wie der Blitz, in das Schiffchen. Da schwang er seinen Stab und gab den bösen Gesellen den verdienten Lohn und warf sie hinab ins Wasser; dann aber ruderte er mit der schönen Jungfrau, die in den größten Ängsten gewesen war und die er zum zweiten Male befreit hatte, heim zu ihrem Vater und ihrer Mutter und ward mit ihr verheiratet, und haben alle sich gewaltig gefreut.


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Der Wolf und die sieben jungen Geißlein

Es war einmal eine alte Geiß, die hatte sieben junge Geißlein. Sie hatte sie so lieb, wie eben eine Mutter ihre Kinder liebhat. Eines Tages wollte sie in den Wald gehen und Futter holen. Da rief sie alle sieben herbei und sprach: "Liebe Kinder, ich muß hinaus in den Wald. Seid inzwischen brav, sperrt die Türe gut zu und nehmt euch in acht vor dem Wolf! Wenn er hereinkommt, frißt er euch mit Haut und Haaren. Der Bösewicht verstellt sich oft, aber an seiner rauhen Stimme und an seinen schwarzen Füßen werdet ihr ihn gleich erkennen."
Die Geißlein sagten: "Liebe Mutter, wir wollen uns schon in acht nehmen, du kannst ohne Sorge fortgehen." Da meckerte die Alte und machte sich getrost auf den Weg.
Es dauerte nicht lange, da klopfte jemand an die Haustür und rief: "Macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht!" Aber die Geißlein hörten an der rauhen Stimme, daß es der Wolf war. "Wir machen nicht auf", riefen sie, "du bist nicht unsere Mutter. Die hat eine feine und liebliche Stimme, deine Stimme aber ist rauh. Du bist der Wolf!"
Da ging der Wolf fort zum Krämer und kaufte sich ein großes Stück Kreide. Er aß es auf und machte damit seine Stimme fein. Dann kam er zurück, klopfte an die Haustür und rief: "Macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht!"
Aber der Wolf hatte seine schwarze Pfote auf das Fensterbrett gelegt. Das sahen die Kinder und riefen: "Wir machen nicht auf! Unsere Mutter hat keinen schwarzen Fuß wie du. Du bist der Wolf!"
Da lief der Wolf zum Bäcker und sprach: "Ich habe mir den Fuß angestoßen, streich mir Teig darüber!"
Als ihm der Bäcker die Pfote bestrichen hatte, lief er zum Müller und sprach: "Streu mir weißes Mehl auf meine Pfote!" Der Müller dachte, der Wolf wolle jemanden betrügen, und weigerte sich. Aber der Wolf sprach: "Wenn du es nicht tust, fresse ich dich!" Da fürchtete sich der Müller und machte ihm die Pfote weiß.
Nun ging der Bösewicht zum dritten Mal zu der Haustür, klopfte an und sprach: "Macht auf, Kinder, euer liebes Mütterchen ist heimgekommen und hat jedem von euch etwas aus dem Wald mitgebracht!"
Die Geißlein riefen: "Zeig uns zuerst deine Pfote, damit wir wissen, daß du unser liebes Mütterchen bist."
Da legte der Wolf die Pfote auf das Fensterbrett. Als die Geißlein sahen, daß sie weiß war, glaubten sie, es wäre alles wahr, was er sagte, und machten die Türe auf.
Wer aber hereinkam, war der Wolf! Die Geißlein erschraken und wollten sich verstecken. Das eine sprang unter den Tisch, das zweite ins Bett, das dritte in den Ofen, das vierte in die Küche, das fünfte in den Schrank, das sechste unter die Waschschüssel, das siebente in den Kasten der Wanduhr. Aber der Wolf fand sie und verschluckte eines nach dem andern. Nur das jüngste in dem Uhrkasten, das fand er nicht.
Als der Wolf satt war, trollte er sich fort, legte sich draußen auf der grünen Wiese unter einen Baum und fing an zu schlafen.
Nicht lange danach kam die alte Geiß aus dem Walde wieder heim. Ach, was mußte sie da erblicken! Die Haustür stand sperrangelweit offen, Tisch, Stühle und Bänke waren umgeworfen, die Waschschüssel lag in Scherben, Decken und Polster waren aus dem Bett gezogen. Sie suchte ihre Kinder, aber nirgends waren sie zu finden. Sie rief sie nacheinander bei ihren Namen, aber niemand antwortete. Endlich, als sie das jüngste rief, antwortete eine feine Stimme: "Liebe Mutter, ich stecke im Uhrkasten!"
Da holte die Mutter das junge Geißlein aus seinem Versteck heraus, und es erzählte ihr, daß der Wolf gekommen wäre und die anderen alle gefressen hätte. Ihr könnt euch denken, wie da die alte Geiß über ihre armen Kinder geweint hat!
Endlich ging sie in ihrem Jammer hinaus, und das jüngste Geißlein lief mit. Als sie auf die Wiese kamen, lag der Wolf immer noch unter dem Baum und schnarchte, daß die Äste zitterten. Die alte Geiß betrachtete ihn von allen Seiten und sah, daß in seinem vollen Bauch sich etwas regte und zappelte. Ach, Gott, dachte sie, sollten meine armen Kinder, die er zum Nachtmahl hinuntergewürgt hat, noch am Leben sein?
Da mußte das Geißlein nach Hause laufen und Schere, Nadel und Zwirn holen. Dann schnitt die alte Geiß dem Bösewicht den Bauch auf. Kaum hatte sie den ersten Schnitt getan, da streckte auch schon ein Geißlein den Kopf heraus. Und als sie weiterschnitt, sprangen nacheinander alle sechs heraus. Sie waren alle heil und gesund, denn der Wolf hatte sie in seiner Gier ganz hinuntergeschluckt.
Das war eine Freude! Da herzten sie ihre liebe Mutter und hüpften wie Schneider bei einer Hochzeit. Die Alte aber sagte: jetzt geht und sucht große Steine, damit wollen wir dem bösen Tier den Bauch füllen, solange es noch im Schlafe liegt."
Da schleppten die sieben Geißlein in aller Eile Steine herbei und steckten ihm so viele in den Bauch, als sie nur hineinbringen konnten. Dann nähte ihn die Alte in aller Geschwindigkeit wieder zu, so daß der Wolf nichts merkte und sich nicht einmal regte.
Als er endlich ausgeschlafen war, machte er sich auf die Beine. Und weil ihm die Steine im Magen großen Durst verursachten, wollte er zu einem Brunnen gehen und trinken. Als er aber anfing zu laufen, stießen die Steine in seinem Bauch aneinander und zappelten. Da rief er:
"Was rumpelt und pumpelt
In meinem Bauch herum?
Ich meinte, es wären sechs Geißelein,
Doch sind's lauter Wackerstein."
Und als er an den Brunnen kam und sich über das Wasser bückte und trinken wollte, da zogen ihn die schweren Steine hinein, und er mußte jämmerlich ersaufen.
Als die sieben Geißlein das sahen, kamen sie eilig herbeigelaufen und riefen laut: "Der Wolf ist tot! Der Wolf ist tot!" Und sie faßten einander an den Händen und tanzten mit ihrer Mutter vor Freude um den Brunnen herum.

Die Märchen der Brüder

Brüderchen und Schwesterchen

Brüderchen nahm sein Schwesterchen an der Hand und sprach: "Seit die Mutter tot ist, haben wir keine gute Stunde mehr; die Stiefmutter schlägt uns alle Tage und stößt uns mit den Füßen fort. Die harten Brotkrusten, die übrigbleiben, sind unsere Speise, und dem Hündchen unter dem Tisch geht's besser, dem wirft sie doch manchmal einen guten Bissen zu. Daß Gott erbarm, wenn das unsere Mutter wüßte! Komm, wir wollen miteinander in die weite Welt gehen." Sie gingen den ganzen Tag, und wenn es regnete, sprach das Schwesterlein: "Gott und unsere Herzen, die weinen zusammen!"
Abends kamen sie in einen großen Wald und waren so müde von Jammer, vom Hunger und von dem langen Weg, daß sie sich in einen hohlen Baum setzten und einschliefen.
Am andern Morgen, als sie aufwachten, stand die Sonne schon hoch am Himmel und schien heiß in den Baum hinein. Da sprach das Brüderchen: "Schwesterchen, mich dürstet, wenn ich ein Brünnlein wüßte, ich ging' und tränk' einmal; ich mein', ich hört' eins rauschen." Brüderchen stand auf, nahm Schwesterchen an der Hand, und sie wollten das Brünnlein suchen. Die böse Stiefmutter aber war eine Hexe und hatte wohl gesehen, wie die beiden Kinder fortgegangen waren, war ihnen nachgeschlichen, heimlich, wie die Hexen schleichen, und hatte alle Brunnen im Walde verwünscht.
Als sie nun ein Brünnlein fanden, das so glitzerig über die Steine sprang, wollte das Brüderchen daraus trinken; aber das Schwesterchen hörte, wie es im Rauschen sprach: "Wer aus mir trinkt, wird ein Tiger."—Da rief das Schwesterchen: "Ich bitte dich, Brüderchen, trink nicht, sonst wirst du ein wildes Tier und zerreißt mich." Das Brüderchen trank nicht, obgleich es so großen Durst hatte, und sprach: "Ich will warten bis zur nächsten Quelle."
Als sie zum zweiten Brünnlein kamen, hörte das Schwesterchen, wie auch dieses sprach: "Wer aus mir trinkt, wird ein Wolf, wer aus mir trinkt, wird ein Wolf."—Da rief das Schwesterchen: "Brüderchen, ich bitte dich, trink nicht, sonst wirst du ein Wolf und frissest mich."—Das Brüderchen trank nicht und sprach: "Ich will warten, bis wir zur nächsten Quelle kommen, aber dann muß ich trinken, du magst sagen, was du willst; mein Durst ist gar zu groß."
Und als sie zum dritten Brünnlein kamen, hörte das Schwesterlein, wie es im Rauschen sprach: , Wer aus mir trinkt, wird ein Reh, wer aus mir trinkt, wird ein Reh."— Das Schwesterchen sprach: "Ach, Brüderchen, trink nicht, sonst wirst du ein Reh und läufst mir fort." Aber das Brüderchen hatte sich gleich beim Brünnlein niedergekniet, und von dem Wasser getrunken, und wie die ersten Tropfen auf seine Lip pen gekommen waren, lag es da als ein Rehkälbchen.
Nun weinte das Schwesterchen über das arme verwünschte Brüderchen, und das Rehchen weinte auch und saß so traurig neben ihm. Da sprach das Mädchen endlich: "Sei still, liebes Rehchen, ich will dich ja nimmermehr verlassen. Dann band es sein goldenes Strumpfband ab und tat es dem Rehchen um den Hals und rupfte Binsen und flocht ein weiches Seil daraus. Daran band es das Tierchen und führte es weiter und ging immer tiefer in den Wald hinein. Und als sie lange, lange gegangen waren, kamen sie endlich an ein kleines Haus, und das Mädchen schaute hinein, und weil es leer war, dachte es: ,Hier können wir bleiben und wohnen.' Da suchte es dem Rehchen Laub und Moos zu einem weichen Lager, und jeden Morgen ging es aus und sammelte Wurzeln, Beeren und Nüsse, und für das Rehchen brachte es zartes Gras mit, war vergnügt und spielte vor ihm herum. Abends, wenn Schwesterchen müde war und sein Gebet gesagt hatte, legte es seinen Kopf auf den Rücken des Rehkälbchens, das war sein Kissen, darauf es sanft einschlief. Und hätte das Brüderchen nur seine menschliche Gestalt gehabt, es wäre ein herrliches Leben gewesen.
Das dauerte eine Zeitlang, daß sie so allein in der Wildnis waren. Es trug sich aber zu, daß der König des Landes eine große Jagd in dem Wald hielt. Da schallte das Hörnerblasen, Hundegebell und das lustige Geschrei der Jäger durch die Bäume, und das Rehlein hörte es und wäre gar zu gerne dabeigewesen. "Ach", sprach es zum Schwesterlein, "laß mich hinaus in die Jagd, ich kann's nicht länger mehr aushalten", und bat so lange, bis es einwilligte. "Aber", sprach es zu ihm, "komm mir ja abends wieder, vor den wilden Jägern schließ' ich mein Türlein; und damit ich dich kenne, so klopf und sprich: ,Mein Schwesterlein, laß mich herein!' Und wenn du nicht so sprichst, so schließ ich mein Türlein nicht auf. " Nun sprang das Rehchen hinaus und es war ihm so wohl und es war so lustig in freier Luft. Der König und seine Jäger sahen das schöne Tier und setzten ihm nach, aber sie konnten es nicht einholen, und wenn sie meinten, sie hätten es gewiß, da sprang es über das Gebüsch weg und war verschwunden. Als es dunkel ward, lief es zu dem Häuschen, klopfte und sprach: "Mein Schwesterlein, laß mich herein." Da ward ihm die kleine Tür aufgetan, es sprang hinein und ruhete sich die ganze Nacht auf seinem weichen Lager aus. Am andern Morgen ging die Jagd von neuem an, und als das Rehlein wieder das Hifthorn hörte und das ,Ho ho !' der Jäger, da hatte es keine Ruhe und sprach: "Schwesterchen, mach mir auf, ich muß hinaus." Das Schwesterchen öffnete ihm die Tür und sprach: "Aber zu Abend mußt du wieder da sein und dein Sprüchlein sagen."
Als der König und seine Jäger das Rehlein mit dem goldenen Halsband wiedersahen, jagten sie ihm alle nach, aber es war ihnen zu schnell und behend. Das währte den ganzen Tag, endlich aber hatten es die Jäger abends umzingelt, und einer verwundete es ein wenig am Fuß, so daß es hinken mußte und langsam fortlief. Da schlich ihm ein Jäger nach bis zu dem Häuschen und hörte, wie es rief: "Mein Schwesterlein, laß mich herein", und sah, daß die Tür ihm aufgetan und alsbald wieder zugeschlossen ward. Der Jäger ging zum König und erzählte ihm, was er gesehen und gehört hatte. Da sprach der König: "Morgen soll noch einmal gejagt werden."
Das Schwesterchen aber erschrak gewaltig, als es sah, daß sein Rehkälbchen verwundet war. Es wusch ihm das Blut ab, legte Kräuter auf und sprach: "Geh auf dein Lager, lieb Rehchen, daß du wieder heil wirst." Die Wunde aber war so gering, daß das Rehchen am Morgen nichts mehr davon spürte. Und als es die Jagdlust wieder draußen hörte, sprach es: "Ich kann's nicht aushalten, ich muß dabeisein!" Das Schwesterchen weinte und sprach: "Nun werden sie dich töten, und ich bin hier allein im Wald und bin verlassen von aller Welt, ich lass' dich nicht hinaus."—"So sterb' ich dir hier vor Betrübnis", antwortete das Rehchen, "wenn ich das Hifthorn höre, so mein' ich, ich müßt' aus den Schuhen springen!" Da konnte das Schwesterchen nicht anders und schloß ihm mit schwerem Herzen die Tür auf, und das Rehchen sprang gesund und fröhlich in den Wald. Als es der König erblickte, sprach er zu seinen Jägern: "Nun jagt ihm nach den ganzen Tag bis in die Nacht, aber daß ihm keiner etwas zuleide tut."
Sobald die Sonne untergegangen war, sprach der König zum Jäger: "Nun komm und zeige mir das Waldhäuschen." Und als er vor dem Türlein war, klopfte er an und rief: "Lieb Schwesterlein, laß mich herein." Da ging die Tür auf, und der König trat herein, und da stand ein Mädchen, das war so schön, wie er noch keines gesehen hatte. Das Mädchen erschrak, als es sah, daß ein Mann hereinkam, der eine goldene Krone auf dem Haupt hatte. Aber der König sah es freundlich an, reichte ihm die Hand und sprach: "Willst du mit mir gehen auf mein Schloß und meine liebe Frau sein?"—"Ach ja", antwortete das Mädchen, "aber das Rehchen muß auch mit, das verlass' ich nicht." Sprach der König: "Es soll bei dir bleiben, solange du lebst, und es soll ihm an nichts fehlen." Indem kam es hereingesprungen; da band es das Schwesterchen wieder an das Binsenseil, nahm es selbst in die Hand und ging mit ihm aus dem Waldhäuschen fort.
Der König nahm das schöne Mädchen auf sein Pferd und führte es in sein Schloß, wo die Hochzeit mit großer Pracht gefeiert wurde, und es war nun die Frau Königin, und sie lebten lange Zeit vergnügt zusammen; das Rehlein ward gehegt und gepflegt und sprang in dem Schloßgarten herum.
Die böse Stiefmutter aber, um derentwillen die Kinder in die Welt hineingegangen waren, die meinte nicht anders als, Schwesterchen wäre von den wilden Tieren im Walde zerrissen worden und Brüderchen als ein Rehkalb von den Jägern totgeschossen. Als sie nun hörte, daß sie so glücklich waren und es ihnen so wohlging, da wurden Neid und Mißgunst in ihrem Herzen rege und ließen ihr keine Ruhe, wie sie die beiden doch noch ins Unglück bringen könnte. Ihre rechte Tochter, die häßlich war wie die Nacht und nur ein Auge hatte, die machte ihr Vorwürfe und sprach: Eine Königin zu werden, das Glück hätte mir gebührt."—"Sei nur still", sagte die Alte und sprach sie zufrieden, wenn's Zeit ist, will ich schon bei der Hand sein." Als nun die Zeit herangerückt war und die Königin ein schönes Knäblein zur Welt gebracht hatte und der König gerade auf der Jagd war, nahm die alte Hexe die Gestalt der Kammerfrau an, trat in die Stube, wo die Königin lag, und sprach zu der Kranken: "Kommt, das Bad ist fertig, das wird Euch wohltun und frische Kräfte geben; geschwind, eh' es kalt wird." Ihre Tochter war auch bei der Hand, sie trugen die schwache Königin in die Badstube und legten sie in die Wanne. Dann schlossen sie die Türe ab und liefen davon. In der Badstube aber hatten sie ein rechtes Höllenfeuer angemacht, daß die schöne junge Königin bald ersticken mußte.
Als das vollbracht war, nahm die Alte ihre Tochter, setzte ihr eine Haube auf und legte sie ins Bett an der Königin Stelle. Sie gab ihr auch die Gestalt und das Ansehen der Königin; nur das verlorene Auge konnte sie ihr nicht wiedergeben. Damit es aber der König nicht merkte, mußte sie sich auf die Seite legen, wo sie kein Auge hatte. Am Abend, als er heimkam und hörte, daß ihm ein Söhnlein geboren war, freute er sich herzlich und wollte ans Bett seiner lieben Frau gehen und sehen, was sie machte. Da rief die Alte geschwind: "Beileibe, laßt die Vorhänge zu, die Königin darf noch nicht ins Licht sehen und muß Ruhe haben." Der König ging zurück und wußte nicht, daß eine falsche Königin im Bette lag.
Als es aber Mitternacht war und alles schlief, da sah die Kinderfrau, die in der Kinderstube neben der Wiege saß und allein noch wachte, wie die Tür aufging und die rechte Königin hereintrat. Sie nahm das Kind aus der Wiege, legte es in ihren Arm und gab ihm zu trinken. Dann schüttelte sie ihm sein Kißchen, legte es wieder hinein. Sie vergaß aber auch das Rehchen nicht, ging in die Ecke, wo es lag, und streichelte ihm über den Rücken. Darauf ging sie wieder zur Tür hinaus, und die Kinderfrau fragte am andern Morgen die Wächter, ob jemand während der Nacht ins Schloß gegangen wäre, aber sie antworteten: "Nein, wir haben niemand gesehen." So kam sie viele Nächte und sprach niemals ein Wort dabei; die Kinderfrau sah sie immer, aber sie getraute sich nicht, jemand etwas davon zu sagen.
Als nun so eine Zeit verflossen war, da hub die Königin in der Nacht an zu reden und sprach: "Was macht mein Kind? Was macht mein Reh? Nun komm' ich noch zweimal und dann nimmermehr." Die Kinderfrau antwortete ihr nicht, aber als sie wieder verschwunden war, ging sie zum König und erzählte ihm alles. Sprach der König: "Ach Gott, was ist das? Ich will in der nächsten Nacht bei dem Kinde wachen." Abends ging er in die Kinderstube, aber um Mitternacht erschien die Königin und sprach: "Was macht mein Kind? Was macht mein Reh? Nun komm' ich noch einmal und dann nimmermehr", und pflegte dann das Kind, wie sie gewöhnlich tat, ehe sie verschwand. Der König getraute sich nicht, sie anzureden, aber er wachte auch in der folgenden Nacht. Sie sprach abermals: "Was macht mein Kind? Was macht mein Reh? Nun komm' ich noch diesmal und dann nimmermehr." Da konnte sich der König nicht zurückhalten, sprang zu ihr und sprach: "Du kannst niemand anders sein als meine liebe Frau." Da antwortete sie: "Ja, ich bin deine liebe Frau", und hatte in dem Augenblick durch Gottes Gnade das Leben wiedererhalten, war frisch, rot und gesund. Darauf erzählte sie dem König den Frevel, den die böse Hexe und ihre Tochter an ihr verübt hatten. Der König ließ beide vor Gericht führen, und es ward ihnen das Urteil gesprochen. Die Tochter ward in den Wald geführt, wo sie die wilden Tiere zerrissen, die Hexe aber ward ins Feuer gelegt und mußte jammervoll verbrennen. Und wie sie zu Asche verbrannt war, verwandelte sich das Rehkälbchen und erhielt seine menschliche Gestalt wieder; Schwesterchen und Brüderchen aber lebten glücklich zusammen bis an ihr Ende.

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Das Riesenspielzeug

Im Elsaß auf der Burg Nideck, die an einem hohen Berg bei einem Wasserfall liegt, waren die Ritter vorzeiten große Riesen. Einmal ging das Riesenfräulein herab ins Tal, wollte sehen, wie es da unten wäre, und kam bis fast nach Haslach auf ein vor dem Wald gelegenes Ackerfeld, das gerade von den Bauern bestellt ward. Es blieb vor Verwunderung stehen und schaute den Pflug, die Pferde und Leute an, das ihr alles etwas Neues war. „Ei", sprach sie und ging herzu, „das nehm ich mir mit." Da kniete sie nieder zur Erde, spreitete ihre Schürze aus, strich mit der Hand über das Feld, fing alles zusammen und tat's hinein. Nun lief sie ganz vergnügt nach Haus, den Felsen hinaufspringend; wo der Berg so jäh ist, daß ein Mensch mühsam klettern muß, da tat sie einen Schritt und war droben.
Der Ritter saß gerad am Tisch, als sie eintrat. „Ei, mein Kind", sprach er, „was bringst du da, die Freude schaut dir ja aus den Augen heraus." Sie machte geschwind ihre Schürze auf und ließ ihn hineinblicken. „Was hast du so Zappeliges darin?" - „Ei Vater, gar zu artiges Spielding! So was Schönes hab ich mein Lebtag noch nicht gehabt." Darauf nahm sie eins nach dem andern heraus und stellte es auf den Tisch: den Pflug, die Bauern mit ihren Pferden; lief herum, schaute es an, lachte und schlug vor Freude in die Hände, wie sich das kleine Wesen darauf hin- und herbewegte. Der Vater aber sprach: „Kind, das ist kein Spielzeug, da hast du was Schönes angestiftet! Geh nur gleich und trag's wieder hinab ins Tal." Das Fräulein weinte, es half aber nichts. „Mir ist der Bauer kein Spielzeug", sagt der Ritter ernsthaftig, „ich leid's nicht, daß du mir murrst, kram alles sachte wieder ein und trag's an den nämlichen Platz, wo du's genommen hast. Baut der Bauer nicht sein Ackerfeld, so haben wir Riesen auf unserm Felsennest nichts zu leben."

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Das tapfere Schneiderlein

An einem Sommermorgen saß ein Schneiderlein auf seinem Tisch am Fenster, war guter Dinge und nähte aus Leibeskräften. Da kam eine Bauersfrau die Straße herab und rief: »Gut Mus feil! Gut Mus feil!«
Das klang dem Schneiderlein lieblich in die Ohren, er steckte sein zartes Haupt zum Fenster hinaus und rief: »Hierherauf, liebe Frau, hier wird Sie Ihre Ware los.«
Die Frau stieg die drei Treppen mit ihrem schweren Korbe zu dem Schneider herauf und mußte die Töpfe sämtlich vor ihm auspacken. Er besah sie alle, hob sie in die Höhe, hielt die Nase dran und sagte endlich: »Das Mus scheint mir gut, wieg Sie mir doch vier Lot ab, liebe Frau, wenn's auch ein Viertelpfund ist, kommt es mir nicht darauf an.«
Die Frau, welche gehofft hatte, einen guten Absatz zu finden, gab ihm, was er verlangte, ging aber ganz ärgerlich und brummig fort.
»Nun, das Mus soll mir Gott gesegnen«, rief das Schneiderlein, »und soll mir Kraft und Stärke geben«, holte das Brot aus dem Schrank, schnitt sich ein Stück über den ganzen Laib und strich das Mus darüber. »Das wird nicht bitter schmecken«, sprach er, »aber erst will ich den Wams fertigmachen, eh ich anbeiße.«
Er legte das Brot neben sich, nähte weiter und machte vor Freude immer größere Stiche. Indes stieg der Geruch von dem süßen Mus hinauf an die Wand, wo die Fliegen in großer Menge saßen, so daß sie herangelockt wurden und sich scharenweis darauf niederließen. »Ei, wer hat euch eingeladen?« sprach das Schneiderlein und jagte die ungebetenen Gäste fort. Die Fliegen aber, die kein Deutsch verstanden, ließen sich nicht abweisen, sondern kamen in immer größerer Gesellschaft wieder. Da lief dem Schneiderlein endlich, wie man sagt, die Laus über die Leber, es langte aus seiner Hölle nach einem Tuchlappen, und »Wart, ich will es euch geben!« schlug es unbarmherzig drauf. Als es abzog und zählte, so lagen nicht weniger als sieben vor ihm tot und streckten die Beine.
»Bist du so ein Kerl?« sprach er und mußte selbst seine Tapferkeit bewundern. »Das soll die ganze Stadt erfahren.« Und in der Hast schnitt sich das Schneiderlein einen Gürtel, nähte ihn und stickte mit großen Buchstaben darauf »Siebene auf einen Streich!«
»Ei was, Stadt!« sprach er weiter, »die ganze Welt soll's erfahren!« Und sein Herz wackelte ihm vor Freude wie ein Lämmerschwänzchen. Der Schneider band sich den Gürtel um den Leib und wollte in die Welt hinaus, weil er meinte, die Werkstätte sei zu klein für seine Tapferkeit. Eh er abzog, suchte er im Haus herum, ob nichts da wäre, was er mitnehmen könnte. Er fand aber nichts als einen alten Käs, den steckte er ein. Vor dem Tore bemerkte er einen Vogel, der sich im Gesträuch gefangen hatte, der mußte zu dem Käse in die Tasche.
Nun nahm er den Weg tapfer zwischen die Beine, und weil er leicht und behend war, fühlte er keine Müdigkeit. Der Weg führte ihn auf einen Berg, und als er den höchsten Gipfel erreicht hatte, so saß da ein gewaltiger Riese und schaute sich ganz gemächlich um. Das Schneiderlein ging beherzt auf ihn zu, redete ihn an und sprach: »Guten Tag, Kamerad, gelt, du sitzest da und besiehst dir die weitläufige Welt? Ich bin eben auf dem Weg dahin und will mich versuchen. Hast du Lust, mitzugehen?«
Der Riese sah den Schneider verächtlich an und sprach: »Du Lump! Du miserabler Kerl!«
»Das wäre!« antwortete das Schneiderlein, knöpfte den Rock auf und zeigte dem Riesen den Gürtel. »Da kannst du lesen, was ich für ein Mann bin.«
Der Riese las »Siebene auf einen Streich«, meinte, das wären Menschen gewesen, die der Schneider erschlagen hätte, und kriegte ein wenig Respekt vor dem kleinen Kerl. Doch wollte er ihn erst prüfen, nahm einen Stein in die Hand und drückte ihn zusammen, daß das Wasser heraustropfte.
»Das mach mir nach«, sprach der Riese, »wenn du Stärke hast.«
»Ist's weiter nichts?« sagte das Schneiderlein. »Das ist bei unsereinem Spielwerk«, griff in die Tasche, holte den weichen Käs und drückte ihn, daß der Saft herauslief. »Gelt«, sprach er, »das war ein wenig besser?«
Der Riese wußte nicht, was er sagen sollte, und konnte es von dem Männlein nicht glauben. Da hob der Riese einen Stein auf und warf ihn so hoch, daß man ihn mit Augen kaum noch sehen konnte.
»Nun, du Erpelmännchen, das tu mir nach.«
»Gut geworfen«, sagte der Schneider, »aber der Stein hat doch wieder zur Erde herabfallen müssen. Ich will dir einen werfen, der soll gar nicht wiederkommen«, griff in die Tasche, nahm den Vogel und warf ihn in die Luft. Der Vogel, froh über seine Freiheit, stieg auf, flog fort und kam nicht wieder. »Wie gefällt dir das Stückchen, Kamerad?« fragte der Schneider.
»Werfen kannst du wohl«, sagte der Riese, »aber nun wollen wir sehen, ob du imstande bist, etwas Ordentliches zu tragen.« Er führte das Schneiderlein zu einem mächtigen Eichbaum, der da gefällt auf dem Boden lag, und sagte. »Wenn du stark genug bist, so hilf mir den Baum aus dem Wald heraustragen.«
»Gerne«, antwortete der kleine Mann, »nimm du nur den Stamm auf deine Schulter, ich will die Äste mit dem Gezweig aufheben und tragen, das ist doch das schwerste.«
Der Riese nahm den Stamm auf die Schulter, der Schneider aber setzte sich auf einen Ast, und der Riese, der sich nicht umsehen konnte, mußte den ganzen Baum und das Schneiderlein noch obendrein forttragen. Es war dahinten ganz lustig und guter Dinge, pfiff das Liedchen »Es ritten drei Schneider zum Tore hinaus«, als wäre das Baumtragen ein Kinderspiel. Der Riese, nachdem er ein Stück Wegs die schwere Last fortgeschleppt hatte, konnte nicht weiter und rief: »Hör, ich muß den Baum fallen lassen.« Der Schneider sprang behendiglich herab, faßte den Baum mit beiden Armen, als wenn er ihn getragen hätte, und sprach zum Riesen: »Du bist ein so großer Kerl und kannst den Baum nicht einmal tragen.«
Sie gingen zusammen weiter, und als sie an einem Kirschbaum vorbeikamen, faßte der Riese die Krone des Baumes, wo die zeitigsten Früchte hingen, bog sie herab, gab sie dem Schneider in die Hand und hieß ihn essen. Das Schneiderlein aber war viel zu schwach, um den Baum zu halten, und als der Riese losließ, fuhr der Baum in die Höhe, und der Schneider ward mit in die Luft geschnellt. Als er wieder ohne Schaden herabgefallen war, sprach der Riese: »Was ist das, hast du nicht die Kraft, die schwache Gerte zu halten?«
»An der Kraft fehlt es nicht«, antwortete das Schneiderlein,«meinst du, das wäre etwas für einen, der siebene mit einem Streich getroffen hat? Ich bin über den Baum gesprungen, weil die Jäger da unten in das Gebüsch schießen. Spring nach, wenn du's vermagst.«
Der Riese machte den Versuch, konnte aber nicht über den Baum kommen, sondern blieb in den Ästen hängen, also daß das Schneiderlein auch hier die Oberhand behielt.
Der Riese sprach: »Wenn du ein so tapferer Kerl bist, so komm mit in unsere Höhle und übernachte bei uns.«
Das Schneiderlein war bereit und folgte ihm. Als sie in der Höhle anlangten, saßen da noch andere Riesen beim Feuer, und jeder hatte ein gebratenes Schaf in der Hand und aß davon. Das Schneiderlein sah sich um und dachte, es ist doch hier viel weitläufiger als in meiner Werkstatt.
Der Riese wies ihm ein Bett an und sagte, er solle sich hineinlegen und ausschlafen. Dem Schneiderlein war aber das Bett zu groß, es legte sich nicht hinein, sondern kroch in eine Ecke. Als es Mitternacht war und der Riese meinte, das Schneiderlein läge in tiefem Schlafe, so stand er auf, nahm eine große Eisenstange, schlug das Bett mit einem Schlag durch und meinte, er hätte dem Grashüpfer den Garaus gemacht. Mit dem frühsten Morgen gingen die Riesen in den Wald und hatten das Schneiderlein ganz vergessen, da kam es auf einmal ganz lustig und verwegen dahergeschritten. Die Riesen erschraken, fürchteten, es schlüge sie alle tot, und liefen in einer Hast fort.
Das Schneiderlein zog weiter, immer seiner spitzen Nase nach. Nachdem es lange gewandert war, kam es in den Hof eines königlichen Palastes, und da es Müdigkeit empfand, so legte es sich ins Gras und schlief ein. Während es da lag, kamen die Leute, betrachteten es von allen Seiten und lasen auf dem Gürtel »Siebene auf einen Streich.«
»Ach«, sprachen sie, »was will der große Kriegsheld hier mitten im Frieden? Das muß ein mächtiger Herr sein.«
Sie gingen und meldeten es dem König und meinten, wenn Krieg ausbrechen sollte, wäre das ein wichtiger und nützlicher Mann, den man um keinen Preis fortlassen dürfte. Dem König gefiel der Rat, und er schickte einen von seinen Hofleuten an das Schneiderlein ab, der sollte ihm, wenn es aufgewacht wäre, Kriegsdienste anbieten.
Der Abgesandte blieb bei dem Schläfer stehen, wartete, bis er seine Glieder streckte und die Augen aufschlug, und brachte dann seinen Antrag vor.
»Eben deshalb bin ich hierhergekommen«, antwortete das Schneiderlein, »ich bin bereit, in des Königs Dienste zu treten.« Also ward er ehrenvoll empfangen und ihm eine besondere Wohnung angewiesen.
Die Kriegsleute aber waren dem Schneiderlein aufgesessen und wünschten, es wäre tausend Meilen weit weg.
»Was soll daraus werden«, sprachen sie untereinander, »wenn wir Zank mit ihm kriegen und er haut zu, so fallen auf jeden Streich siebene. Da kann unsereiner nicht bestehen.«
Also faßten sie einen Entschluß, begaben sich allesamt zum König und baten um ihren Abschied.
»Wir sind nicht gemacht«, sprachen sie, »neben einem Mann auszuhalten, der siebene auf einen Streich schlägt.«
Der König war traurig, daß er um des einen willen alle seine treuen Diener verlieren sollte, wünschte, daß seine Augen ihn nie gesehen hätten, und wäre ihn gerne wieder los gewesen. Aber er getraute sich nicht, ihm den Abschied zu geben, weil er fürchtete, er möchte ihn samt seinem Volke totschlagen und sich auf den königlichen Thron setzen. Er sann lange hin und her, endlich fand er einen Rat. Er schickte zu dem Schneiderlein und ließ ihm sagen, weil er ein so großer Kriegsheld wäre, so wollte er ihm ein Anerbieten machen. In einem Walde seines Landes hausten zwei Riesen, die mit Rauben, Morden, Sengen und Brennen großen Schaden stifteten, niemand dürfte sich ihnen nahen, ohne sich in Lebensgefahr zu setzen. Wenn er diese beiden Riesen überwände und tötete, so wollte er ihm seine einzige Tochter zur Gemahlin geben und das halbe Königreich zur Ehesteuer; auch sollten hundert Reiter mitziehen und ihm Beistand leisten.
Das wäre so etwas für einen Mann, wie du bist, dachte das Schneiderlein, eine schöne Königstochter und ein halbes Königreich wird einem nicht alle Tage angeboten.
»O ja«, gab er zur Antwort, »die Riesen will ich schon bändigen und habe die hundert Reiter dabei nicht nötig; wer siebene auf einen Streich trifft, braucht sich vor zweien nicht zu fürchten.«
Das Schneiderlein zog aus, und die hundert Reiter folgten ihm. Als es zu dem Rand des Waldes kam, sprach es zu seinen Begleitern: »Bleibt hier nur halten, ich will schon allein mit den Riesen fertig werden.«
Dann sprang er in den Wald hinein und schaute sich rechts und links um. Über ein Weilchen erblickte er beide Riesen: Sie lagen unter einem Baume und schliefen und schnarchten dabei, daß sich die Äste auf und nieder bogen. Das Schneiderlein, nicht faul, las beide Taschen voll Steine und stieg damit auf den Baum. Als es in der Mitte war, rutschte es auf einen Ast, bis es gerade über die Schläfer zu sitzen kam, und ließ dem einen Riesen einen Stein nach dem andern auf die Brust fallen. Der Riese spürte lange nichts, doch endlich wachte er auf, stieß seinen Gesellen an und sprach: »Was schlägst du mich?«
»Du träumst«, sagte der andere, »ich schlage dich nicht.«
Sie legten sich wieder zum Schlaf, da warf der Schneider auf den zweiten einen Stein herab.
»Was soll das?« rief der andere. »Warum wirfst du mich?«
»Ich werfe dich nicht«, antwortete der erste und brummte.
Sie zankten sich eine Weile herum, doch weil sie müde waren, ließen sie's gut sein, und die Augen fielen ihnen wieder zu. Das Schneiderlein fing sein Spiel von neuem an, suchte den dicksten Stein aus und warf ihn dem ersten Riesen mit aller Gewalt auf die Brust.
»Das ist zu arg!« schrie er, sprang wie ein Unsinniger auf und stieß seinen Gesellen wider den Baum, daß dieser zitterte. Der andere zahlte mit gleicher Münze, und sie gerieten in solche Wut, daß sie Bäume ausrissen, aufeinander losschlugen, so lange, bis sie endlich beide zugleich tot auf die Erde fielen.
Nun sprang das Schneiderlein herab.
»Ein Glück nur«, sprach es, »daß sie den Baum, auf dem ich saß, nicht ausgerissen haben, sonst hätte ich wie ein Eichhörnchen auf einen andern springen müssen: Doch unsereiner ist flüchtig!« Es zog sein Schwert und versetzte jedem ein paar tüchtige Hiebe in die Brust, dann ging es hinaus zu den Reitern und sprach: »Die Arbeit ist getan, ich habe beiden den Garaus gemacht; aber hart ist es hergegangen, sie haben in der Not Bäume ausgerissen und sich gewehrt, doch das hilft alles nichts, wenn einer kommt wie ich, der siebene auf einen Streich schlägt.«
»Seid Ihr denn nicht verwundet?« fragten die Reiter.
»Das hat gute Wege«, antwortete der Schneider, »kein Haar haben sie mir gekrümmt.«
Die Reiter wollten ihm keinen Glauben beimessen und ritten in den Wald hinein: Da fanden sie die Riesen in ihrem Blute schwimmen, und ringsherum lagen die ausgerissenen Bäume.
Das Schneiderlein verlangte von dem König die versprochene Belohnung, den aber reute sein Versprechen, und er sann aufs neue, wie er sich den Helden vom Halse schaffen könnte.
»Ehe du meine Tochter und das halbe Reich erhältst«, sprach er zu ihm, »mußt du noch eine Heldentat vollbringen. In dem Walde läuft ein Einhorn, das großen Schaden anrichtet. Das mußt du erst einfangen.«
»Vor einem Einhorne fürchte ich mich noch weniger als vor zwei Riesen; siebene auf einen Streich, das ist meine Sache.« Er nahm sich einen Strick und eine Axt mit, ging hinaus in den Wald und hieß abermals die, welche ihm zugeordnet waren, außen warten. Er brauchte nicht lange zu suchen, das Einhorn kam bald daher und sprang geradezu auf den Schneider los, als wollte es ihn ohne Umstände aufspießen. »Sachte, sachte«, sprach er, »so geschwind geht das nicht«, blieb stehen und wartete, bis das Tier ganz nahe war, dann sprang er behendiglich hinter den Baum. Das Einhorn rannte mit aller Kraft gegen den Baum und spießte sein Horn so fest in den Stamm, daß es nicht Kraft genug hatte, es wieder herauszuziehen, und so war es gefangen. »Jetzt hab ich das Vöglein«, sagte der Schneider, kam hinter dem Baum hervor, legte dem Einhorn den Strick erst um den Hals, dann hieb er mit der Axt das Horn aus dem Baum, und als alles in Ordnung war, führte er das Tier ab und brachte es dem König.
Der König wollte ihm den verheißenen Lohn noch nicht gewähren und machte eine dritte Forderung. Der Schneider sollte ihm vor der Hochzeit erst ein Wildschwein fangen, das in dem Wald großen Schaden tat; die Jäger sollten ihm Beistand leisten.
»Gerne«, sprach der Schneider, »das ist ein Kinderspiel.«
Die Jäger nahm er nicht mit in den Wald, und sie waren's wohl zufrieden, denn das Wildschwein hatte sie schon mehrmals so empfangen, daß sie keine Lust hatten, ihm nachzustellen.
Als das Schwein den Schneider erblickte, lief es mit schäumendem Munde und wetzenden Zähnen auf ihn zu und wollte ihn zur Erde werfen. Der flüchtige Held aber sprang in eine Kapelle, die in der Nähe war, und gleich oben zum Fenster in einem Satze wieder hinaus. Das Schwein war hinter ihm hergelaufen, er aber hüpfte außen herum und schlug die Tür hinter ihm zu; da war das wütende Tier gefangen, das viel zu schwer und unbehilflich war, um zu dem Fenster hinauszuspringen. Das Schneiderlein rief die Jäger herbei, die mußten den Gefangenen mit eigenen Augen sehen. Der Held aber begab sich zum Könige, der nun, er mochte wollen oder nicht, sein Versprechen halten mußte und ihm seine Tochter und das halbe Königreich übergab. Hätte er gewußt, daß kein Kriegsheld, sondern ein Schneiderlein vor ihm stand, es wäre ihm noch mehr zu Herzen gegangen. Die Hochzeit ward also mit großer Pracht und kleiner Freude gehalten und aus einem Schneider ein König gemacht.
Nach einiger Zeit hörte die junge Königin in der Nacht, wie ihr Gemahl im Traume sprach: »Junge, mach mir den Wams und flick mir die Hosen, oder ich will dir die Elle über die Ohren schlagen.« Da merkte sie, in welcher Gasse der junge Herr geboren war, klagte am anderen Morgen ihrem Vater ihr Leid und bat, er möchte ihr von dem Manne helfen, der nichts anderes als ein Schneider wäre. Der König sprach ihr Trost zu und sagte: »Laß in der nächsten Nacht deine Schlafkammer offen, meine Diener sollen außen stehen und, wenn er eingeschlafen ist, hineingehen, ihn binden und auf ein Schiff tragen, das ihn in die weite Welt führt.« Die Frau war damit zufrieden, des Königs Waffenträger aber, der alles mit angehört hatte, war dem jungen Herrn gewogen und hinterbrachte ihm den ganzen Anschlag.
»Dem Ding will ich einen Riegel vorschieben«, sagte das Schneiderlein. Abends legte es sich zu gewöhnlicher Zeit mit seiner Frau zu Bett. Als sie glaubte, er sei eingeschlafen, stand sie auf, öffnete die Tür und legte sich wieder. Das Schneiderlein, das sich nur stellte, als wenn es schliefe, fing an mit heller Stimme zu rufen: »Junge, mach mir den Wams und flick mir die Hosen, oder ich will dir die Elle über die Ohren schlagen! Ich habe siebene mit einem Streich getroffen, zwei Riesen getötet, ein Einhorn fortgeführt und ein Wildschwein gefangen und sollte mich vor denen fürchten, die draußen vor der Kammer stehen!«
Als diese den Schneider also sprechen hörten, überkam sie eine große Furcht, sie liefen, als wenn das wilde Heer hinter ihnen wäre, und keiner wollte sich mehr an ihn wagen.
Also war und blieb das Schneiderlein sein Lebtag ein König.



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Daumesdick

Es war ein armer Bauersmann, der saß abends beim Herd und schürte das Feuer, und die Frau saß und spann. Da sprach er 'wie ists so traurig, daß wir keine Kinder haben! es ist so still bei uns, und in den andern Häusern ists so laut und lustig.' 'Ja,' antwortete die Frau und seufzte, 'wenns nur ein einziges wäre, und wenns auch ganz klein wäre, nur Daumens groß, so wollte ich schon zufrieden sein; wir hättens doch von Herzen lieb.' Nun geschah es, daß die Frau kränklich ward und nach sieben Monaten ein Kind gebar, das zwar an allen Gliedern vollkommen, aber nicht länger als ein Daumen war. Da sprachen sie 'es ist, wie wir es gewünscht haben, und es soll unser liebes Kind sein,' und nannten es nach seiner Gestalt Daumesdick. Sie ließens nicht an Nahrung fehlen, aber das Kind ward nicht größer, sondern blieb, wie es in der ersten Stunde gewesen war; doch schaute es verständig aus den Augen und zeigte sich bald als ein kluges und behendes Ding, dem alles glückte, was es anfing.
Der Bauer machte sich eines Tages fertig, in den Wald zu gehen und Holz zu fällen, da sprach er so vor sich hin 'nun wollt ich, daß einer da wäre, der mir den Wagen nachbrächte.' 'O Vater,' rief Daumesdick, 'den Wagen will ich schon bringen, verlaßt Euch drauf, er soll zur bestimmten Zeit im Walde sein.' Da lachte der Mann und sprach 'wie sollte das zugehen, du bist viel zu klein, um das Pferd mit dem Zügel zu leiten.' 'Das tut nichts, Vater, wenn nur die Mutter anspannen will, ich setze mich dem Pferd ins Ohr und rufe ihm zu, wie es gehen soll.' 'Nun,' antwortete der Vater, 'einmal wollen wirs versuchen.'
Als die Stunde kam, spannte die Mutter an und setzte Daumesdick ins Ohr des Pferdes, und dann rief der Kleine, wie das Pferd gehen sollte, 'jüh und joh! hott und har!, Da ging es ganz ordentlich als wie bei einem Meister, und der Wagen fuhr den rechten Weg nach dem Walde. Es trug sich zu, als er eben um eine Ecke bog und der Kleine 'har, har!' rief, daß zwei fremde Männer daherkamen. 'Mein,' sprach der eine, 'was ist das? da fährt ein Wagen, und ein Fuhrmann ruft dem Pferde zu, und ist doch nicht zu sehen.' 'Das geht nicht mit rechten Dingen zu,' sagte der andere, 'wir wollen dem Karren folgen und sehen, wo er anhält.' Der Wagen aber fuhr vollends in den Wald hinein und richtig zu dem Platze, wo das Holz gehauen ward. Als Daumesdick seinen Vater erblickte, rief er ihm zu 'siehst du, Vater, da bin ich mit dem Wagen, nun hol mich runter.' Der Vater faßte das Pferd mit der Linken und holte mit der Rechten sein Söhnlein aus dem Ohr, das sich ganz lustig auf einen Strohhalm niedersetzte. Als die beiden fremden Männer den Daumesdick erblickten, wußten sie nicht, was sie vor Verwunderung sagen sollten. Da nahm der eine den andern beiseit und sprach 'hör, der kleine Kerl könnte unser Glück machen, wenn wir ihn in einer großen Stadt für Geld sehen ließen, wir wollen ihn kaufen.' Sie gingen zu dein Bauer und sprachen 'verkauft uns den kleinen Mann' er solls gut bei uns haben.' 'Nein,' antwortete der Vater, 'es ist mein Herzblatt, und ist mir für alles Gold in der Welt nicht feil!' Daumesdick aber, als er von dem Handel gehört, war an den Rockfalten seines Vaters hinaufgekrochen, stellte sich ihm auf die Schulter und wisperte ihm ins Ohr 'Vater, gib mich nur hin, ich will schon wieder zurückkommen.' Da gab ihn der Vater für ein schönes Stück Geld den beiden Männern hin. 'Wo willst du sitzen?, sprachen sie zu ihm. 'Ach, setzt mich nur auf den Rand von eurem Hut, da kann ich auf und ab spazieren und die Gegend b etrachten, und falle doch nicht herunter.' Sie taten ihm den Willen, und als Daumesdick Abschied von seinem Vater genommen hatte, machten sie sich mit ihm fort. So gingen sie, bis es dämmrig ward, da sprach der Kleine 'hebt mich einmal herunter, es ist nötig.' 'Bleib nur droben' sprach der Mann, auf dessen Kopf er saß, 'ich will mir nichts draus machen, die Vögel lassen mir auch manchmal was drauf fallen.' 'Nein,' sprach Daumesdick, 'ich weiß auch, was sich schickt, hebt mich nur geschwind herab.' Der Mann nahm den Hut ab und setzte den Kleinen auf einen Acker am Weg, da sprang und kroch er ein wenig zwischen den Schollen hin und her, dann schlüpfte er pIötzlich in ein Mausloch, das er sich ausgesucht hatte. 'Guten Abend, ihr Herren, geht nur ohne mich heim,' rief er ihnen zu, und lachte sie aus. Sie liefen herbei und stachen mit Stöcken in das Mausloch, aber das war vergebliche Mühe, Daumesdick kroch immer weiter zurück, und da es bald ganz dunkel ward, so mußten sie mit Ärger und mit leerem Beutel wieder heim wandern.
Als Daumesdick merkte, daß sie fort waren, kroch er aus dem unterirdischen Gang wieder hervor. 'Es ist auf dem Acker in der Finsternis so gefährlich gehen,' sprach er, 'wie leicht bricht einer Hals und Bein.' Zum Glück stieß er an ein leeres Schneckenhaus. 'Gottlob,' sagte er, 'da kann ich die Nacht sicher zubringen,' und setzte sich hinein. Nicht lang, als er eben einschlafen wollte, so hörte er zwei Männer vorübergehen, davon sprach der eine 'wie wirs nur anfangen, um dem reichen Pfarrer sein Geld und sein Silber zu holen?, 'Das könnt ich dir sagen,' rief Daumesdick dazwischen. 'Was war das?' sprach der eine Dieb erschrocken, 'ich hörte jemand sprechen.' Sie blieben stehen und horchten, da sprach Daumesdick wieder 'nehmt mich mit, so will ich euch helfen.' 'Wo bist du denn?' 'Sucht nur auf der Erde und merkt, wo die Stimme herkommt,' antwortete er. Da fanden ihn endlich die Diebe und hoben ihn in die Höhe. 'Du kleiner Wicht, was willst du uns helfen!' sprachen sie. 'Seht,' antwortete er, 'ich krieche zwischen den Eisenstäben in die Kammer des Pfarrers und reiche euch heraus, was ihr haben wollt.' 'Wohlan,' sagten sie, 'wir wollen sehen, was du kannst.' Als sie bei dem Pfarrhaus kamen, kroch Daumesdick in die Kammer, schrie aber gleich aus Leibeskräften 'wollt ihr alles haben, was hier ist?, Die Diebe erschraken und sagten 'so sprich doch leise, damit niemand aufwacht.' Aber Daumesdick tat, als hätte er sie nicht verstanden, und schrie von neuem 'was wollt ihr? wollt ihr alles haben, was hier ist?' Das hörte die Köchin, die in der Stube daran schlief, richtete sich im Bete auf und horchte. Die Diebe aber waren vor Schrecken ein Stück Wegs zurückgelaufen, endlich faßten sie wieder Mut und dachten 'der kleine Kerl will uns necken.' Sie kamen zurück und flüsterten ihm zu 'nun mach Ernst und reich uns etwas heraus.' Da schrie Daumesdick noch einmal, so laut er konnte 'ich will euch ja alles geben, reicht nur die H ände herein.' Das hörte die horchende Magd ganz deutlich, sprang aus dem Bett und stolperte zur Tür herein. Die Diebe liefen fort und rannten, als wäre der wilde Jäger hinter ihnen; die Magd aber, als sie nichts bemerken konnte, ging ein Licht anzünden. Wie sie damit herbeikam, machte sich Daumesdick, ohne daß er gesehen wurde, hinaus in die Scheune: die Magd aber, nachdem sie alle Winkel durchgesucht und nichts gefunden hatte, legte sich endlich wieder zu Bett und glaubte, sie hätte mit offenen Augen und Ohren doch nur geträumt.
Daumesdick war in den Heuhälmchen herumgeklettert und hatte einen schönen Platz zum Schlafen gefunden: da wollte er sich ausruhen, bis es Tag wäre, und dann zu seinen Eltern wieder heimgehen. Aber er mußte andere Dinge erfahren! ja, es gibt viel Trübsal und Not auf der Welt! Die Magd stieg, als der Tag graute, schon aus dem Bett, um das Vieh zu füttern. Ihr erster Gang war in die Scheune, wo sie einen Arm voll Heu packte, und gerade dasjenige, worin der arme Daumesdick. lag und schlief. Er schlief aber so fest, daß er nichts gewahr ward, und nicht eher aufwachte, als bis er in dem Maul der Kuh war, die ihn mit dem Heu aufgerafft hatte. 'Ach Gott,' rief er, 'wie bin ich in die Walkmühle geraten!, merkte aber bald, wo er war. Da hieß es aufpassen, daß er nicht zwischen die Zähne kam und zermalmt ward, und hernach mußte er doch mit in den Magen hinabrutschen. 'In dem Stübchen sind die Fenster vergessen,' sprach er, 'und scheint keine Sonne hinein: ein Licht wird auch nicht gebracht.' Überhaupt gefiel ihm das Quartier schlecht, und was das Schlimmste war, es kam immer mehr neues Heu zur Türe hinein, und der Platz ward immer enger. Da rief er endlich in der Angst, so laut er konnte, 'bringt mir kein frisch Futter mehr, bringt mir kein frisch Futter mehr.' Die Magd melkte gerade die Kuh, und als sie sprechen hörte, ohne jemand zu sehen, und es dieselbe Stimme war, die sie auch in der Nacht gehört hatte, erschrak sie so, daß sie von ihrem Stühlchen herabglitschte und die Milch verschüttete. Sie lief in der größten Hast zu ihrem Herrn und rief 'ach Gott, Herr Pfarrer, die Kuh hat geredet.' 'Du bist verrückt,' antwortete der Pfarrer, ging aber doch selbst in den Stall und wollte nachsehen, was es da gäbe. Kaum aber hatte er den Fuß hineingesetzt, so rief Daumesdick aufs neue 'bringt mir kein frisch Futter mehr, bringt mir kein frisch Futter mehr.' Da erschrak der Pfarrer selbst, meinte, es wäre ein böser Geist in die Kuh gefahren, und hieß sie töten. Sie ward geschlachtet, der Magen aber, worin Daumesdick steckte, auf den Mist geworfen. Daumesdick hatte große Mühe, sich hindurchzuarbeiten, und hatte große Mühe damit, doch brachte ers so weit, daß er Platz bekam, aber als er eben sein Haupt herausstrecken wollte, kam ein neues Unglück. Ein hungriger Wolf lief heran und verschlang den ganzen Magen mit einem Schluck. Daumnesdick verlor den Mut nicht, 'vielleicht,' dachte er, 'läßt der Wolf mit sich reden,' und rief ihm aus dem Wanste zu 'lieber Wolf' ich weiß dir einen herrlichen Fraß.' 'Wo ist der zu holen?' sprach der Wolf. 'In dem und dem Haus, da mußt du durch die Gosse hineinkriechen, und wirst Kuchen, Speck und Wurst finden, so viel du essen willst,' und beschrieb ihm genau seines Vaters Haus. Der Wolf ließ sich das nicht zweimal sagen, drängte sich in der Nacht zur Gosse hinein und fraß in der Vorratskammer nach Herzenslust. Als er sich gesättigt hatte' wollte er wieder fort, aber er war so dick geworden' daß er denselben Weg nicht wieder hinaus konnte. Darauf hatte Daumesdick gerechnet und fing nun an' in dem Leib des Wolfes einen gewaltigen Lärmen zu machen, tobte und schrie, was er konnte. 'Willst du stille sein,' sprach der Wolf, 'du weckst die Leute auf.' 'Ei was,' antwortete der Kleine, 'du hast dich satt gefressen, ich will mich auch lustig machen,' und fing von neuem an, aus allen Kräften zu schreien. Davon erwachte endlich sein Vater und seine Mutter, liefen an die Kammer und schauten durch die Spalte hinein. Wie sie sahen, daß ein Wolf darin hauste, liefen sie davon, und der Mann holte eine Axt, und die Frau die Sense. 'Bleib dahinten,' sprach der Mann, als sie in die Kammer traten, 'wenn ich ihm einen Schlag gegeben habe, und er davon noch nicht tot ist, so mußt du auf ihn einhauen, und ihm den Leib zerschneiden.' Da hörte Daumesdick die Stimme se ines Vaters und rief 'lieber Vater, ich bin hier, ich stecke im Leibe des Wolfs.' Sprach der Vater voll Freuden 'gottlob, unser liebes Kind hat sich wiedergefunden,' und hieß die Frau die Sense wegtun, damit Daumesdick nicht beschädigt würde. Danach holte er aus, und schlug dem Wolf einen Schlag auf den Kopf, daß er tot niederstürzte, dann suchten sie Messer und Schere, schnitten ihm den Leib auf und zogen den Kleinen wieder hervor. 'Ach,' sprach der Vater, 'was haben wir für Sorge um dich ausgestanden!, 'Ja, Vater, ich bin viel in der Welt herumgekommen; gottlob, daß ich wieder frische Luft schöpfe!' 'Wo bist du denn all gewesen?' 'Ach, Vater, ich war in einem Mauseloch, in einer Kuh Bauch und in eines Wolfes Wanst: nun bleib ich bei euch.' 'Und wir verkaufen dich um alle Reichtümer der Welt nicht wieder,' sprachen die Eltern, herzten und küßten ihren lieben Daumesdick. Sie gaben ihm zu essen und trinken, und ließen ihm neue Kleider machen, denn die seinigen waren ihm auf der Reise verdorben.

Die Märchen der Brüder

Allerleirauh
Es war einmal ein König, der hatte eine Frau mit goldenen Haaren, und sie war so schön, daß sich ihresgleichen nicht mehr auf Erden fand. Es geschah, daß sie krank lag, und als sie fühlte, daß sie bald sterben würde, rief sie den König und sprach: "Wenn du nach meinem Tode dich wieder vermählen willst, so nimm keine, die nicht ebenso schön ist, als ich bin und die nicht solche goldene Haare hat, wie ich habe, das mußt du mir versprechen." Nachdem es ihr der König versprochen hatte, tat sie die Augen zu und starb.
Der König war lange Zeit nicht zu trösten und dachte nicht daran, eine zweite Frau zu nehmen. Endlich sprachen seine Räte: "Es geht nicht anders, der König muß sich wieder vermählen, damit wir eine Königin haben." Nun wurden Boten weit und breit umhergeschickt, eine Braut zu suchen, die an Schönheit der verstorbenen Königin ganz gleichkäme. Es war aber keine in der ganzen Welt zu finden, und wenn man sie auch gefunden hätte, so war doch keine da, die solche goldene Haare gehabt hätte. Also kamen die Boten unverrichteter Sache wieder heim.
Nun hatte der König eine Tochter, die war gerade so schön wie ihre verstorbene Mutter, und hatte auch solche goldene Haare. Als sie herangewachsen war, sah sie der König einmal an und sah, daß sie in allem seiner verstorbenen Gemahlin ähnlich war, und fühlte plötzlich eine heftige Liebe zu ihr. Da sprach er zu seinen Räten: "Ich will meine Tochter heiraten, denn sie ist das Ebenbild meiner verstorbenen Frau, und sonst kann ich doch keine Braut finden, die ihr gleicht."
Als die Räte das hörten, erschraken sie und sprachen: "Gott hat verboten, daß der Vater seine Tochter heirate, aus der Sünde kann nichts Gutes entspringen, und das Reich wird mit ins Verderben gezogen." Die Tochter erschrak noch mehr, als sie den Entschluß ihres Vaters vernahm, hoffte aber, ihn von seinem Vorhaben noch abzubringen. Da sagte sie zu ihm: "Eh ich Euren Wunsch erfülle, muß ich erst drei Kleider haben, eins so golden wie die Sonne, eins so silbern wie der Mond, und eins so glänzend wie die Sterne; ferner verlange ich einen Mantel von tausenderlei Pelz und Rauhwerk zusammengesetzt, und ein jedes Tier in Eurem Reich muß ein Stück von seiner Haut dazu geben."
Sie dachte aber: "Das anzuschaffen ist ganz unmöglich, und ich bringe damit meinen Vater von seinen bösen Gedanken ab."
Der König ließ aber nicht ab, und die geschicktesten Jungfrauen in seinem Reiche mußten die drei Kleider weben, eins so golden wie die Sonne, eins so silbern wie der Mond, und eins so glänzend wie die Sterne; und seine Jäger mußten alle Tiere im ganzen Reiche auffangen und ihnen ein Stück von ihrer Haut abziehen; daraus ward ein Mantel von tausenderlei Rauhwerk gemacht.. Endlich, als alles fertig war, ließ der König den Mantel herbeiholen, breitete ihn vor ihr aus und sprach: "Morgen soll die Hochzeit sein."
Als nun die Königstochter sah, daß keine Hoffnung mehr war, ihres Vaters Herz umzuwenden, so faßte sie den Entschluß zu entfliehen. In der Nacht, während alles schlief, stand sie auf und nahm von ihren Kostbarkeiten dreierlei, einen goldenen Ring, ein goldenes Spinnrädchen und ein goldenes Hastelchen; die drei Kleider von Sonne, Mond und Sternen tat sie in eine Nußschale, zog den Mantel von allerlei Rauhwerk an und machte sich Gesicht und Hände mit Ruß schwarz. Dann befahl sie sich Gott und ging fort, und ging die ganze Nacht, bis sie in einen großen Wald kam. Und weil sie müde war, setzte sie sich in einen hohlen Baum und schlief ein.
Die Sonne ging auf, und sie schlief fort und schlief noch immer, als es schon hoher Tag war. Da trug es sich zu, daß der König, dem dieser Wald gehörte, darin jagte. Als seine Hunde zu dem Baum kamen, schnupperten sie, liefen rings herum und bellten. Sprach der König zu den Jägern: "Seht doch, was dort für ein Wild sich versteckt hat." Die Jäger folgten dem Befehl, und als sie wiederkamen, sprachen sie: "In dem hohlen Baum liegt ein wunderliches Tier, wie wir noch niemals eins gesehen haben: an seiner Haut ist tausenderlei Pelz; es liegt aber und schläft." Sprach der König: "Seht zu, ob ihrs lebendig fangen könnt, dann bindets auf den Wagen und nehmts mit."
Als die Jäger das Mädchen anfaßten, erwachte es voll Schrecken und rief ihnen zu: "Ich bin ein armes Kind, von Vater und Mutter verlassen, erbarmt euch mein und nehmt mich mit." Da sprachen sie: "A l l e r l e i r a u h , du bist gut für die Küche, komm nur mit, da kannst du die Asche zusammenkehren." Also setzten sie es auf den Wagen und fuhren heim in das königliche Schloß. Dort wiesen sie ihm ein Ställchen an unter der Treppe, wo kein Tageslicht hinkam, und sagten: "Rauhtierchen, da kannst du wohnen und schlafen." Dann ward es in die Küche geschickt, da trug es Holz und Wasser, schürte das Feuer, rupfte das Federvieh, belas das Gemüs, kehrte die Asche und tat alle schlechte Arbeit.
Da lebte Allerleirauh lange Zeit recht armselig. Ach, du schöne Königstochter, wie solls mit dir noch werden! Es geschah aber einmal, daß ein Fest im Schloß gefeiert ward, da sprach sie zum Koch: "Darf ich ein wenig hinaufgehen und zusehen? Ich will mich außen vor die Türe stellen." Antwortete der Koch: "Ja, geh nur hin, aber in einer halben Stunde mußt du wieder hier sein und die Asche zusammentragen." Da nahm sie ihr Öllämpchen, ging in ihr Ställchen, zog den Pelzrock aus und wusch sich den Ruß von dem Gesicht und den Händen ab, so daß ihre volle Schönheit wieder an den Tag kam.. Dann machte sie die Nuß auf und holte ihr Kleid hervor, das wie die Sonne glänzte. Und wie das geschehen war, ging sie hinauf zum Fest, und alle traten ihr aus dem Weg, denn niemand kannte sie, und meinten nicht anders, als daß es eine Königstochter wäre. Der König aber kam ihr entgegen, reichte ihr die Hand und tanzte mit ihr, und dachte in seinem Herzen: "So schön haben meine Augen noch keine gesehen." Als der Tanz zu Ende war, verneigte sie sich, und wie sich der König umsah, war sie verschwunden, und niemand wußte, wohin. Die Wächter, die vor dem Schlosse standen, wurden gerufen und ausgefragt, aber niemand hatte sie erblickt.
Sie war aber in ihr Ställchen gelaufen, hatte geschwind ihr Kleid ausgezogen, Gesicht und Hände schwarz gemacht und den Pelzmantel umgetan, und war wieder Allerleirauh. Als sie nun in die Küche kam und an ihre Arbeit gehen und die Asche zusammenkehren wollte, sprach der Koch: "Laß das gut sein bis morgen und koche mir da die Suppe für den König, ich will auch einmal ein bißchen oben zugucken, aber laß mir kein Haar hineinfallen, sonst kriegst du in Zukunft nichts mehr zu essen." Da ging der Koch fort, und Allerleirauh kochte die Suppe für den König, und kochte eine Brotsuppe, so gut es konnte, und wie sie fertig war, holte es in dem Ställchen seinen goldenen Ring und legte ihn in die Schüssel, in welche die Suppe angerichtet ward. Als der Tanz zu Ende war, ließ sich der König die Suppe bringen und aß sie, und sie schmeckte ihm so gut, daß er meinte, niemals eine bessere Suppe gegessen zu haben. Wie er aber auf den Grund kam, sah er da einen goldenen Ring liegen und konnte nicht begreifen, wie er dahin geraten war. Da befahl er, der Koch sollte vor ihn kommen. Der Koch erschrak, wie er den Befehl hörte, und sprach zu Allerleirauh: "Gewiß hast du ein Haar in die Suppe fallen lassen; wenns wahr ist, so kriegst du Schläge." Als er vor den König kam, fragte dieser, wer die Suppe gekocht hätte. Antwortete der Koch: "Ich habe sie gekocht."
Der König aber sprach: "Das ist nicht wahr, denn sie war auf andere Art und viel besser gekocht als sonst."
Antwortete er: "Ich muß es gestehen, daß ich sie nicht gekocht habe, sondern das Rauhtierchen."
Sprach der König: "Geh und laß es heraufkommen."
Als Allerleirauh kam, fragte der König: "Wer bist du?"
"Ich bin ein armes Kind, das keinen Vater und Mutter mehr hat."
Fragte er weiter: "Wozu bist du in meinem Schloß?"
Antwortete es: "Ich bin zu nichts gut, als daß mir die Stiefeln um den Kopf geworfen werden."
Fragte er weiter: "Wo hast du den Ring her, der in der Suppe war?"
Antwortete es: "Von dem Ring weiß ich nichts."
Also konnte der König nichts erfahren und mußte es wieder fortschicken.
Über eine Zeit war wieder ein Fest, da bat Allerleirauh den Koch wie vorigesmal um Erlaubnis, zusehen zu dürfen. Antwortete er: "Ja, aber komm in einer halben Stunde wieder und koch dem König die Brotsuppe, die er so gerne ißt." Da lief es in sein Ställchen, wusch sich geschwind und nahm aus der Nuß das Kleid, das so silbern war wie der Mond, und tat es an. Dann ging es hinauf, und glich einer Königstochter: und der König trat ihr entgegen und freute sich, daß er sie wiedersah, und weil eben der Tanz anhub, so tanzten sie zusammen. Als aber der Tanz zu Ende war, verschwand sie wieder so schnell, daß der König nicht bemerken konnte, wo sie hinging. Sie sprang aber in ihr Ställchen, und machte sich wieder zum Rauhtierchen, und ging in die Küche, die Brotsuppe zu kochen. Als der Koch oben war, holte es das goldene Spinnrad und tat es in die Schüssel, so daß die Suppe darüber angerichtet wurde. Danach ward sie dem König gebracht, der aß sie, und sie schmeckte ihm so gut wie das vorigemal, und ließ den Koch kommen, der mußte auch diesmal gestehen, daß Allerleirauh die Suppe gekocht hätte. Allerleirauh kam da wieder vor den König, aber sie antwortete, daß sie nur dazu da wäre, daß ihr die Stiefeln an den Kopf geworfen würden und daß sie von dem goldenen Spinnrädchen gar nichts wüßte.
Als der König zum drittenmal ein Fest anstellte, da ging es nicht anders als die vorigemale.. Der Koch sprach zwar: "Du bist eine Hexe, Rauhtierchen, und tust immer etwas in die Suppe, davon sie so gut wird, und dem König besser schmeckt, als was ich koche." Doch weil es so bat, so ließ er es auf die bestimmte Zeit hingehen. Nun zog es ein Kleid an, das wie die Sterne glänzte, und trat damit in den Saal. Der König tanzte wieder mit der schönen Jungfrau und meinte, daß sie noch niemals so schön gewesen wäre. Und während er tanzte, steckte er ihr, ohne daß sie es merkte, einen goldenen Ring an den Finger, und hatte befohlen, daß der Tanz recht lang währen sollte. Wie er zu Ende war, wollte er sie an den Händen festhalten, aber sie riß sich los und sprang so geschwind unter die Leute, daß sie vor seinen Augen verschwand. Sie lief, was sie konnte, in ihr Ställchen unter der Treppe, weil sie aber zu lange und über eine halbe Stunde geblieben war, so konnte sie das schöne Kleid nicht ausziehen, sondern warf nur den Mantel von Pelz darüber, und in der Eile machte sie sich auch nicht ganz rußig, sondern ein Finger blieb weiß. Allerleirauh lief nun in die Küche, kochte dem König die Brotsuppe und legte, wie der Koch fort war, den goldenen Haspel hinein. Der König, als er den Haspel auf dem Grunde fand, ließ Allerleirauh rufen: Da erblickte er den weißen Finger und sah den Ring, den er im Tanze ihr angesteckt hatte. Da ergriff er sie an der Hand und hielt sie fest, und als sie sich losmachen und fortspringen wollte, tat sich der Pelzmantel ein wenig auf, und das Sternenkleid schimmerte hervor. Der König faßte den Mantel und riß ihn ab. Da kamen die goldenen Haare hervor und sie stand da in voller Pracht und konnte sich nicht länger verbergen. Und als sie Ruß und Asche aus ihrem Gesicht gewischt hatte, da war sie schöner, als man noch jemand auf Erden gesehen hatte. Der König aber sprach: "Du bist meine liebe Braut, und wir scheiden nimmermehr voneinander."
Darauf ward die Hochzeit gefeiert, und sie lebten vergnügt bis an ihren Tod.


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Bruder Lustig

Es war einmal ein großer Krieg, und als der Krieg zu Ende war, bekamen viele Soldaten ihren Abschied. Nun bekam der Bruder Lustig auch seinen Abschied und sonst nichts als ein kleines Laibchen Kommißbrot und vier Kreuzer an Geld; damit zog er fort. Der heilige Petrus aber hatte sich als ein armer Bettler an den Weg gesetzt, und wie der Bruder Lustig daherkam, bat er ihn um ein Almosen. Er antwortete: "Lieber Bettelmann, was soll ich dir geben? Ich bin Soldat gewesen und habe meinen Abschied bekommen, und habe sonst nichts als das kleine Kommißbrot und vier Kreuzer Geld, wenn das all ist, muß ich betteln, so gut wie du. Doch geben will ich dir was." Darauf teilte er den Laib in vier Teile und gab davon dem Apostel einen und auch einen Kreuzer.
Der heilige Petrus bedankte sich, ging weiter und setzte sich in einer andern Gestalt wieder als Bettelmann dem Soldaten an den Weg, und als er zu ihm kam, bat er ihn, wie das vorigemal, um eine Gabe. Der Bruder Lustig sprach wie vorher und gab ihm wieder ein Viertel von dem Brot und einen Kreuzer.
Der heilige Petrus bedankte sich und ging weiter, setzte sich aber zum drittenmal in einer andern Gestalt als ein Bettler an den Weg und sprach den Bruder Lustig an. Der Bruder Lustig gab ihm auch das dritte Viertel Brot und den dritten Kreuzer. Der heilige Petrus bedankte sich, und der Bruder Lustig ging weiter und hatte nicht mehr als ein Viertel Brot und einen Kreuzer. Damit ging er in ein Wirtshaus, aß das Brot und ließ sich für den Kreuzer Bier dazu geben. Als er fertig war, zog er weiter, und da ging ihm der heilige Petrus gleichfalls in der Gestalt eines verabschiedeten Soldaten entgegen und redete ihn an : "Guten Tag, Kamerad, kannst du mir nicht ein Stück Brot geben und einen Kreuzer zu einem Trunk?"
"Wo soll ichs hernehmen", antwortete der Bruder Lustig. "Ich habe meinen Abschied und sonst nichts als einen Laib Kommißbrot und vier Kreuzer an Geld bekommen. Drei Bettler sind mir auf der Landstraße begegnet, davon hab ich jedem ein Viertel von meinem Brot und einen Kreuzer Geld gegeben. Das letzte Viertel habe ich im Wirtshaus gegessen und für den letzten Kreuzer dazu getrunken. Jetzt bin ich leer, und wenn du auch nichts mehr hast, so können wir miteinander betteln gehen."
"Nein" , antwortete der heilige Petrus, "das wird just nicht nötig sein: ich verstehe mich ein wenig auf die Doktorei, und damit will ich mir schon so viel verdienen, als ich brauche."
"Ja", sagte der Bruder Lustig, "davon verstehe ich nichts, also muß ich allein betteln gehen."
"Nun komm nur mit", sprach der heilige Petrus, "wenn ich was verdiene, sollst du die Hälfte davon haben."
"Das ist mir wohl recht", sagte der Bruder Lustig. Also zogen sie miteinander fort.
Nun kamen sie an ein Bauernhaus und hörten darin gewaltig jammern und schreien, da gingen sie hinein, so lag der Mann darin auf den Tod krank und war nah am Verscheiden, und die Frau heulte und weinte ganz laut.
"Laßt Euer Heulen und Weinen", sprach der heilige Petrus, "ich will den Mann wieder gesund machen." Er nahm eine Salbe aus der Tasche und heilte den Kranken augenblicklich, so daß er aufstehen konnte und ganz gesund war. Sprachen Mann und Frau in großer Freude: "Wie können wir Euch lohnen? Was sollen wir Euch geben?" Der heilige Petrus aber wollte nichts nehmen, und je mehr ihn die Bauersleute baten, desto mehr weigerte er sich. Der Bruder Lustig aber stieß den heiligen Petrus an und sagte: "So nimm doch was, wir brauchens ja." Endlich brachte die Bäuerin ein Lamm und sprach zu dem heiligen Petrus, das müßte er annehmen, aber er wollte es nicht. Da stieß ihn der Bruder Lustig in die Seite und sprach: "Nimm´s doch, dummer Teufel, wir brauchens ja."
Da sagte der heilige Petrus endlich: "Ja, das Lamm will ich nehmen, aber ich trags nicht: wenn du´s willst, so mußt du es tragen."
"Das hat keine Not", sprach der Bruder Lustig, "das will ich schon tragen", und nahm´s auf die Schulter. Nun gingen sie fort und kamen in einen Wald, da war das Lamm dem Bruder Lustig schwer geworden, er aber war hungrig, also sprach er zu dem heiligen Petrus: "Schau, da ist ein schöner Platz, da könnten wir das Lamm kochen und verzehren."
"Mir ists recht", antwortete der heilige Petrus, "doch kann ich mit der Kocherei nicht umgehen: willst du kochen, so hast du da einen Kessel, ich will derweil auf- und abgehen, bis es gar ist. Du mußt aber nicht eher zu essen anfangen, als bis ich wieder zurück bin; ich will schon zu rechter Zeit kommen."
"Geh nur", sagte Bruder Lustig, "ich verstehe mich aufs Kochen, ich wills schon machen." Da ging der heilige Petrus fort, und der Bruder Lustig schlachtete das Lamm, machte Feuer an, warf das Fleisch in den Kessel und kochte. Das Lamm war aber schon gar und der Apostel immer noch nicht zurück, da nahm es der Bruder Lustig aus dem Kessel, zerschnitt es und fand das Herz.
"Das soll das Beste sein", sprach er und versuchte es, zuletzt aber aß er es ganz auf. Endlich kam der heilige Petrus zurück und sprach: "Du kannst das ganze Lamm allein essen, ich will nur das Herz davon, das gib mir." Da nahm Bruder Lustig Messer und Gabel, tat, als suchte er eifrig in dem Lammfleisch herum, konnte aber das Herz nicht finden; endlich sagte er kurzweg: "Es ist keins da."
"Nun, wo soll´s denn sein?", sagte der Apostel.
"Das weiß ich nicht", antwortete der Bruder Lustig, "aber schau, was sind wir alle beide für Narren, suchen das Herz vom Lamm, und fällt keinem von uns ein, ein Lamm hat ja kein Herz!"
"Ei," sprach der heilige Petrus, "das ist was ganz Neues, jedes Tier hat ja ein Herz, warum sollt ein Lamm kein Herz haben?"
"Nein, gewißlich, Bruder, ein Lamm hat kein Herz, denk nur recht nach, so wird dirs einfallen, es hat im Ernst keins."
"Nun, es ist schon gut", sagte der heilige Petrus, "ist kein Herz da, so brauch ich auch nichts vom Lamm, du kannst´s allein essen." "Was ich halt nicht aufessen kann, das nehm ich mit in meinem Ranzen", sprach der Bruder Lustig, aß das halbe Lamm und steckte das übrige in seinen Ranzen.
Sie gingen weiter, da machte der heilige Petrus, daß ein großes Wasser quer über den Weg floß und sie hindurch mußten. Sprach der heilige Petrus: "Geh du nur voran."
"Nein", antwortete der Bruder Lustig, "geh du voran" und dachte: "Wenn dem das Wasser zu tief ist, so bleib ich zurück." Da schritt der heilige Petrus hindurch, und das Wasser ging ihm nur bis ans Knie. Nun wollte Bruder Lustig auch hindurch, aber das Wasser wurde größer und stieg ihm an den Hals. Da rief er: "Bruder, hilf mir."
Sagte der heilige Petrus: "Willst du auch gestehen, daß du das Herz von dem Lamm gegessen hast?"
"Nein", antwortete er, "ich hab es nicht gegessen." Da ward das Wasser noch größer und stieg ihm bis an den Mund.
"Hilf mir, Bruder", rief der Soldat.
Sprach der heilige Petrus noch einmal: "Willst du auch gestehen, daß du das Herz vom Lamm gegessen hast?"
"Nein", antwortete er, "ich hab es nicht gegessen."
Der heilige Petrus wollte ihn doch nicht ertrinken lassen, ließ das Wasser wieder fallen und half ihm hinüber.
Nun zogen sie weiter, und kamen in ein Reich, da hörten sie, daß die Königstochter todkrank läge.
"Hallo, Bruder", sprach der Soldat zum heiligen Petrus, "da ist ein Fang für uns, wenn wir die gesund machen, so ist uns auf ewige Zeiten geholfen." Da war ihm der heilige Petrus nicht geschwind genug, "Nun, heb die Beine auf, Bruderherz", sprach er zu ihm, "daß wir noch zu rechter Zeit hinkommen." Der heilige Petrus ging aber immer langsamer, wie auch der Bruder Lustig ihn trieb und schob, bis sie endlich hörten, die Königstochter wäre gestorben.
"Da haben wir´s", sprach der Bruder Lustig, "das kommt von deinem schläfrigen Gang."
"Sei nur still", antwortete der heilige Petrus, "ich kann noch mehr als Kranke gesund machen, ich kann auch Tote wieder ins Leben erwecken."
"Nun, wenn das ist", sagte der Bruder Lustig, "so laß ich mir´s gefallen, das halbe Königreich mußt du uns aber zum wenigsten damit verdienen." Darauf gingen sie in das königliche Schloß, wo alles in großer Trauer war: der heilige Petrus aber sagte zu dem König, er wolle die Tochter wieder lebendig machen. Da ward er zu ihr geführt, und dann sprach er: "Bringt mir einen Kessel mit Wasser", und wie der gebracht war, hieß er jedermann hinausgehen, und nur der Bruder Lustig durfte bei ihm bleiben. Darauf schnitt er alle Glieder der Toten los und warf sie ins Wasser, machte Feuer unter den Kessel und ließ sie kochen. Und wie alles Fleisch von den Knochen herabgefallen war, nahm er das schöne weiße Gebein heraus und legte es auf eine Tafel, und reihte und legte es nach seiner natürlichen Ordnung zusammen. Als das geschehen war, trat er davor und sprach dreimal: "Im Namen der allerheiligsten Dreifaltigkeit, Tote, steh auf." Und beim drittenmal erhob sich die Königstochter lebendig, gesund und schön. Nun war der König darüber in großer Freude und sprach zum heiligen Petrus: "Begehre deinen Lohn, und wenns mein halbes Königreich wäre, so will ich dir´s geben."
Der heilige Petrus aber antwortete: "Ich verlange nichts dafür."
"Oh, du Hans Narr!" dachte der Bruder Lustig bei sich, stieß seinen Kameraden in die Seite und sprach: "Sei doch nicht so dumm, wenn du nichts willst, so brauch ich doch was."
Der heilige Petrus aber wollte nichts; doch weil der König sah, daß der andere gerne was wollte, ließ er ihm vom Schatzmeister seinen Ranzen mit Gold anfüllen.
Sie zogen darauf weiter, und wie sie in einen Wald kamen, sprach der heilige Petrus zum Bruder Lustig: "Jetzt wollen wir das Gold teilen."
"Ja", antwortete er, "das wollen wir tun." Da teilte der heilige Petrus das Gold und teilte es in drei Teile.
Dachte der Bruder Lustig: "Was er wieder für einen Sparren im Kopf hat! Macht drei Teile, und unser sind zwei."
Der heilige Petrus aber sprach: "Nun habe ich genau geteilt, ein Teil für mich, ein Teil für dich, und ein Teil für den, der das Herz vom Lamm gegessen hat."
"O, das hab ich gegessen", antwortete der Bruder Lustig und strich geschwind das Gold ein. "Das kannst du mir glauben."
"Wie kann das wahr sein", sprach der heilige Petrus, "ein Lamm hat ja kein Herz."
"Ei, was, Bruder, wo denkst du hin! Ein Lamm hat ja ein Herz, so gut wie jedes Tier, warum sollte das allein keins haben?"
"Nun, es ist schon gut", sagte der heilige Petrus, "behalt das Gold allein, aber ich bleibe nicht mehr bei dir und will meinen Weg allein gehen."
"Wie du willst, Bruderherz", antwortete der Soldat, "leb wohl."
Da ging der heilige Petrus eine andere Straße. Bruder Lustig aber dachte: "Es ist gut, daß er abtrabt, es ist doch ein wunderlicher Heiliger." Nun hatte er zwar Geld genug, wußte aber nicht mit umzugehen, vertat´s, verschenkt´s, und wie eine Zeit herum war, hatte er wieder nichts. Da kam er in ein Land, wo er hörte, daß die Königstochter gestorben wäre. "Holla!" dachte er, "das kann gut werden, die will ich wieder lebendig machen und mirs bezahlen lassen, daß es eine Art hat." Ging also zum König und bot ihm an, die Tote wieder zu erwecken. Nun hatte der König gehört, daß ein abgedankter Soldat herumziehe und die Gestorbenen wieder lebendig mache, und dachte, der Bruder Lustig wäre dieser Mann, doch weil er kein Vertrauen zu ihm hatte, fragte er erst seine Räte, die sagten aber, er könnte es wagen, da seine Tochter doch tot wäre.
Nun ließ sich der Bruder Lustig Wasser im Kessel bringen, hieß jedermann hinausgehen, schnitt die Glieder ab, warf sie ins Wasser und machte Feuer darunter, gerade wie er es beim heiligen Petrus gesehen hatte. Das Wasser fing an zu kochen, und das Fleisch fiel herab, da nahm er das Gebein heraus und tat es auf die Tafel; er wußte aber nicht, in welcher Ordnung es liegen mußte und legte alles verkehrt durcheinander. Dann stellte er sich davor und sprach: "Im Namen der allerheiligsten Dreifaltigkeit, Tote, steh auf" und sprachs dreimal, aber die Gebeine rührten sich nicht. Da sprach er es noch dreimal, abergleichfalls umsonst.
"Du Blitzmädel, steh auf", rief er, "steh auf, oder es geht dir nicht gut."
Wie er das gesprochen, kam der heilige Petrus auf einmal in seiner vorigen Gestalt, als verabschiedeter Soldat, durchs Fenster hereingegangen und sprach: "Du gottloser Mensch, was treibst du da, wie kann die Tote auferstehen, da du ihr Gebein so untereinander geworfen hast?"
"Bruderherz, ich hab´s gemacht, so gut ich konnte", antwortete er.
"Diesmal will ich dir aus der Not helfen, aber das sag ich dir, wo du noch einmal so etwas unternimmst, so bist du unglücklich, auch darfst du von dem König nicht das Geringste dafür begehren oder annehmen." Darauf legte der heilige Petrus die Gebeine in ihre rechte Ordnung, sprach dreimal zu ihr: "Im Namen der allerheiligsten Dreifaltigkeit, Tote, steh auf", und die Königstochter stand auf, war gesund und schön wie vorher. Nun ging der heilige Petrus wieder durchs Fenster hinaus: der Bruder Lustig war froh, daß es so gut abgelaufen war, ärgerte sich aber doch, daß er nichts dafür nehmen sollte.
"Ich möchte nur wissen", dachte er, "was der für Mucken im Kopf hat, denn was er mit der einen Hand gibt, das nimmt er mit der andern: da ist kein Verstand drin." Nun bot der König dem Bruder Lustig an, was er haben wollte, er durfte aber nichts nehmen, doch brachte er es durch Anspielung und Listigkeit dahin, daß ihm der König seinen Ranzen mit Gold füllen ließ, und damit zog er ab. Als er hinauskam, stand vor dem Tor der heilige Petrus und sprach: "Schau, was du für ein Mensch bist, habe ich dir nicht verboten, etwas zu nehmen, und nun hast du den Ranzen doch voll Gold."
"Was kann ich dafür", antwortete Bruder Lustig, "wenn mir´s hineingesteckt wird."
"Das sag ich dir, daß du nicht zum zweitenmal solche Dinge unternimmst, sonst soll es dir schlimm ergehen."
"Ei, Bruder, sorg doch nicht, jetzt hab ich Gold, was soll ich mich da mit dem Knochenwaschen abgeben."
"Ja", sprach der heilige Petrus, "das Gold wird lang dauern! Damit du aber hernach nicht wieder auf unerlaubten Wegen gehst, so will ich deinem Ranzen die Kraft geben, daß alles, was du dir hineinwünschest, auch darin sein soll. Leb wohl, du siehst mich nun nicht wieder."
"Gott befohlen", sprach der Bruder Lustig und dachte: "Ich bin froh, daß du fortgehst, du wunderlicher Kauz, ich will dir wohl nicht nachgehen." An die Wunderkraft aber, die seinem Ranzen verliehen war, dachte er nicht weiter.
Bruder Lustig zog mit seinem Gold umher, und vertat´s und verfumfeit´s wie das erstemal. Als er nun nichts mehr als vier Kreuzer hatte, kam er an einem Wirtshaus vorbei und dachte: "Das Geld muß fort" und ließ sich für drei Kreuzer Wein und einen Kreuzer Brot geben. Wie er da saß und trank, kam ihm der Geruch von gebratenen Gänsen in die Nase. Bruder Lustig schaute und guckte, und sah, daß der Wirt zwei Gänse in der Ofenröhre stehen hatte. Da fiel ihm ein, daß ihm sein Kamerad gesagt hatte, was er sich in seinen Ranzen wünschte, das sollte darin sein. "Holla, das mußt du mit den Gänsen versuchen!" Also ging er hinaus, und vor der Türe sprach er: "So wünsch ich die zwei gebratenen Gänse aus der Ofenröhre in meinen Ranzen."
Wie er das gesagt hatte, schnallte er ihn auf und schaute hinein, da lagen sie beide darin. "Ach, so ist´s recht", sprach er, "nun bin ich ein gemachter Kerl." Er ging fort auf eine Wiese und holte den Braten hervor. Wie er so im besten Essen war, kamen zwei Handwerksburschen daher und sahen die eine Gans, die noch nicht angerührt war, mit hungrigen Augen an. Dachte der Bruder Lustig "Mit einer hast du genug", rief die zwei Burschen herbei und sprach: "Da nehmt die Gans und verzehrt sie auf meine Gesundheit." Sie bedankten sich, gingen damit ins Wirtshaus, ließen sich eine Halbe Wein und ein Brot geben, packten die geschenkte Gans aus und fingen an zu essen. Die Wirtin sah zu und sprach zu ihrem Mann: "Die zwei essen eine Gans, sieh doch nach, ob´s nicht eine von unsern aus der Ofenröhre ist."
Der Wirt lief hin, da war die Ofenröhre leer: "Was, ihr Diebsgesindel, so wohlfeil wollt ihr Gänse essen! Gleich bezahlt, oder ich will euch mit grünem Haselsaft waschen."
Die zwei sprachen: "Wir sind keine Diebe, ein abgedankter Soldat hat uns die Gans draußen auf der Wiese geschenkt."
"Ihr sollt mir keine Nase drehen, der Soldat ist hier gewesen, aber als ein ehrlicher Kerl zur Tür hinaus gegangen, auf den hab ich acht gehabt: ihr seid die Diebe und sollt bezahlen." Da sie aber nicht bezahlen konnten, nahm er den Stock und prügelte sie zur Türe hinaus.
Bruder Lustig ging seiner Wege und kam an einen Ort, da stand ein prächtiges Schloß und nicht weit davon ein schlechtes Wirtshaus. Er ging in das Wirtshaus und bat um ein Nachtlager, aber der Wirt wies ihn ab und sprach: "Es ist kein Platz mehr da, das Haus ist voll vornehmer Gäste."
"Das nimmt mich wunder", sprach der Bruder Lustig, "daß sie zu Euch kommen und nicht in das prächtige Schloß gehen."
"Ja", antwortete der Wirt, "es hat was an sich, dort eine Nacht zu liegen, wer´s noch versucht hat, ist nicht lebendig wieder herausgekommen."
"Wenns andere versucht haben", sagte der Bruder Lustig, "will ich´s auch versuchen."
"Das laßt nur bleiben", sprach der Wirt, "es geht Euch an den Hals."
"Es wird nicht gleich an den Hals gehen", sagte der Bruder Lustig, "gebt mir nur die Schlüssel und brav Essen und Trinken mit." Nun gab ihm der Wirt die Schlüssel und Essen und Trinken, und damit ging der Bruder Lustig ins Schloß, ließ sich´s gut schmecken, und als er endlich schläfrig wurde, legte er sich auf die Erde, denn es war kein Bett da. Er schlief auch bald ein, in der Nacht aber wurde er von einem großen Lärm aufgeweckt, und wie er sich ermunterte, sah er neun häßliche Teufel in dem Zimmer, die hatten einen Kreis um ihn gemacht und tanzten um ihn herum. Sprach der Bruder Lustig: "Nun tanzt, solang ihr wollt, aber komm mir keiner zu nah."
Die Teufel aber drangen immer näher auf ihn ein und traten ihm mit ihren garstigen Füßen fast ins Gesicht. "Habt Ruh, ihr Teufelsgespenster", sprach er, aber sie triebens immer ärger. Da ward der Bruder Lustig bös und rief: "Holla, ich will bald Ruhe stiften!" kriegte ein Stuhlbein und schlug mitten hinein. Aber neun Teufel gegen einen Soldaten war doch zuviel, und wenn er auf den vordern zuschlug, so packten ihn die andern hinten bei den Haaren und rissen ihn erbärmlich. "Teufelspack", rief er, "jetzt wird mir´s zu arg: wartet aber! Alle neune in meinen Ranzen hinein!" Husch, steckten sie darin, und nun schnallte er ihn zu und warf ihn in eine Ecke. Da wars auf einmal still, und Bruder Lustig legte sich wieder hin und schlief bis an den hellen Morgen. Nun kamen der Wirt und der Edelmann, dem das Schloß gehörte, und wollten sehen, wie es ihm ergangen wäre; als sie ihn gesund und munter erblickten, erstaunten sie und fragten: "Haben Euch denn die Geister nichts getan?"
"Warum nicht gar", antwortete Bruder Lustig, "ich habe sie alle neune in meinem Ranzen. Ihr könnt Euer Schloß wieder ganz ruhig bewohnen, es wird von nun an keiner mehr darin umgehen!" Da dankte ihm der Edelmann, beschenkte ihn reichlich und bat ihn, in seinen Diensten zu bleiben, er wollte ihn auf sein Lebtag versorgen. "Nein", antwortete er, "ich bin an das Herumwandern gewöhnt, ich will weiterziehen." Da ging der Bruder Lustig fort, trat in eine Schmiede und legte den Ranzen, worin die neun Teufel waren, auf den Amboß, und bat den Schmied und seine Gesellen zuzuschlagen. Die schlugen mit ihren großen Hämmern aus allen Kräften zu, daß die Teufel ein erbärmliches Gekreisch erhoben. Wie er danach den Ranzen aufmachte, waren achte tot, einer aber, der in einer Falte gesessen hatte, war noch lebendig, schlüpfte heraus und fuhr wieder in die Hölle.
Darauf zog der Bruder Lustig noch lange in der Welt herum, und wer´s wüßte, könnte viel davon erzählen. Endlich aber wurde er alt und dachte an sein Ende, da ging er zu einem Einsiedler, der als ein frommer Mann bekannt war, und sprach zu ihm: "Ich bin das Wandern müde und will nun trachten, in das Himmelreich zu kommen."
Der Einsiedler antwortete: "Es gibt zwei Wege, der eine ist breit und angenehm und führt zur Hölle, der andere ist eng und rauh und führt zum Himmel."
"Da müßt ich ein Narr sein", dachte der Bruder Lustig, "wenn ich den engen und rauhen Weg gehen sollte." Machte sich auf und ging den breiten und angenehmen Weg, und kam endlich zu einem großen schwarzen Tor, und das war das Tor der Hölle. Bruder Lustig klopfte an, und der Torwächter guckte, wer da wäre. Wie er aber den Bruder Lustig sah, erschrak er, denn er war gerade der neunte Teufel, der mit in dem Ranzen gesteckt hatte und mit einem blauen Auge davongekommen war. Darum schob er den Riegel geschwind wieder vor, lief zum Obersten der Teufel und sprach: "Draußen ist ein Kerl mit einem Ranzen und will herein, aber laßt ihn beileibe nicht herein, er wünscht sonst die ganze Hölle in seinen Ranzen. Er hat mich einmal garstig darin hämmern lassen."
Also ward dem Bruder Lustig hinausgerufen, er sollte wieder abgehen, er käme nicht herein. "Wenn sie mich da nicht wollen", dachte er, "will ich sehen, ob ich im Himmel ein Unterkommen finde, irgendwo muß ich doch bleiben."
Kehrte also um und zog weiter, bis er vor das Himmelstor kam, wo er auch anklopfte. Der heilige Petrus saß gerade dabei als Torwächter: Der Bruder Lustig erkannte ihn gleich und dachte: "Hier findest du einen alten Freund, da wirds besser gehen." Aber der heilige Petrus sprach: "Ich glaube gar, du willst in den Himmel?"
"Laß mich doch ein, Bruder, ich muß doch wo einkehren; hätten sie mich in der Hölle aufgenommen, so wär ich nicht hierher gegangen."
"Nein", sagte der heilige Petrus, "du kommst nicht herein."
"Nun, willst du mich nicht einlassen, so nimm auch deinen Ranzen wieder: dann will ich gar nichts von dir haben", sprach der Bruder Lustig.
"So gib ihn her", sagte der heilige Petrus. Da reichte er den Ranzen durchs Gitter in den Himmel hinein, und der heilige Petrus nahm ihn und hing ihn neben seinen Sessel auf. Da sprach der Bruder Lustig: "Nun wünsch ich mich selbst in meinen Ranzen hinein."
Husch, war er darin, und saß nun im Himmel, und der heilige Petrus mußte ihn darin lassen.

Die Märchen der Brüder

Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen

Ein Vater hatte zwei Söhne, davon war der älteste klug und gescheit und wußte sich in alles wohl zu schicken, der jüngste aber war dumm, konnte nichts begreifen und lernen. Und wenn ihn die Leute sahen, sprachen sie: "Mit dem wird der Vater noch seine Last haben!" Wenn nun etwas zu tun war, so mußte es der älteste allzeit ausrichten; hieß ihn aber der Vater noch spät oder gar in der Nacht etwas holen, und der Weg ging dabei über den Kirchhof oder sonst einen schaurigen Ort, so antwortete er wohl: "Ach nein, Vater, ich gehe nicht dahin, es gruselt mir!" denn er fürchtete sich. Oder wenn abends beim Feuer Geschichten erzählt wurden, wobei einem die Haut schaudert, so sprachen die Zuhörer manchmal: "Ach, es gruselt mir!" Der jüngste saß in einer Ecke und hörte das mit an und konnte nicht begreifen, was es heißen sollte. "Immer sagen sie, es gruselt mir! Mir gruselt's nicht, das wird wohl eine Kunst sein, von der ich auch nichts verstehe."
Nun geschah es, daß der Vater einmal zu ihm sprach: "Hör du, in der Ecke dort, du wirst groß und stark, du mußt auch etwas lernen, womit du dein Brot verdienst. Siehst du, wie dein Bruder sich Mühe gibt, aber an dir ist Hopfen und Malz verloren."—"Ei, Vater", antwortete er, "ich will gerne was lernen; ja, wenn's anginge, so möchte ich lernen, daß mir's gruselte." Der älteste lachte, als er das hörte, und dachte bei sich: ,Du lieber Gott, was ist mein Bruder ein Dummbart, aus dem wird sein Lebtag nichts, was ein Häkchen werden will, muß sich beizeiten krümmen.' Der Vater seufzte und antwortete ihm: "Das Gruseln, das sollst du schon lernen, aber dein Brot wirst du damit nicht verdienen.
Bald danach kam der Küster zu Besuch ins Haus, da klagte ihm der Vater seine Not und erzählte, wie sein jüngster Sohn in allen Dingen so schlecht beschlagen wäre, er wüßte nichts und lernte nichts. "Denkt Euch, als ich ihn fragte, womit er sein Brot verdienen wollte, hat er gar verlangt, das Gruseln zu lernen."—"Wenn's weiter nichts ist", antwortete der Küster, "das kann er bei mir lernen; tut ihn nur zu mir, ich will ihn schon abhobeln." Der Vater war es zufrieden, weil er dachte: ,Der Junge wird doch ein wenig zugestutzt.' Der Küster nahm ihn also ins Haus, und er mußte die Glocke läuten. Nach ein paar Tagen weckte er ihn um Mitternacht, hieß ihn aufstehen, in den Kirchturm steigen und läuten. ,Du sollst schon lernen, was Gruseln ist', dachte er, ging heimlich voraus, und als der Junge oben war und sich umdrehte und das Glockenseil fassen wollte, so sah er auf der Treppe, dem Schalloch gegenüber eine weiße Gestalt stehen. "Wer da?" rief er, aber die Gestalt gab keine Antwort, regte und bewegte sich nicht. "Gib Antwort", rief der Junge, "oder mache, daß du fortkommst, du hast hier in der Nacht nichts zu schaffen." Der Küster aber blieb unbeweglich stehen, damit der Junge glauben sollte, es wäre ein Gespenst. Der Junge rief zum zweitenmal: "Was willst du hier? Sprich, wenn du ein ehrlicher Kerl bist, oder ich werfe dich die Treppe hinab!" Der Küster dachte: ,Das wird so schlimm nicht gemeint sein', gab keinen Laut von sich und stand, als wenn er von Stein wäre. Da rief ihn der Junge zum dritten Male an, und als das auch vergeblich war, nahm er einen Anlauf und stieß das Gespenst die Treppe hinab, daß es in einer Ecke liegenblieb. Darauf läutete er die Glocke, ging heim, legte sich ins Bett und schlief fort. Die Küsterfrau wartete lange Zeit auf ihren Mann, aber er wollte nicht wiederkommen. Da ward ihr endlich angst, sie weckte den Jungen und fragte: "Weißt du nicht, wo mein Mann gebli eben ist? Er ist vor dir auf den Turm gestiegen."—"Nein", antwortete der Junge, "aber da hat einer dem Schalloch gegenüber auf der Treppe gestanden, und weil er keine Antwort geben und auch nicht weggehen wollte, so habe ich ihn für einen Spitzbuben gehalten und hinuntergestoßen. Geht nur hin, so werdet Ihr sehen, ob er's gewesen ist, es sollte mir leid tun." Die Frau sprang fort und fand ihren Mann, der in einer Ecke lag und ein Bein gebrochen hatte.
Sie trug ihn herab und eilte dann mit lautem Geschrei zu dem Vater des Jungen. "Euer Junge", rief sie, "hat ein großes Unglück angerichtet, meinen Mann hat er die Treppe hinabgeworfen, daß er ein Bein gebrochen hat, schafft den Taugenichts aus unserm Hause." Der Vater erschrak, kam herbeigelaufen und schalt den Jungen aus. "Was sind das für gottlose Streiche, die muß dir der Böse eingegeben haben."—"Vater", antwortete er, "hört nur an, ich bin ganz unschuldig; er stand da in der Nacht wie einer, der Böses im Sinne hat. Ich wußte nicht, wer's war, und habe ihn dreimal ermahnt zu reden oder wegzugehen."—"Ach", sprach der Vater, "mit dir erleb' ich nur Unglück, geh mir aus den Augen, ich will dich nicht mehr ansehen."—"Ja, Vater, recht gerne, wartet nur, bis Tag ist, da will ich ausgehen und das Gruseln lernen, so versteh' ich doch eine Kunst, die mich ernähren kann."— "Lerne, was du willst", sprach der Vater, "mir ist alles einerlei. Da hast du fünfzig Taler, damit geh in die weite Welt und sage keinem Menschen, wo du her bist und wer dein Vater ist; denn ich muß mich deiner schämen." —"Ja, Vater, wie Ihr's haben wollt, wenn Ihr nicht mehr verlangt, das kann ich leicht in acht behalten."
Als nun der Tag anbrach, steckte der Junge seine fünfzig Taler in die Tasche, ging hinaus auf die große Landstraße und sprach immer vor sich hin: "Wenn mir's nur gruselte! Wenn mir's nur gruselte!" Da kam ein Mann heran, der hörte, was der Junge sprach, und als sie ein Stück weiter waren, daß man den Galgen sehen konnte, sagte der Mann zu ihm: "Siehst du, dort ist der Baum, wo siebene mit des Seilers Tochter Hochzeit gehalten haben und jetzt das Fliegen lernen. Setz dich darunter und warte, bis die Nacht kommt, so wirst du schon das Gruseln lernen."—"Wenn weiter nichts dazugehört", antwortete der Junge, "das ist leicht getan: lerne ich aber so geschwind das Gruseln, so sollst du meine fünfzig Taler haben, komm nur morgen früh wieder zu mir." Da ging der Junge zu dem Galgen, setzte sich darunter und wartete, bis der Abend kam. Und weil ihn fror, machte er sich ein Feuer an, aber um Mitternacht ging der Wind so kalt, daß er trotz des Feuers nicht warm werden wollte. Und als der Wind die Gehenkten gegeneinander stieß, daß sie sich hin und her bewegten, so dachte er: ,Du frierst unten beim Feuer, was mögen die da oben erst frieren und zappeln!' Und weil er mitleidig war, legte er die Leiter an, stieg hinauf, knüpfte einen nach dem andern los und holte sie alle siebene herab. Darauf schürte er das Feuer, blies es an und setzte sie ringsherum, daß sie sich wärmen sollten. Aber sie saßen da und regten sich nicht, und das Feuer ergriff ihre Kleider. Da sprach er: "Nehmt euch in acht, sonst häng' ich euch wieder hinauf." Die Toten aber hörten nicht, schwiegen und ließen ihre Lumpen fort brennen. Da ward er bös und sprach: "Wenn ihr nicht achtgeben wollt, so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen", und hing sie nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich zu seinem Feuer und schlief ein, und am andern Morgen, da kam der Mann zu ihm, wollte die fünfzig Taler haben und spra ch: "Nun, weißt du, was Gruseln ist?"—"Nein", antwortete er, "woher sollte ich's wissen? Die da droben haben das Maul nicht aufgetan und waren so dumm, daß sie die paar alten Lappen, die sie am Leibe haben, brennen ließen." Da sah der Mann, daß er die fünfzig Taler heute nicht davontragen würde, ging fort und sprach: "So einer ist mir noch nicht vorgekommen."
Der Junge ging auch seines Weges und fing wieder an, vor sich hin zu reden: "Ach, wenn mir's nur gruselte! Ach, wenn mir's nur gruselte!" Das hörte ein Fuhrmann, der hinter ihm herschritt, und fragte: "Wer bist du?"—"Ich weiß nicht", antwortete der Junge. Der Fuhrmann fragte weiter: "Wo bist du her?"—"Ich weiß nicht."—"Wer ist dein Vater?"—"Das darf ich nicht sagen."—"Was brummst du beständig in den Bart hinein?"—"Ei", antwortete der Junge", ich wollte, daß mir's gruselte, aber niemand kann mich's lehren."—"Laß dein dummes Geschwätz", sprach der Fuhrmann, "komm, geh mit mir, ich will sehen, daß ich dich unterbringe." Der Junge ging mit dem Fuhrmann, und abends gelangten sie zu einem Wirtshaus, wo sie übernachten wollten. Da sprach er beim Eintritt in die Stube wieder ganz laut: "Wenn mir's nur gruselte! Wenn mir's nur gruselte!" Der Wirt, der das hörte, lachte und sprach: "Wenn dich danach lüstet, dazu sollte hier wohl Gelegenheit sein."—"Ach, schweig stille", sprach die Wirtsfrau", so mancher Vorwitzige hat schon sein Leben eingebüßt, schade um die schönen Augen, wenn die das Tageslicht nicht wieder sehen sollten." Der Junge aber sagte: "Wenn's noch so schwer wäre, ich will's einmal lernen." Er ließ dem Wirt auch keine Ruhe, bis dieser erzählte, nicht weit davon stünde ein verwünschtes Schloß, wo einer wohl lernen könnte, was Gruseln wäre, wenn er nur drei Nächte darin wachen wollte. Der König hätte dem, der's wagen wollte, seine Tochter zur Frau versprochen, und die wäre die schönste Jungfrau, welche die Sonne beschien. In dem Schlosse steckten auch große Schätze, von bösen Geistern bewacht, die würden dann frei und könnten einen Armen reich genug machen. Da ging der Junge am andern Morgen vor den König und sprach: "Wenn's erlaubt wäre, so wollte ich wohl drei Nächte in dem verwünschten Schlosse wachen." Der König sah ihn an, und weil er ihm gefiel, sprach er: "Du darfst dir noch dreierlei ausbitten, aber es müssen leblose Dinge sein, und die darfst du mit ins Schloß nehmen." Da antwortete er: "So bitt' ich um ein Feuer, eine Drehbank und eine Schnitzbank mit dem Messer."
Der König ließ ihm das alles bei Tage in das Schloß tragen. Als es Nacht werden wollte, ging der Junge hinauf, machte sich in einer Kammer ein helles Feuer an, stellte die Schnitzbank mit dem Messer daneben und setzte sich auf die Drehbank. "Ach, wenn mir's nur gruselte!" sprach er, "aber hier werde ich's auch nicht lernen." Gegen Mitternacht wollte er sich sein Feuer einmal aufschüren, wie er so hineinblies, da schrie's plötzlich aus einer Ecke: "Au, miau! Was uns friert!"—"Ihr Narren", rief er, "was schreit ihr? Wenn euch friert, kommt, setzt euch ans Feuer und wärmt euch." Und wie er das gesagt hatte, kamen zwei große schwarze Katzen in einem gewaltigen Sprunge herbei, setzten sich ihm zu beiden Seiten und sahen ihn mit ihren feurigen Augen ganz wild an. Über ein Weilchen, als sie sich gewärmt hatten, sprachen sie: "Kamerad, wollen wir eins in der Karte spielen?"—"Warum nicht?" antwortete er, "aber zeigt einmal eure Pfoten her!" Da streckten sie die Krallen aus. "Ei", sagte er, "was habt ihr lange Nägel! Wartet, die muß ich euch erst abschneiden." Damit packte er sie beim Kragen, hob sie auf die Schnitzbank und schraubte ihnen die Pfoten fest. "Euch habe ich auf die Finger gesehen", sprach er",da vergeht mir die Lust zum Kartenspiel", schlug sie tot und warf sie hinaus ins Wasser. Als er aber die zwei zur Ruhe gebracht hatte, da kamen aus allen Ecken und Enden schwarze Katzen und schwarze Hunde an glühenden Ketten, immer mehr und mehr, daß er sich nicht mehr bergen konnte. Die schrien greulich, traten ihm auf sein Feuer, zerrten es auseinander und wollten es ausmachen. Das sah er ein Weilchen ruhig mit an, als es ihm aber zu arg ward, faßte er sein Schnitzmesser und rief: "Fort mit dir, du Gesindel!" und haute auf sie los. Ein Teil sprang weg, die andern schlug er tot und warf sie hinaus in den Teich. Als er wiedergekommen war, blies er aus den Funken sein Feuer frisch an und wärmte sich. Und als er so saß, wollten ihm die Augen nicht länger offen bleiben, und er bekam Lust zu schlafen. Da blickte er um sich und sah in der Ecke ein großes Bett. "Das ist mir eben recht", sprach er und legte sich hinein. Als er aber die Augen zutun wollte, so fing das Bett von selbst an zu fahren und fuhr im ganzen Schloß herum. "Recht so", sprach er, "nur besser zu." Da rollte das Bett fort, als wären sechs Pferde vorgespannt, über Schwellen und Treppen auf und ab. Auf einmal, hopp hopp, fiel es um, das Unterste zu oberst, daß es wie ein Berg auf ihm lag. Aber er schleuderte Decken und Kissen in die Höhe, stieg heraus und sagte: "Nun mag fahren, wer Lust hat", legte sich an sein Feuer und schlief, bis es Tag war. Am Morgen kam der König, und als er ihn da auf der Erde liegen sah, meinte er, er wäre tot. Da sprach er: "Es ist doch schade um den schönen Menschen." Das hörte der Junge, richtete sich auf und sprach: "So weit ist's noch nicht!" Da wunderte sich der König, freute sich aber und fragte, wie es ihm gegangen wäre. "Recht gut", antwortete er, "eine Nacht wäre herum, die zwei andern werden auch herumgehen." Als er zum Wirt kam, da machte der große Augen. "Ich dachte nicht", sprach er, "daß ich dich wieder lebendig sehen würde; hast du nun gelernt, was Gruseln ist?"—"Nein", sagte er, "es ist alles vergeblich, wenn mir's nur einer sagen könnte!"
Die zweite Nacht ging er abermals hinauf ins alte Schloß, setzte sich zum Feuer und fing sein altes Lied wieder an: "Wenn mir's nur gruselte!" Wie Mitternacht herankam, ließ sich ein Lärm und Gepolter hören, erst sachte, dann immer stärker, dann war's ein bißchen still, endlich kam mit lautem Geschrei ein halber Mensch den Schornstein herab und fiel vor ihn hin. "Heda!" rief er", noch ein halber gehört dazu, das ist zu wenig." Da ging der Lärm von frischem an, es tobte und heulte, und da fiel die andere Hälfte auch herab. "Wart", sprach er, "ich will dir erst das Feuer ein wenig anblasen." Wie er das getan hatte und sich wieder umsah, da waren die beiden Stücke zusammengefahren, und da saß ein greulicher Mann auf seinem Platz. "So haben wir nicht gewettet", sprach der Junge, "die Bank ist rnein." Der Mann wollte ihn wegdrängen, aber der Junge ließ sich's nicht gefallen, schob ihn mit Gewalt weg und setzte sich wieder auf seinen Platz. Da fielen noch mehr Männer herab, einer nach dem andern, die holten neun Totenbeine und zwei Totenköpfe, setzten auf und spielten Kegel. Der Junge bekam auch Lust und fragte: "Hört ihr, kann ich mittun?"
"Ja, wenn du Geld hast." — "Geld genug", antwortete er, "aber eure Kugeln sind nicht recht rund." Da nahm er die Totenköpfe, setzte sie in die Drehbank und drehte sie rund. "So, jetzt werden sie besser schüppeln", sprach er, "heida, nun geht's lustig!" Er spielte mit und verlor etwas von seinem Geld, als es aber zwölf Uhr schlug, war alles vor seinen Augen verschwunden. Er legte sich nieder und schlief ruhig ein. Am andern Morgen kam der König und wollte sich erkundigen. "Wie ist dir's diesmal gegangen?" fragte er.— "Ich habe gekegelt", antwortete er, "und ein paar Heller verloren."—"Hat dir denn nicht gegruselt?"—"Ei was", sprach er, "lustig hab' ich mich gemacht. Wenn ich nur wüßte, was Gruseln wäre!"
In der dritten Nacht setzte er sich wieder auf seine Bank und sprach ganz verdrießlich: "Wenn es mir nur gruselte!" Als es spät ward, kamen sechs große Männer und brachten eine Totenlade hereingetragen. Da sprach er: "Ha, ha, das ist gewiß mein Vetterchen, das erst vor ein paar Tagen gestorben ist, winkte mit dem Finger und rief: "Komm, Vetterchen, komm!" Sie stellten den Sarg auf die Erde, er aber ging hinzu und nahm den Deckel ab, da lag ein toter Mann darin. Er fühlte ihm ans Gesicht, aber es war kalt wie Eis. "Wart", sprach er, "ich will dich ein bißchen wärmen", ging ans Feuer, wärmte seine Hand und legte sie ihm aufs Gesicht, aber der Tote blieb kalt. Nun nahm er ihn heraus, setzte ihn ans Feuer und rieb ihm die Arme, damit das Blut wieder in Bewegung kommen sollte. Als auch das nichts helfen wollte, fiel ihm ein: 'Wenn zwei zusammen im Bett liegen, so wärmen sie sich', brachte ihn ins Bett, deckte ihn zu und legte sich neben ihn. Über ein Weilchen ward auch der Tote warm und fing an, sich zu regen. Da sprach der Junge: "Siehst du, Vetterchen, hätt' ich dich nicht gewärmt!" Der Tote aber hub an zu sprechen: " Jetzt will ich dich erwürgen." — "Was", sagte er, "ist das der Dank? Gleich sollst du wieder in deinen Sarg", hob ihn auf, warf ihn hinein und machte den Deckel zu; da kamen die sechs Männer und trugen ihn wieder fort. "Es will mir nicht gruseln", sagte er, "hier lerne ich's mein Lebtag nicht."
Da trat ein Mann herein, der war größer als alle anderen und sah fürchterlich aus; er war aber alt und hatte einen langen weißen Bart. "0 du Wicht", rief er, "nun sollst du bald lernen, was Gruseln ist; denn du sollst sterben."—"Nicht so schnell", antwortete der Junge, "soll ich sterben, so muß ich auch dabeisein." "Dich will ich schon packen", sprach der Unhold.— "Sachte, sachte, mach dich nicht so breit; so stark wie du bin ich auch."— "Das wollen wir sehn", sprach der Alte, "bist du stärker als ich, so will ich dich gehen lassen; komm, wir wollen's versuchen." Da führte er ihn durch dunkle Gänge zu einem Schmiedefeuer, nahm eine Axt und schlug den einen Amboß mit einem Schlag in die Erde. "Das kann ich noch besser, sprach der Junge und ging zu dem andern Amboß. Der Alte stellte sich nebenhin und wollte zusehen, und sein weißer Bart hing herab. Da faßte der Junge die Axt, spaltete den Amboß auf einen Hieb und klemmte den Bart des Alten mit hinein. "Nun hab' ich dich", sprach der Junge, "jetzt ist das Sterben an dir." Dann faßte er eine Eisenstange und schlug auf den Alten los, bis er wimmerte, und bat, er möchte aufhören, er wollte ihm große Reichtümer geben. Der Junge zog die Axt 'raus und ließ ihn los. Der Alte führte ihn wieder ins Schloß zurück und zeigte ihm in einem Keller drei Kasten voll Gold. "Davon", sprach er, "ist ein Teil den Armen, der andere dem König, der dritte dein." Indem schlug es zwölfe, und der Geist verschwand. Am andern Morgen kam der König und sagte: "Nun wirst du gelernt haben, was Gruseln ist!" —"Nein", antwortete er, "was ist's nur? Mein toter Vetter war da, und ein bärtiger Mann ist gekommen, der hat mir da unten viel Geld gezeigt, aber was Gruseln ist, hat mir keiner gesagt." Da sprach der König: "Du hast das Schloß erlöst und sollst meine Tochter heiraten."
Da ward das Gold heraufgebracht und die Hochzeit gefeiert, aber der junge König, so lieb er seine Gemahlin hatte und so vergnügt er war, sagte doch immer: "Wenn mir nur gruselte, wenn mir nur gruselte!" Das verdroß sie endlich. Ihr Kammermädchen sprach: "Ich will Hilfe schaffen, das Gruseln soll er schon lernen." Sie ging hinaus zum Bach, der durch den Garten floß, und ließ sich einen ganzen Eimer voll Gründlinge holen. Nachts, als der junge König schlief, mußte seine Gemahlin ihm die Decke wegziehen und den Eimer voll kaltem Wasser mit den Gründlingen über ihn herschütten, daß die kleinen Fische um ihn herum zappelten. Da wachte er auf und rief: "Ach, was gruselt mir, was gruselt mir, liebe Frau! Ja, nun weiß ich, was Gruseln ist."

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Rapunzel

Es war einmal ein Mann und eine Frau, die wünschten sich schon lange vergeblich ein Kind, endlich machte sich die Frau Hoffnung, der liebe Gott werde ihren Wunsch erfüllen. Die Leute hatte in ihrem Hinterhaus ein kleines Fenster, daraus konnte man in einen prächtigen Garten sehen, der voll der schönsten Blumen und Kräuter stand; er war aber von einer hohen Mauer umgeben, und niemand wagte hineinzugehen, weil er einer Zauberin gehörte, die große Macht hatte und von aller Welt gefürchtet ward. Eines Tags stand die Frau an diesem Fenster und sah in den Garten hinab. Da erblickte sie ein Beet, das mit den schönsten Rapunzeln bepflanzt war, und sie sahen so frisch und grün aus, daß sie lüstern ward und das größte Verlangen empfand, von den Rapunzeln zu essen. Das Verlangen nahm jeden Tag zu, und da sie wußte, daß sie keine davon bekommen konnte, so fiel sie ganz ab, sah blaß und elend aus. Da erschrak der Mann und fragte: "Was fehlt dir. liebe Frau ? "Ach, antwortete sie, "wenn ich keine Rapunzeln aus dem Garten hinter unserm Hause zu essen kriege so sterbe ich." Der Mann, der sie lieb hatte, dachte: Eh du deine Frau sterben läsest holst du ihr von den Rapunzeln, es mag kosten, was es will. In der Abenddämmerung stieg er also über die Mauer in den Garten der Zauberin, stach in aller Eile eine Handvoll Rapunzeln und brachte sie seiner Frau. Sie machte sich sogleich Salat daraus und aß sie in voller Begierde auf. Sie hatten ihr aber so gut geschmeckt, daß sie den andern Tag noch dreimal soviel Lust bekam. Sollte sie Ruhe haben, so mußte der Mann noch einmal in den Garten steigen. Er machte sich also in der Abenddämmerung wieder hinab. Als er aber die Mauer herabgeklettert war, erschrak er gewaltig, denn er sah die Zauberin vor sich stehen. "wie kannst du es wagen", sprach sie mit zornigem Blick, in meinen Garten zu steigen und wie ein Dieb mir meine Rapunzeln zu stehlen ? Das soll dir schlecht bekommen !" "Ach", antwortete er, laßt Gnade für Recht ergehen, ich habe mich nur aus Not dazu entschlossen. Meine Frau hat Eure Rapunzeln aus dem Fenster erblickt und empfindet ein so großes Gelüsten, daß sie sterben würde, wenn sie nicht davon zu essen bekommt. Da ließ die Zauberin in ihrem Zorne nach und sprach zu ihm: "Verhält es sich so, wie du sagst so will ich dir gestatten, Rapunzeln mitzunehmen, soviel du willst; allein ich mache eine Bedingung: Du mußt mir das Kind geben, das deine Frau zur Welt bringen wird. Es soll ihm gut gehen, und ich will für es sorgen wie eine Mutter." Der Mann sagte in der Angst alles zu, und als die Frau in Wochen kam, so erschien sogleich die Zauberin, gab dem Kinde den Namen R a p u n z e 1 und nahm es mit sich fort.
Rapunzel ward das schönste Kind unter der Sonne. Als es zwölf Jahre alt war, schloß es die Zauberin in einen Turm, der in einem Walde lag und weder Treppe noch Türe hatte; nur ganz oben war ein kleines Fensterchen. Wenn die Zauberin hinein wollte, so stellte sie sich unten hin und rief:
"Rapunzel, Rapunzel,
Laß mir dein Haar herunter !"
Rapunzel hatte lange, prächtige Haare, fein wie gesponnen Gold. Wenn sie nun die Stimme der Zauberin vernahm, so band sie ihre Zöpfe los, wickelte sie oben um einen Fensterhaken, und dann fielen die Haare zwanzig Ellen tief herunter, und die Zauberin stieg daran hinauf.
Nach ein paar Jahren trug es sich zu, daß der Sohn des Königs durch den Wald ritt und an dem Turm vorüberkam. Da hörte er einen Gesang, der war so lieblich, daß er stillhielt und horchte. Das war Rapunzel, die in ihrer Einsamkeit sich die Zeit damit vertrieb, ihre süße Stimme erschallen zu lassen. Der Königssohn wollte zu ihr hinaufsteigen und suchte nach einer Türe des Turms: aber es war keine zu finden. Er ritt heim. Doch der Gesang hatte ihm so sehr das Herz gerührt, daß er jeden Tag hinaus in den Wald ging und zuhörte. Als er einmal so hinter einem Baum stand, sah er, daß eine Zauberin herankam, und hörte, wie sie hinaufrief:
"Rapunzel, Rapunzel,
Laß mir dein Haar herunter !"
Da ließ Rapunzel die Haarflechten herab, und die Zauberin stieg zu ihr hinauf. "Ist das die Leiter, auf welcher man hinaufkommt, so will ich auch einmal mein Glück versuchen." Und den folgenden Tag, als es anfing dunkel zu werden, ging er zu dem Turme und rief:
"Rapunzel, Rapunzel,
Laß mir dein Haar herunter !"
Alsbald fielen die Haare herab, und der Königssohn stieg hinauf.
Anfangs erschrak Rapunzel gewaltig, als ein Mann zu ihr hereinkam, wie ihre Augen noch nie einen erblickt hatten. Doch der Königssohn fing an, ganz freundlich mit ihr zu reden, und erzählte ihr, daß von ihrem Gesang sein Herz so sehr sei bewegt worden, daß es ihm keine Ruhe gelassen und er sie selbst habe sehen müssen. Da verlor Rapunzel ihre Angst, und als er sie fragte, ob sie ihn zum Manne nehmen wollte, und sie sah, daß er jung und schön war, so dachte sie: Der wird mich lieber haben als die alte Frau Gotel, und sagte "Ja", und legte ihre Hand in seine Hand. Sie sprach: "Ich will gerne mit dir gehen, aber ich weiß nicht, wie ich herabkommen kann. Wenn du kommst, so bring jedesmal einen Strang Seide mit, daraus will ich eine Leiter flechten, und wenn die fertig ist, so steige ich herunter, und du nimmst mich auf dein Pferd." Sie verabredeten, daß er bis dahin alle Abende zu ihr kommen sollte: Denn bei Tag kam die Alte. Die Zauberin merkte auch nichts davon, bis einmal Rapunzel anfing und zu ihr sagte: "Sag Sie mir doch, Frau Gotel, wie kommt es nur, Sie wird mir viel schwerer heraufzuziehen als den jungen Königssohn, der ist in einem Augenblick bei mir ?" "Ach du gottloses Kind !" rief die Zauberin, "was muß ich von dir hören; ich dachte, ich hatte dich von aller Welt geschieden, und du hast mich doch betrogen !" In ihrem Zorn packte sie die schönen Haare der Rapunzel, schlug sie ein paarmal um ihre linke Hand, griff eine Schere mit der rechten, und, ritsch, ratsch, waren sie abgeschnitten, und die schönen Flechten lagen auf der Erde. Und sie war so unbarmherzig, daß sie die arme Rapunzel in eine Wüstenei brachte, wo sie in großem Jammer und Elend leben mußte.
Denselben Tag aber, wo sie Rapunzel verstoßen hatte, machte abends die Zauberin die abgeschnittenen Flechten oben am Fensterhaken fest, und als der Königssohn kam und rief:
"Rapunzel, Rapunzel,
Laß mir dein Haar herunter !"
so ließ sie die Haare hinab. Der Königssohn stieg hinauf, aber er fand oben nicht seine liebste Rapunzel, sondern die Zauberin, die ihn mit bösen und giftigen Blicken ansah. "Aha", rief sie höhnisch, "du willst die Frau Liebste holen, aber der schöne Vogel sitzt nicht mehr im Nest und singt nicht mehr, die Katze hat ihn geholt und wird dir auch noch die Augen auskratzen Für dich ist Rapunzel verloren, du wirst sie nie wieder erblicken !" Der Königssohn geriet außer sich vor Schmerzen, und in der Verzweiflung sprang er den Turm herab. Das Leben brachte er davon, aber die Dornen, in die er fiel, zerstachen ihm die Augen. Da irrte er blind im Wald umher, aß nichts als Wurzeln und Beeren und tat nichts als jammern und weinen über den Verlust seiner liebsten Frau. So wanderte er einige Jahre im Elend umher und geriet endlich in die Wüstenei wo Rapunzel mit den Zwillingen, die sie geboren hatte, einem Knaben und einem Mädchen, kümmerlich lebte. Er vernahm eine Stimme, und sie deuchte ihm so bekannt. Da ging er darauf zu und wie er herankam, erkannte ihn Rapunzel und fiel ihm um den Hals und weinte. Zwei von ihren Tränen aber benetzten seine Augen, da wurden sie wieder klar, und er konnte damit sehen wie sonst. Er führte sie in sein Reich, wo er mit Freude empfangen ward, und sie lebten noch lange glücklich und vergnügt.


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Rotkäppchen

Es war einmal eine kleine süße Dirne, die hatte jedermann lieb, der sie nur ansah, am allerliebsten aber ihre Großmutter, die wußte gar nicht, was sie alles dem Kinde geben sollte. Einmal schenkte sie ihm ein Käppchen von rotem Sammet, und weil ihm das so wohl stand und es nichts anders mehr tragen wollte, hieß es nur das Rotkäppchen. Eines Tages sprach seine Mutter zu ihm: »Komm, Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein, bring das der Großmutter hinaus; sie ist krank und schwach und wird sich daran laben. Mach dich auf, bevor es heiß wird, und wenn du hinauskommst, so geh hübsch sittsam und lauf nicht vom Weg ab, sonst fällst du und zerbrichst das Glas, und die Großmutter hat nichts. Und wenn du in ihre Stube kommst, so vergiß nicht, guten Morgen zu sagen, und guck nicht erst in alle Ecken herum.«
»Ich will schon alles gut machen«, sagte Rotkäppchen zur Mutter und gab ihr die Hand darauf. Die Großmutter aber wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf. Wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf. Rotkäppchen aber wußte nicht, was das für ein böses Tier war, und fürchtete sich nicht vor ihm. »Guten Tag, Rotkäppchen«, sprach er. »Schönen Dank, Wolf.« »Wo hinaus so früh, Rotkäppchen?« »Zur Großmutter.« »Was trägst du unter der Schürze?« »Kuchen und Wein: gestern haben wir gebacken, da soll sich die kranke und schwache Großmutter etwas zugut tun und sich damit stärken.« »Rotkäppchen, wo wohnt deine Großmutter?« »Noch eine gute Viertelstunde weiter im Wald, unter den drei großen Eichbäumen, da steht ihr Haus, unten sind die Nußhecken, das wirst du ja wissen«, sagte Rotkäppchen. Der Wolf dachte bei sich: »Das junge zarte Ding, das ist ein fetter Bissen, der wird noch besser schmecken als die Alte: du mußt es listig anfangen, damit du beide erschnappst.« Da ging er ein Weilchen neben Rotkäppchen her, dann sprach er: »Rotkäppchen, sieh einmal die schönen Blumen, die ringsumher stehen, warum guckst du dich nicht um? Ich glaube, du hörst gar nicht, wie die Vöglein so lieblich singen? Du gehst ja für dich hin, als wenn du zur Schule gingst, und ist so lustig haußen in dem Wald.«
Rotkäppchen schlug die Augen aut, und als es sah, wie die Sonnenstrahlen durch die Bäume hin und her tanzten und alles voll schöner Blumen stand, dachte es: »Wenn ich der Großmutter einen frischen Strauß mitbringe, der wird ihr auch Freude machen; es ist so früh am Tag, daß ich doch zu rechter Zeit ankomme«, lief vom Wege ab in den Wald hinein und suchte Blumen. Und wenn es eine gebrochen hatte, meinte es, weiter hinaus stände eine schönere, und lief darnach, und geriet immer tiefer in den Wald hinein. Der Wolf aber ging geradeswegs nach dem Haus der Großmutter und klopfte an die Türe. »Wer ist draußen?« »Rotkäppchen, das bringt Kuchen und Wein, mach auf.« »Drück nur auf die Klinke«, rief die Großmutter, »ich bin zu schwach und kann nicht aufstehen. « Der Wolf drückte auf die Klinke, die Türe sprang auf, und er ging, ohne ein Wort zu sprechen, gerade zum Bett der Großmutter und verschluckte sie. Dann tat er ihre Kleider an, setzte ihre Haube auf, legte sich in ihr Bett und zog die Vorhänge vor.
Rotkäppchen aber war nach den Blumen herumgelaufen, und als es so viel zusammen hatte, daß es keine mehr tragen konnte, fiel ihm die Großmutter wieder ein, und es machte sich auf den Weg zu ihr. Es wunderte sich, daß die Türe aufstand, und wie es in die Stube trat, so kam es ihm so seltsam darin vor, daß es dachte: »Ei, du mein Gott, wie ängstlich wird mir's heute zumut, und bin sonst so gerne bei der Großmutter!« Es rief »Guten Morgen«, bekam aber keine Antwort. Darauf ging es zum Bett und zog die Vorhänge zurück: da lag die Großmutter und hatte die Haube tief ins Gesicht gesetzt und sah so wunderlich aus. »Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren!« »Daß ich dich besser hören kann.« »Ei, Großmutter, was hast du für große Augen!« »Daß ich dich besser sehen kann.« »Ei, Großmutter, was hast du für große Hände« »Daß ich dich besser packen kann.« »Aber, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!« »Daß ich dich besser fressen kann.« Kaum hatte der Wolf das gesagt, so tat er einen Satz aus dem Bette und verschlang das arme Rotkäppchen.
Wie der Wolf sein Gelüsten gestillt hatte, legte er sich wieder ins Bett, schlief ein und fing an, überlaut zu schnarchen. Der Jäger ging eben an dem Haus vorbei und dachte: »Wie die alte Frau schnarcht, du mußt doch sehen, ob ihr etwas fehlt. « Da trat er in die Stube, und wie er vor das Bette kam, so sah er, daß der Wolf darin lag. »Finde ich dich hier, du alter Sünder«, sagte er, »ich habe dich lange gesucht. « Nun wollte er seine Büchse anlegen, da fiel ihm ein, der Wolf könnte die Großmutter gefressen haben und sie wäre noch zu retten: schoß nicht, sondern nahm eine Schere und fing an, dem schlafenden Wolf den Bauch aufzuschneiden. Wie er ein paar Schnitte getan hatte, da sah er das rote Käppchen leuchten, und noch ein paar Schnitte, da sprang das Mädchen heraus und rief: »Ach, wie war ich erschrocken, wie war's so dunkel in dem Wolf seinem Leib!« Und dann kam die alte Großmutter auch noch lebendig heraus und konnte kaum atmen. Rotkäppchen aber holte geschwind große Steine, damit füllten sie dem Wolf den Leib, und wie er aufwachte, wollte er fortspringen, aber die Steine waren so schwer, daß er gleich niedersank und sich totfiel.
Da waren alle drei vergnügt; der Jäger zog dem Wolf den Pelz ab und ging damit heim, die Großmutter aß den Kuchen und trank den Wein, den Rotkäppchen gebracht hatte, und erholte sich wieder, Rotkäppchen aber dachte: »Du willst dein Lebtag nicht wieder allein vom Wege ab in den Wald laufen, wenn dir's die Mutter verboten hat.«
Es wird auch erzählt, daß einmal, als Rotkäppchen der alten Großmutter wieder Gebackenes brachte, ein anderer Wolf ihm zugesprochen und es vom Wege habe ableiten wollen. Rotkäppchen aber hütete sich und ging gerade fort seines Wegs und sagte der Großmutter, daß es dem Wolf begegnet wäre, der ihm guten Tag gewünscht, aber so bös aus den Augen geguckt hätte: »Wenn's nicht auf offner Straße gewesen wäre, er hätte mich gefressen.« »Komm«, sagte die Großmutter, »wir wollen die Türe verschließen, daß er nicht herein kann.« Bald darnach klopfte der Wolf an und rief: »Mach auf, Großmutter, ich bin das Rotkäppchen, ich bring dir Gebackenes.« Sie schwiegen aber still und machten die Türe nicht auf: da schlich der Graukopf etlichemal um das Haus, sprang endlich aufs Dach und wollte warten, bis Rotkäppchen abends nach Haus ginge, dann wollte er ihm nachschleichen und wollt's in der Dunkelheit fressen. Aber die Großmutter merkte, was er im Sinn hatte. Nun stand vor dem Haus ein großer Steintrog, da sprach sie zu dem Kind: »Nimm den Eimer, Rotkäppchen, gestern hab ich Würste gekocht, da trag das Wasser, worin sie gekocht sind, in den Trog.« Rotkäppchen trug so lange, bis der große, große Trog ganz voll war. Da stieg der Geruch von den Würsten dem Wolf in die Nase, er schnupperte und guckte hinab, endlich machte er den Hals so lang, daß er sich nicht mehr halten konnte und anfing zu rutschen: so ruschte er vom Dach herab, gerade in den großen Trog hinein, und ertrank. Rotkäppchen aber ging fröhlich nach Haus, und tat ihm niemand etwas zuleid.

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Rumpelstilzchen

Es war einmal ein Müller, der war arm, aber er hatte eine schöne Tochter. Nun traf es sich, daß er mit dem König zu sprechen kam, und zu ihm sagte "ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen". Dem König, der das Gold lieb hatte, gefiel die Kunst gar wohl, und er befahl die Müllerstochter sollte alsbald vor ihn gebracht werden. Dann führte er sie in eine Kammer, die ganz voll Stroh war, gab ihr Rad und Haspel, und sprach "wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so mußt du sterben". Darauf ward die Kammer verschlossen, und sie blieb allein darin.
Da saß nun die arme Müllerstochter, und wußte um ihr Leben keinen Rat, denn sie verstand gar nichts davon, wie das Stroh zu Gold zu spinnen war, und ihre Angst ward immer größer, daß sie endlich zu weinen anfing. Da ging auf einmal die Türe auf, und trat ein kleines Männchen herein und sprach "guten Abend, Jungfer Müllerin, warum weint sie so sehr?" "Ach", antwortete das Mädchen, "ich soll Stroh zu Gold spinnen, und verstehe das nicht." Sprach das Männchen "was gibst du mir, wenn ich dirs spinne?" "Mein Halsband" sagte das Mädchen. Das Männchen nahm das Halsband, setzte sich vor das Rädchen, und schnurr, schnurr, schnurr, dreimal gezogen, war die Spule voll. Dann steckte es eine andere auf, und schnurr, schnurr, schnurr, dreimal gezogen, war auch die zweite voll: und so gings fort bis zum Morgen, da war alles Stroh versponnen, und alle Spulen waren voll Gold. Als der König kam und nachsah, da erstaunte er und freute sich, aber sein Herz wurde nur noch begieriger, und er ließ die Müllerstochter in eine andere Kammer voll Stroh bringen, die noch viel größer war, und befahl ihr das auch in einer Nacht zu spinnen, wenn ihr das Leben lieb wäre. Das Mädchen wußte sich nicht zu helfen und weinte, da ging abermals die Türe auf, und das kleine Männchen kam und sprach "was gibst du mir wenn ich dir das Stroh zu Gold spinne?<~ "Meinen Ring von dem Finger" antwortete das Mädchen. Das Männchen nahm den Ring, und fing wieder an zu schnurren mit dem Rade, und hatte bis zum Morgen alles Stroh zu glänzendem Gold gesponnen. Der König freute sich über die Maßen bei dem Anblick, war aber noch immer nicht Goldes satt, sondern ließ die Müllerstochter in eine noch größere Kammer voll Stroh bringen und sprach "die mußt du noch in dieser Nacht verspinnen; wenn dir das gelingt, sollst du meine Gemahlin werden". "Denn", dachte er, "eine reichere Frau kannst du auf der Welt nicht haben." Als das Mädchen allein war, kam das Männlein zum drittenmal wieder, und sprach was gibst du mir, wenn ich dir noch diesmal das Stroh spinne?" "Ich habe nichts mehr, das ich geben könnte" antwortete das Mädchen. "So versprich mir, wann du Königin wirst, dein erstes Kind." "Wer weiß wie das noch geht" dachte die Müllerstochter, und wußte sich auch in der Not nicht anders zu helfen, und versprach dem Männchen was es verlangte; dafür spann das Männchen noch einmal das Stroh zu Gold. Und als am Morgen der König kam, und alles fand wie er gewünscht hatte, so hielt er Hochzeit mit ihr, und die schöne Müllerstochter ward eine Königin.
Über ein Jahr brachte sie ein schönes Kind zur Welt, und dachte gar nicht mehr an das Männchen, da trat es in ihre Kammer und sprach "nun gib mir, was du versprochen hast". Die Königin erschrak, und bot dem Männchen alle Reichtümer des Königreichs an, wenn es ihr das Kind lassen wollte, aber das Männchen sprach ))nein, etwas Lebendes ist mir lieber als alle Schätze der Welt~. Da fing die Königin so an zu jammern und zu weinen, daß das Männchen Mitleiden mit ihr hatte, und sprach "drei Tage will ich dir Zeit lassen, wenn du bis dahin meinen Namen weißt, so sollst du dein Kind behalten".
Nun dachte die Königin die ganze Nacht über an alle Namen, die sie jemals gehört hatte, und schickte einen Boten über Land, der sollte sich erkundigen weit und breit nach neuen Namen. Als am andern Tag das Männchen kam, fing sie an mit Caspar, Melchior, Balzer, und sagte alle Namen, die sie wußte, nach der Reihe her, aber bei jedem sprach das Männlein "so heiß ich nicht" Den zweiten Tag ließ sie herumfragen bei allen Leuten, und sagte dem Männlein die ungewöhnlichsten und seltsamsten vor, Rippenbiest, Hammelswade, Schnürbein, aber es blieb dabei "so heiß ich nicht" Den dritten Tag kam der Bote wieder zurück, und erzählte "neue Namen habe ich keinen einzigen finden können, aber wie ich an einen hohen Burg um die Waldecke kam, wo Fuchs und Has sich gute Nacht sagen, so sah ich da ein kleines Haus, und vor dem Haus brannte ein Feuer, und um das Feuer sprang ein gar zu lächerliches Männchen, hüpfte auf einem Bein, und schrie
"heute back ich, morgen brau ich,
übermorgen hol ich der Königin ihr Kind;
ach, wie gut ist daß niemand weiß
daß ich Rumpelstilzchen heiß!"
Da war die Königin ganz froh daß sie den Namen wußte, und als bald hernach das Männlein kam, und sprach "nun, Frau Königin, wie heiß ich?" fragte sie erst "heißest du Kunz?" "Nein." "Heißest du Heinz?" "Nein."
"Heißt du etwa Rumpelstilzchen?"
"Das hat dir der Teufel gesagt, das hat dir der Teufel gesagt" schrie das Männlein, und stieß mit dem rechten Fuß vor Zorn so tief in die Erde daß es bis an den Leib hineinfuhr, dann packte es in seiner Wut den linken Fuß mit beiden Händen, und riß sich selbst mitten entzwei.

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Schneeweißchen und Rosenrot

Eine arme Witwe, die lebte einsam in einem Hüttchen, und vor dem Hüttchen war ein Garten, darin standen zwei Rosenbäumchen, davon trug das eine weiße, das andere rote Rosen; und sie hatte zwei Kinder, die glichen den beiden Rosenbäumchen, und das eine hieß Schneeweißchen, das andere Rosenrot. Sie waren aber so fromm und gut, so arbeitsam und unverdrossen, als je zwei Kinder auf der Welt gewesen sind: Schneeweißchen war nur stiller und sanfter als Rosenrot. Rosenrot sprang lieber in den Wiesen und Feldern umher, suchte Blumen und fing Sommervögel; Schneeweißchen aber saß daheim bei der Mutter, half ihr im Hauswesen oder las ihr vor, wenn nichts zu tun war. Die beiden Kinder hatten einander so lieb, daß sie sich immer an den Händen faßten, sooft sie zusammen ausgingen; und wenn Schneeweißchen sagte: »Wir wollen uns nicht verlassen«, so antwortete Rosenrot: »Solange wir leben, nicht«, und die Mutter setzte hinzu: »Was das eine hat, soll's mit dem andern teilen.« Oft liefen sie im Walde allein umher und sammelten rote Beeren, aber kein Tier tat ihnen etwas zuleid, sondern sie kamen vertraulich herbei: das Häschen fraß ein Kohlblatt aus ihren Händen, das Reh graste an ihrer Seite, der Hirsch sprang ganz lustig vorbei, und die Vögel blieben auf den Ästen sitzen und sangen, was sie nur wußten. Kein Unfall traf sie - wenn sie sich im Walde verspätet hatten und die Nacht sie überfiel, so legten sie sich nebeneinander auf das Moos und schliefen, bis der Morgen kam, und die Mutter wußte das und hatte ihrentwegen keine Sorge. Einmal, als sie im Walde übernachtet hatten und das Morgenrot sie aufweckte, da sahen sie ein schönes Kind in einem weißen, glänzenden Kleidchen neben ihrem Lager sitzen. Es stand auf und blickte sie ganz freundlich an, sprach aber nichts und ging in den Wald hinein. Und als sie sich umsahen, so hatten sie ganz nahe bei einem Abgrunde geschlafen und wären gewiß hineingefallen, wenn sie in der Dunkelheit noch ein paar Schritte weitergegangen wären. Die Mutter aber sagte ihnen, das müßte der Engel gewesen sein, der gute Kinder bewache.
Schneeweißchen und Rosenrot hielten das Hüttchen der Mutter so reinlich, daß es eine Freude war hineinzuschauen. Im Sommer besorgte Rosenrot das Haus und stellte der Mutter jeden Morgen, ehe sie aufwachte, einen Blumenstrauß vors Bett, darin war von jedem Bäumchen eine Rose. Im Winter zündete Schneeweißchen das Feuer an und hing den Kessel an den Feuerhaken, und der Kessel war von Messing, glänzte aber wie Gold, so rein war er gescheuert. Abends, wenn die Flocken fielen, sagte die Mutter: »Geh, Schneeweißchen, und schieb den Riegel vor«, und dann setzten sie sich an den Herd, und die Mutter nahm die Brille und las aus einem großen Buche vor und die beiden Mädchen hörten zu, saßen und spannen; neben ihnen lag ein Lämmchen auf dem Boden, und hinter ihnen auf einer Stange saß ein weißes Täubchen und hatte seinen Kopf unter den Flügel gesteckt.
Eines Abends, als sie so vertraulich beisammensaßen, klopfte jemand an die Türe, als wollte er eingelassen sein. Die Mutter sprach: »Geschwind, Rosenrot, mach auf, es wird ein Wanderer sein, der Obdach sucht.« Rosenrot ging und schob den Riegel weg und dachte, es wäre ein armer Mann, aber der war es nicht, es war ein Bär, der seinen dicken schwarzen Kopf zur Türe hereinstreckte. Rosenrot schrie laut und sprang zurück: das Lämmchen blökte, das Täubchen flatterte auf, und Schneeweißchen versteckte sich hinter der Mutter Bett. Der Bär aber fing an zu sprechen und sagte: »Fürchtet euch nicht, ich tue euch nichts zuleid, ich bin halb erfroren und will mich nur ein wenig bei euch wärmen.« »Du armer Bär«, sprach die Mutter, »leg dich ans Feuer und gib nur acht, daß dir dein Pelz nicht brennt.« Dann rief sie: »Schneeweißchen, Rosenrot, kommt hervor, der Bär tut euch nichts, er meint's ehrlich.« Da kamen sie beide heran, und nach und nach näherten sich auch das Lämmchen und Täubchen und hatten keine Furcht vor ihm. Der Bär sprach: »Ihr Kinder, klopft mir den Schnee ein wenig aus dem Pelzwerk«, und sie holten den Besen und kehrten dem Bär das Fell rein; er aber streckte sich ans Feuer und brummte ganz vergnügt und behaglich. Nicht lange, so wurden sie ganz vertraut und trieben Mutwillen mit dem unbeholfenen Gast. Sie zausten ihm das Fell mit den Händen, setzten ihre Füßchen auf seinen Rücken und walgerten ihn hin und her, oder sie nahmen eine Haselrute und schlugen auf ihn los, und wenn er brummte, so lachten sie. Der Bär ließ sich's aber gerne gefallen, nur wenn sie's gar zu arg machten, rief er: »Laßt mich am Leben, ihr Kinder.
Schneeweißchen, Rosenrot,
schlägst dir den Freier tot.«
Als Schlafenszeit war und die andern zu Bett gingen, sagte die Mutter zu dem Bär: »Du
kannst in Gottes Namen da am Herde liegenbleiben, so bist du vor der Kälte und dem
bösen Wetter geschützt.« Sobald der Tag graute, ließen ihn die beiden Kinder hinaus,
und er trabte über den Schnee in den Wald hinein. Von nun an kam der Bär jeden Abend
zu der bestimmten Stunde, legte sich an den Herd und erlaubte den Kindern, Kurzweil
mit ihm zu treiben, soviel sie wollten; und sie waren so gewöhnt an ihn, daß die Türe
nicht eher zugeriegelt ward, als bis der schwarze Gesell angelangt war.

Als das Frühjahr herangekommen und draußen alles grün war, sagte der Bär eines
Morgens zu Schneeweißchen: »Nun muß ich fort und darf den ganzen Sommer nicht
wiederkommen.« »Wo gehst du denn hin, lieber Bär?« fragte Schneeweißchen. »Ich muß
in den Wald und meine Schätze vor den bösen Zwergen hüten: im Winter, wenn die Erde
hartgefroren ist, müssen sie wohl unten bleiben und können sich nicht durcharbeiten, aber
jetzt, wenn die Sonne die Erde aufgetaut und erwärmt hat, da brechen sie durch, steigen
herauf, suchen und stehlen; was einmal in ihren Händen ist und in ihren Höhlen liegt, das
kommt so leicht nicht wieder an des Tages Licht.« Schneeweißchen war ganz traurig
über den Abschied, und als es ihm die Türe aufriegelte und der Bär sich hinausdrängte,
blieb er an dem Türhaken hängen, und ein Stück seiner Haut riß auf, und da war es
Schneeweißchen, als hätte es Gold durchschimmern gesehen; aber es war seiner Sache
nicht gewiß. Der Bär lief eilig fort und war bald hinter den Bäumen verschwunden.

Nach einiger Zeit schickte die Mutter die Kinder in den Wald, Reisig zu sammeln. Da
fanden sie draußen einen großen Baum, der lag gefällt auf dem Boden, und an dem
Stamme sprang zwischen dem Gras etwas auf und ab, sie konnten aber nicht
unterscheiden, was es war. Als sie näher kamen, sahen sie einen Zwerg mit einem alten,
verwelkten Gesicht und einem ellenlangen, schneeweißen Bart. Das Ende des Bartes
war in eine Spalte des Baums eingeklemmt, und der Kleine sprang hin und her wie ein
Hündchen an einem Seil und wußte nicht, wie er sich helfen sollte. Er glotzte die
Mädchen mit seinen roten feurigen Augen an und schrie. »Was steht ihr da! Könnt ihr
nicht herbeigehen und mir Beistand leisten?« »Was hast du angefangen, kleines
Männchen?« fragte Rosenrot. »Dumme, neugierige Gans«, antwortete der Zwerg, »den
Baum habe ich mir spalten wollen, um kleines Holz in der Küche zu haben; bei den
dicken Klötzen verbrennt gleich das bißchen Speise, das unsereiner braucht, der nicht so
viel hinunterschlingt als ihr grobes, gieriges Volk. Ich hatte den Keil schon glücklich
hineingetrieben, und es wäre alles nach Wunsch gegangen, aber das verwünschte Holz
war zu glatt und sprang unversehens heraus, und der Baum fuhr so geschwind
zusammen, daß ich meinen schönen weißen Bart nicht mehr herausziehen konnte; nun
steckt er drin, und ich kann nicht fort. Da lachen die albernen glatten Milchgesichter!
Pfui, was seid ihr garstig!« Die Kinder gaben sich alle Mühe, aber sie konnten den Bart
nicht herausziehen, er steckte zu fest. »Ich will laufen und Leute herbeiholen«, sagte
Rosenrot. »Wahnsinnige Schafsköpfe«, schnarrte der Zwerg, »wer wird gleich Leute
herbeirufen, ihr seid mir schon um zwei zu viel; fällt euch nicht Besseres ein?« »Sei nur
nicht ungeduldig«, sagte Schneeweißchen, »ich will schon Rat schaffen», holte sein
Scherchen aus der Tasche und schnitt das Ende des Bartes ab. Sobald der Zwerg sich
frei fühlte, griff er nach einem Sack, der zwischen den Wurzeln des Baums steckte und
mit Gold gefüllt war, hob ihn heraus und brummte vor sich hin: »Ungehobeltes Volk,
schneidet mir ein Stück von meinem stolzen Barte ab! Lohn's euch der Guckuck!«
Damit schwang er seinen Sack auf den Rücken und ging fort, ohne die Kinder nur noch
einmal anzusehen.

Einige Zeit danach wollten Schneeweißchen und Rosenrot ein Gericht Fische angeln.
Als sie nahe bei dem Bach waren, sahen sie, daß etwas wie eine große Heuschrecke nach
dem Wasser zuhüpfte, als wollte es hineinspringen. Sie liefen heran und erkannten den
Zwerg. »Wo willst du hin?« sagte Rosenrot, »du willst doch nicht ins Wasser?« »Solch
ein Narr bin ich nicht«, schrie der Zwerg, »seht ihr nicht, der verwünschte Fisch will mich
hineinziehen?« Der Kleine hatte dagesessen und geangelt, und unglücklicherweise hatte
der Wind seinen Bart mit der Angelschnur verflochten; als gleich darauf ein großer Fisch
anbiß, fehlten dem schwachen Geschöpf die Kräfte, ihn herauszuziehen: der Fisch behielt
die Oberhand und riß den Zwerg zu sich hin. Zwar hielt er sich an allen Halmen und
Binsen, aber das half nicht viel, er mußte den Bewegungen des Fisches folgen und war in
beständiger Gefahr, ins Wasser gezogen zu werden. Die Mädchen kamen zu rechter
Zeit, hielten ihn fest und versuchten, den Bart von der Schnur loszumachen, aber
vergebens, Bart und Schnur waren fest ineinander verwirrt. Es blieb nichts übrig, als das
Scherchen hervorzuholen und den Bart abzuschneiden, wobei ein kleiner Teil desselben
verlorenging. Als der Zwerg das sah, schrie er sie an: »Ist das Manier, ihr Lorche, einem
das Gesicht zu schänden? Nicht genug, daß ihr mir den Bart unten abgestutzt habt, jetzt
schneidet ihr mir den besten Teil davon ab: ich darf mich vor den Meinigen gar nicht
sehen lassen. Daß ihr laufen müßtet und die Schuhsohlen verloren hättet!« Dann holte er
einen Sack Perlen, der im Schilfe lag, und ohne ein Wort weiter zu sagen, schleppte er
ihn fort und verschwand hinter einem Stein.

Es trug sich zu, daß bald hernach die Mutter die beiden Mädchen nach der Stadt
schickte, Zwirn, Nadeln, Schnüre und Bänder einzukaufen. Der Weg führte sie über eine
Heide, auf der hier und da mächtige Felsenstücke zerstreut lagen. Da sahen sie einen
großen Vogel in der Luft schweben, der langsam über ihnen kreiste, sich immer tiefer
herabsenkte und endlich nicht weit bei einem Felsen niederstieß. Gleich darauf hörten sie
einen durchdringenden, jämmerlichen Schrei. Sie liefen herzu und sahen mit Schrecken,
daß der Adler ihren alten Bekannten, den Zwerg, gepackt hatte und ihn forttragen wollte.
Die mitleidigen Kinder hielten gleich das Männchen fest und zerrten sich so lange mit
dem Adler herum, bis er seine Beute fahrenließ. Als der Zwerg sich von dem ersten
Schrecken erholt hatte, schrie er mit einer kreischenden Stimme: »Konntet ihr nicht
säuberlicher mit mir umgehen? Gerissen habt ihr an meinem dünnen Röckchen, daß es
überall zerfetzt und durchlöchert ist, unbeholfenes und läppisches Gesindel, das ihr seid!«
Dann nahm er einen Sack mit Edelsteinen und schlüpfte wieder unter den Felsen in seine
Höhle. Die Mädchen waren an seinen Undank schon gewöhnt, setzten ihren Weg fort
und verrichteten ihr Geschäft in der Stadt. Als sie beim Heimweg wieder auf die Heide
kamen, überraschten sie den Zwerg, der auf einem reinlichen Plätzchen seinen Sack mit
Edelsteinen ausgeschüttet und nicht gedacht hatte, daß so spät noch jemand
daherkommen würde. Die Abendsonne schien über die glänzenden Steine, sie
schimmerten und leuchteten so prächtig in allen Farben, daß die Kinder stehenblieben
und sie betrachteten. »Was steht ihr da und habt Maulaffen feil!« schrie der Zwerg, und
sein aschgraues Gesicht ward zinnoberrot vor Zorn. Er wollte mit seinen Scheltworten
fortfahren, als sich ein lautes Brummen hören ließ und ein schwarzer Bär aus dem Walde
herbeitrabte. Erschrocken sprang der Zwerg auf, aber er konnte nicht mehr zu seinem
Schlupfwinkel gelangen, der Bär war schon in seiner Nähe. Da rief er in Herzensangst:
»Lieber Herr Bär, verschont mich, ich will Euch alle meine Schätze geben, sehet, die
schönen Edelsteine, die da liegen. Schenkt mir das Leben, was habt Ihr an mir kleinen,
schmächtigen Kerl? Ihr spürt mich nicht zwischen den Zähnen; da, die beiden gottlosen
Mädchen packt, das sind für Euch zarte Bissen, fett wie junge Wachteln, die freßt in
Gottes Namen.« Der Bär kümmerte sich um seine Worte nicht, gab dem boshaften
Geschöpf einen einzigen Schlag mit der Tatze, und es regte sich nicht mehr.

Die Mädchen waren fortgesprungen, aber der Bär rief ihnen nach: »Schneeweißchen
und Rosenrot, fürchtet euch nicht, wartet, ich will mit euch gehen.« Da erkannten sie
seine Stimme und blieben stehen, und als der Bär bei ihnen war, fiel plötzlich die
Bärenhaut ab, und er stand da als ein schöner Mann und war ganz in Gold gekleidet. »Ich
bin eines Königs Sohn«, sprach er, »und war von dem gottlosen Zwerg, der mir meine
Schätze gestohlen hatte, verwünscht, als ein wilder Bär in dem Walde zu laufen, bis ich
durch seinen Tod erlöst würde. Jetzt hat er seine wohlverdiente Strafe empfangen.«

Schneeweißchen ward mit ihm vermählt und Rosenrot mit seinem Bruder, und sie
teilten die großen Schätze miteinander, die der Zwerg in seiner Höhle zusammengetragen
hatte. Die alte Mutter lebte noch lange Jahre ruhig und glücklich bei ihren Kindern. Die
zwei Rosenbäumchen aber nahm sie mit, und sie standen vor ihrem Fenster und trugen
jedes Jahr die schönsten Rosen, weiß und rot.

Die Märchen der Brüder Grimm

Schneewittchen

Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab. Da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich: Hätt' ich ein Kind, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen ! Bald darauf bekam sie ein Töchterlein, das war so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz und ward darum Schneewittchen (Schneeweißchen) genannt. Und wie das Kind geboren war, starb die Königin. Über ein Jahr nahm sich der König eine andere Gemahlin. Es war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermütig und konnte nicht leiden, daß sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel wenn sie vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie:
".Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?
so antwortete der Spiegel:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land."
Da war sie zufrieden, denn sie wußte, daß der Spiegel die Wahrheit sagte. Schneewittchen aber wuchs heran und wurde immer schöner, und als es sieben Jahre alt war, war es so schön, wie der klare Tag und schöner als die Königin selbst. Als diese einmal ihren Spiegel fragte:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?"
so antwortete er:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber Schneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr."
Da erschrak die Königin und ward gelb und grün vor Neid. Von Stund an, wenn sie Schneewittchen erblickte, kehrte sich ihr das Herz im Leibe herum. so haßte sie das Mädchen. Und der Neid und Hochmut wuchsen wie ein Unkraut in ihrem Herzen immer höher, daß sie Tag und Nacht keine Ruhe mehr hatte. Da rief sie einen Jäger und sprach: "Bring das Kind hinaus in den Wald, ich will's nicht mehr vor meinen Augen sehen. Du sollst es töten und mir Lunge und Leber zum Wahrzeichen mitbringen." Der Jäger gehorchte und führte es hinaus, und als er den Hirschfänger gezogen hatte und Schneewittchens unschuldiges Herz durchbohren wollte, fing es an zu weinen und sprach: "Ach, lieber Jäger, laß mir mein Leben ! Ich will in den wilden Wald laufen und nimmermehr wieder heimkommen." Und weil es gar so schön war, hatte der Jäger Mitleiden und sprach: "So lauf hin, du armes Kind !" Die wilden Tiere werden dich bald gefressen haben, dachte er, und doch war's ihm, als wäre ein Stein von seinem Herzen gewälzt, weil er es nicht zu töten brauchte. Und als gerade ein junger Frischling dahergesprungen kam, stach er ihn ab, nahm Lunge und Leber heraus und brachte sie als Wahrzeichen der Königin mit. Der Koch mußte sie in Salz kochen, und das boshafte Weib aß sie auf und meinte, sie hätte Schneewittchens Lunge und Leber gegessen.
Nun war das arme Kind in dem großen Wald mutterseelenallein, und ward ihm so angst, daß es alle Blätter an den Bäumen ansah und nicht wußte, wie es sich helfen sollte. Da fing es an zu laufen und lief über die spitzen Steine und durch die Dornen, und die wilden Tiere sprangen an ihm vorbei, aber sie taten ihm nichts. Es lief, so lange nur die Füße noch fortkonnten, bis es bald Abend werden wollte. Da sah es ein kleines Häuschen und ging hinein, sich zu ruhen. In dem Häuschen war alles klein, aber so zierlich und reinlich, daß es nicht zu sagen ist. Da stand ein weißgedecktes Tischlein mit sieben kleinen Tellern, jedes Tellerlein mit seinem Löffelein, ferner sieben Messerlein und Gäblelein und sieben Becherlein. An der Wand waren sieben Bettlein nebeneinander aufgestellt und schneeweiße Laken darüber gedeckt. Schneewittchen, weil es so hungrig und durstig war, aß von jedem Tellerlein ein wenig Gemüs' und Brot und trank aus jedem Becherlein einen Tropfen Wein; denn es wollte nicht einem alles wegnehmen. Hernach, weil es so müde war, legte es sich in ein Bettchen, aber keins paßte; das eine war zu lang, das andere zu kurz, bis endlich das siebente recht war; und darin blieb es liegen, befahl sich Gott und schlief ein.
Als es ganz dunkel geworden war, kamen die Herren von dem Häuslein, das waren die sieben Zwerge, die in den Bergen nach Erz hackten und gruben. Sie zündeten ihre sieben Lichtlein an, und wie es nun hell im Häuslein ward, sahen sie, daß jemand darin gesessen war, denn es stand nicht alles so in der Ordnung, wie sie es verlassen hatten. Der erste sprach: "Wer hat auf meinem Stühlchen gesessen?' Der zweite: "Wer hat von meinem Tellerchen gegessen ?" Der dritte: "Wer hat von meinem Brötchen genommen ?" Der vierte: "Wer hat von meinem Gemüschen gegessen ?" Der fünfte: "Wer hat mit meinem Gäbelchen gestochen ?" Der sechste: "Wer hat mit meinem Messerchen geschnitten ?" Der siebente: "Wer hat aus meinem Becherlein Getrunken ?" Dann sah sich der erste um und sah, daß auf seinem Bett eine kleine Delle war, da sprach er: "Wer hat in mein Bettchen getreten ?" Die anderen kamen gelaufen und riefen: "In meinem hat auch jemand Gelegen !" Der siebente aber, als er in sein Bett sah, erblickte Schneewittchen, das lag darin und schlief. Nun rief er die andern, die kamen herbeigelaufen und schrien vor Verwunderung, holten ihre sieben Lichtlein und beleuchteten Schneewittchen. "Ei, du mein Gott! Ei, du mein Gott!" riefen sie, "was ist das Kind so schön !" Und hatten so große Freude, daß sie es nicht aufweckten, sondern im Bettlein fortschlafen ließen. Der siebente Zwerg aber schlief bei seinen Gesellen, bei jedem eine Stunde, da war die Nacht herum. Als es Morgen war, erwachte Schneewittchen, und wie es die sieben Zwerge sah, erschrak es. Sie waren aber freundlich und fragten: "Wie heißt du ?" "Ich heiße Schneewittchen", antwortete es. "Wie bist du in unser Haus gekommen ?" sprachen weiter die Zwerge. Da erzählte es ihnen, daß seine Stiefmutter es hätte wollen umbringen lassen, der Jäger hätte ihm aber das Leben geschenkt, und da wär' es gelaufen den ganzen Tag, bis es endlich ihr Häuslein gefunden hätte. Die Zwerge sprachen: "Willst du unsern Haushalt versehen, kochen, betten, waschen, nähen und stricken, und willst du alles ordentlich und reinlich halten, so kannst du bei uns bleiben, und es soll dir an nichts fehlen." "Jaa, sagte Schneewittchen, "von Herzen gern !" und blieb bei ihnen. Es hielt ihnen das Haus in Ordnung. Morgens gingen sie in die Berge und suchten Erz und Gold, abends kamen sie wieder, und da mußte ihr Essen bereit sein. Den ganzen Tag über war das Mädchen allein; da warnten es die guten Zwerglein und sprachen: "Hüte dich vor deiner Stiefmutter, die wird bald wissen, daß du hier bist; laß ja niemand herein ! Die Königin aber, nachdem sie Schneewittchens Lunge und Leber glaubte gegessen zu haben, dachte nicht anders, als sie wäre wieder die Erste und Allerschönste, trat vor ihren Spiegel und sprach:
"Spieglein, Spieglein. an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?"
Da antwortete der Spiegel:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber Schneewittchen über den Bergen
Bei den sieben Zwergen
Ist noch tausendmal schöner als Ihr."
Da erschrak sie, denn sie wußte, daß der Spiegel keine Unwahrheit sprach, und merkte, daß der Jäger sie betrogen hatte und Schneewittchen noch am Leben war. Und da sann und sann sie aufs neue, wie sie es umbringen wollte; denn so lange sie nicht die Schönste war im ganzen Land, ließ ihr der Neid keine Ruhe. Und als sie sich endlich etwas ausgedacht hatte, färbte sie sich das Gesicht und kleidete sich wie eine alte Krämerin und war ganz unkenntlich. In dieser Gestalt ging sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Türe und rief: "Schöne Ware feil ! feil!" Schneewittchen guckte zum Fenster hinaus und rief: "Guten Tag, liebe Frau ! Was habt Ihr zu verkaufen ?" "Gute Ware", antwortete sie, "Schnürriemen von allen Farben", und holte einen hervor, der aus bunter Seide geflochten war. Die ehrliche Frau kann ich hereinlassen, dachte Schneewittchen, riegelte die Türe auf und kaufte sich den hübschen Schnürriemen. "Kind", sprach die Alte, "wie du aussiehst ! Komm, ich will dich einmal ordentlich schnüren." Schneewittchen hatte kein Arg, stellte sich vor sie und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren. Aber die Alte schnürte geschwind und schnürte so fest, daß dem Schneewittchen der Atem verging und es für tot hinfiel. "Nun bist du die Schönste gewesen", sprach sie und eilte hinaus. Nicht lange darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben Zwerge nach Haus; aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes Schneewittchen auf der Erde liegen sahen, und es regte und bewegte sich nicht, als wäre es tot. Sie hoben es in die Höhe, und weil sie sahen, daß es zu fest geschnürt war, schnitten sie den Schnürriemen entzwei; da fing es an ein wenig zu atmen und ward nach und nach wieder lebendig. Als die Zwerge hörten, was geschehen war, sprachen sie: "Die alte Krämerfrau war niemand als die gottlose Königin. Hüte dich und laß keinen Menschen herein, wenn wir nicht bei dir sind !" Das böse Weib aber, als es nach Haus gekommen war, ging vor den Spiegel und fragte:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?"
Da antwortete er wie sonst:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber Schneewittchen über den Bergen
Bei den sieben Zwergen
Ist noch tausendmal schöner als Ihr."
Als sie das hörte, lief ihr alles Blut zum Herzen, so erschrak sie, 'denn sie sah wohl, daß Schneewittchen wieder lebendig geworden war. "Nun aber", sprach sie", will ich etwas aussinnen, das dich- zugrunde richten soll", und mit Hexenkünsten, die sie verstand, machte sie einen giftigen Kamm. Dann verkleidete sie sich und nahm die Gestalt eines anderen alten Weibes an. So ging sie hin über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Türe und rief: "Gute Ware feil ! feil !" Schneewittchen schaute heraus und sprach: "Geht nur weiter, ich darf niemand hereinlassen !" "Das Ansehen wird dir doch erlaubt sein", sprach die Alte, zog den giftigen Kamm heraus und hielt ihn in die Höhe. Da gefiel er dem Kinde so gut, daß es sich betören ließ und die Türe öffnete. Als sie des Kaufs einig waren, sprach die Alte: "Nun will ich dich einmal ordentlich kämmen." Das arme Schneewittchen dachte an nichts, ließ die Alte gewähren, aber kaum hatte sie den Kamm in die Haare gesteckt, als das Gift darin wirkte und das Mädchen ohne Besinnung niederfiel. "Du Ausbund von Schönheit", sprach das boshafte Weib, "jetzt ist's um dich geschehen", und ging fort. Zum Glück aber war es bald Abend, wo die sieben Zwerglein nach Haus kamen. Als sie Schneewittchen wie tot auf der Erde liegen sahen, hatten sie gleich die Stiefmutter in Verdacht, suchten nach und fanden den giftigen Kamm. Und kaum hatten sie ihn herausgezogen, so kam Schneewittchen wieder zu sich und erzählte, was vorgegangen war. Da warnten sie es noch einmal, auf seiner Hut zu sein und niemand die Türe zu öffnen. Die Königin stellte sich daheim vor den Spiegel und sprach:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?"
Da antwortete er wie vorher:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber Schneewittchen über den Bergen
Bei den sieben Zwergen
Ist noch tausendmal schöner als Ihr."
Als sie den Spiegel so reden hörte, zitterte und bebte sie vor Zorn. ,Schneewittchen soll sterben", rief sie, "und wenn es mein eigenes Leben kostet !" Darauf ging sie in eine ganz verborgene, einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen, giftigen Apfel. Äußerlich sah er schön aus, weiß mit roten Backen, daß jeder, der ihn erblickte, Lust danach bekam, aber wer ein Stückchen davon aß, der mußte sterben. Als der Apfel fertig war, färbte sie sich das Gesicht und verkleidete sich in eine Bauersfrau, und so ging sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen. Sie klopfte an. Schneewittchen streckte den Kopf zum Fenster heraus und sprach: " Ich darf keinen Menschen einlassen, die sieben Zwerge haben mir's verboten !" "Mir auch recht", antwortete die Bäuerin, "meine Äpfel will ich schon loswerden. Da, e i n e n will ich dir schenken." "Nein", sprach Schneewittchen, "ich darf nichts annehmen !" "Fürchtest du dich vor Gift ?" sprach die Alte, "siehst du, da schneide ich den Apfel in zwei Teile; den roten Backen iß, den weißen will ich essen " Der Apfel war aber so künstlich gemacht, daß der rote Backen allein vergiftet war. Schneewittchen lusterte den schönen Apfel an, und als es sah, daß die Bäuerin davon aß, so konnte es nicht länger widerstehen, streckte die Hand hinaus und nahm die giftige Hälfte. Kaum aber hatte es einen Bissen davon im Mund, so fiel es tot zur Erde nieder. Da betrachtete es die Königin mit grausigen Blicken und lachte überlaut und sprach: "Weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz ! Diesmal können dich die Zwerge nicht wieder erwecken." Und als sie daheim den Spiegel befragte:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?"
so antwortete er endlich:
"Frau Königin, Ihr seid de Schönste im Land."
Da hatte ihr neidisches Herz Ruhe, so gut ein neidisches Herz Ruhe haben kann.
Die Zwerglein, wie sie abends nach Haus kamen, fanden Schneewittchen auf der Erde liegen, und es ging kein Atem mehr aus seinem Mund, und es war tot. Sie hoben es auf suchten, ob sie was Giftiges fänden, schnürten es auf, kämmten ihm die Haare, wuschen es mit Wasser und Wein, aber es half alles nichts; das liebe Kind war tot und blieb tot. Sie legten es auf eine Bahre und setzten sich alle siebene daran und beweinten es und weinten drei Tage lang. Da wollten sie es begraben, aber es sah noch so frisch aus wie ein lebender Mensch und hatte noch seine schönen, roten Backen. Sie sprachen: "Das können wir nicht in die schwarze Erde versenken", und ließen einen durchsichtigen Sarg von Glas machen, daß man es von allen Seiten sehen konnte, legten es hinein und schrieben mit goldenen Buchstaben seinen Namen darauf und daß es eine Königstochter wäre. Dann setzten sie den Sarg hinaus auf den Berg, und einer von ihnen blieb immer dabei und bewachte ihn. Und die Tiere kamen auch und beweinten Schneewittchen, erst eine Eule dann ein Rabe. zuletzt ein Täubchen. Nun lag Schneewittchen lange, lange Zeit in dem Sarg und verweste nicht, sondern sah aus, als wenn es schliefe, denn es war noch so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz. Es geschah aber, daß ein Königssohn in den Wald geriet und zu dem Zwergenhaus kam, da zu übernachten. Er sah auf dem Berg den Sarg und das schöne Schneewittchen darin und las, was mit goldenen Buchstaben darauf geschrieben war. Da sprach er zu den Zwergen: "Laßt mir den Sarg, ich will euch geben, was ihr dafür haben wollt " Aber die Zwerge antworteten: "Wir geben ihn nicht für alles Gold in der Welt." Da sprach er: "So schenkt mir ihn, denn ich kann nicht leben, ohne Schneewittchen zu sehen, ich will es ehren und hochachten wie mein Liebstes." Wie er so sprach, empfanden die guten Zwerglein Mitleid mit ihm und gaben ihm den Sarg. Der Königssohn ließ ihn nun von seinen Dienern auf den Schultern forttragen. Da geschah es, daß sie über einen Strauch stolperten, und von dem Schüttern fuhr der giftige Apfelgrütz, den Schneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals. Und nicht lange, so öffnete es die Augen, hob den Deckel vom Sarg in die Höhe und richtete sich auf und war wieder lebendig. "Ach Gott, wo bin ich ?" rief es. Der Königssohn sagte voll Freude: "Du bist bei mir", und erzählte, was sich zugetragen hatte, und sprach: "Ich habe dich lieber als alles auf der Welt; komm mit mir in meines Vaters Schloß, du sollst meine Gemahlin werden." Da war ihm Schneewittchen gut und ging mit ihm, und ihre Hochzeit ward mit großer Pracht und Herrlichkeit angeordnet. Zu dem Feste wurde aber auch Schneewittchens gottlose Stiefmutter eingeladen. Wie sie sich nun mit schönen Kleidern angetan hatte, trat sie vor den Spiegel und sprach:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?"
Der Spiegel antwortete:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber die junge Königin ist noch tausendmal schöner als ihr."
Da stieß das böse Weib einen Fluch aus, und ward ihr so angst, so angst, daß sie sich nicht zu lassen wußte. Sie wollte zuerst gar nicht auf die Hochzeit kommen, doch ließ es ihr keine Ruhe, sie mußte fort und die junge Königin sehen. Und wie sie hineintrat, erkannte sie Schneewittchen, und vor Angst und Schrecken stand sie da und konnte sich nicht regen. Aber es waren schon eiserne Pantoffel über Kohlenfeuer gestellt und wurden mit Zangen hereingetragen und vor sie hingestellt. Da mußte sie in die rotglühenden Schuhe treten und so lange tanzen, bis sie tot zur Erde fiel.

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Tischlein deck dich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack
Vor Zeiten war ein Schneider, der drei Söhne hatte und nur eine einzige Ziege. Aber die Ziege, weil sie alle zusammen mit ihrer Milch ernährte, mußte ihr gutes Futter haben und täglich hinaus auf die Weide geführt werden. Die Söhne taten das auch nach der Reihe. Einmal brachte sie der äIteste auf den Kirchhof, wo die schönsten Kräuter standen, ließ sie da fressen und herumspringen. Abends, als es Zeit war heimzugehen, fragte er 'Ziege, bist du satt?' Die Ziege antwortete
'ich bin so satt,
ich mag kein Blatt: meh! meh!'
'So komm nach Haus,' sprach der Junge, faßte sie am Strickchen, führte sie in den Stall und band sie fest. 'Nun,' sagte der alte Schneider, 'hat die Ziege ihr gehöriges Futter?' 'O,' antwortete der Sohn, 'die ist so satt, sie mag kein Blatt.' Der Vater aber wollte sich selbst überzeugen, ging hinab in den Stall, streichelte das liebe Tier und fragte 'Ziege, bist du auch satt?' Die Ziege antwortete
'wovon sollt ich satt sein?
ich sprang nur über Gräbelein,
und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!,
'Was muß ich hören!, rief der Schneider, lief hinauf und sprach zu dem Jungen 'ei, du Lügner, sagst, die Ziege wäre satt, und hast sie hungern lassen?' und in seinem Zorne nahm er die Elle von der Wand und jagte ihn mit Schlägen hinaus.
Am andern Tag war die Reihe am zweiten Sohn, der suchte an der Gartenhecke einen Platz aus, wo lauter gute Kräuter standen, und die Ziege fraß sie rein ab. Abends, als er heim wollte, fragte er 'Ziege, bist du satt?' Die Ziege antwortete
'ich bin so satt'
ich mag kein Blatt: meh! meh!'
'So komm nach Haus,' sprach der Junge, zog sie heim und band sie im Stall fest. 'Nun,' sagte der alte Schneider, 'hat die Ziege ihr gehöriges Futter?' 'O,' antwortete der Sohn, 'die ist so satt, sie mag kein Blatt.' Der Schneider wollte sich darauf nicht verlassen, ging hinab in den Stall und fragte 'Ziege, bist du auch satt?' Die Ziege antwortete
'wovon sollt ich satt sein?
ich sprang nur über Gräbelein,
und fand kein einzig Blättelein: meh!'
'Der gottlose Bösewicht!' schrie der Schneider, 'so ein frommes Tier hungern zu lassen!' lief hinauf und schlug mit der Elle den Jungen zur Haustüre hinaus.
Die Reihe kam jetzt an den dritten Sohn, der wollte seine Sache gut machen, suchte Buschwerk mit dem schönsten Laube aus, und ließ die Ziege daran fressen. Abends, als er heim wollte, fragte er 'Ziege, bist du auch satt?' Die Ziege antwortete
'ich bin so satt ich
mag kein Blatt: meh! meh!'
'So komm nach Haus,' sagte der Junge, führte sie in den Stall und band sie fest. 'Nun,' sagte der alte Schneider, 'hat die Ziege ihr gehöriges Futter?' 'O,' antwortete der Sohn, 'die ist so satt, sie mag kein Blatt.' Der Schneider traute nicht, ging hinab und fragte 'Ziege, bist du auch satt?' Das boshafte Tier antwortete
'wovon sollt ich satt sein?
ich sprang nur über Gräbelein,
und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!'
'O die Lügenbrut!, rief der Schneider, 'einer so gottlos und pflichtvergessen wie der andere! ihr sollt mich nicht länger zum Narren haben!' und vor Zorn ganz außer sich sprang er hinauf und gerbte dem armen Jungen mit der Elle den Rücken so gewaltig, daß er zum Haus hinaussprang.
Der alte Schneider war nun mit seiner Ziege allein. Am andern Morgen ging er hinab in den Stall, liebkoste die Ziege und sprach 'komm, mein liebes Tierlein, ich will dich selbst zur Weide führen.' Er nahm sie am Strick und brachte sie zu grünen Hecken und unter Schafrippe, und was sonst die Ziegen gerne fressen. 'Da kannst du dich einmal nach Herzenslust sättigen,' sprach er zu ihr, und ließ sie weiden bis zum Abend. Da fragte er 'Ziege, bist du satt?' Sie antwortete
'ich bin so satt,
ich mag kein Blatt: meh! meh!'
'So komm nach Haus,' sagte der Schneider, führte sie in den Stall und band sie fest. Als er wegging, kehrte er sich noch einmal um und sagte 'nun bist du doch einmal satt!' Aber die Ziege machte es ihm nicht besser und rief
'wie sollt ich satt sein?
ich sprang nur über Gräbelein
und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!'
Als der Schneider das hörte' stutzte er und sah wohl, daß er seine drei Söhne ohne Ursache verstoßen hatte. 'Wart,' rief er, 'du undankbares Geschöpf, dich fortzujagen ist noch zu wenig, ich will dich zeichnen, daß du dich unter ehrbaren Schneidern nicht mehr darfst sehen lassen.' In einer Hast sprang er hinauf, holte sein Bartmesser, seifte der Ziege den Kopf ein, und schor sie so glatt wie seine flache Hand. Und weil die Elle zu ehrenvoll gewesen wäre, holte er die Peitsche und versetzte ihr solche Hiebe, daß sie in gewaltigen Sprüngen davonlief.
Der Schneider, als er so ganz einsam in seinem Hause saß, verfiel in große Traurigkeit und hätte seine Söhne gerne wiedergehabt, aber niemand wußte, wo sie hingeraten waren. Der älteste war zu einem Schreiner in die Lehre gegangen, da lernte er fleißig und unverdrossen, und als seine Zeit herum war, daß er wandern sollte, schenkte ihm der Meister ein Tischchen, das gar kein besonderes Ansehen hatte und von gewöhnlichem Holz war: aber es hatte eine gute Eigenschaft. Wenn man es hinstellte und sprach 'Tischchen, deck dich,' so war das gute Tischchen auf einmal mit einem saubern Tüchlein bedeckt, und stand da ein Teller, und Messer und Gabel daneben, und Schüsseln mit Gesottenem und Gebratenem, so viel Platz hatten, und ein großes Glas mit rotem Wein leuchtete, daß einem das Herz lachte. Der junge Gesell dachte 'damit hast du genug für dein Lebtag,' zog guter Dinge in der Welt umher und bekümmerte sich gar nicht darum, ob ein Wirtshaus gut oder schlecht und ob etwas darin zu finden war oder nicht. Wenn es ihm gefiel, so kehrte er gar nicht ein, sondern im Felde, im Wald, auf einer Wiese, wo er Lust hatte, nahm er sein Tischchen vom Rücken, stellte es vor sich und sprach 'deck dich,' so war alles da, was sein Herz begehrte. Endlich kam es ihm in den Sinn, er wollte zu seinem Vater zurückkehren, sein Zorn würde sich gelegt haben, und mit dem Tischchen deck dich würde er ihn gerne wieder aufnehmen. Es trug sich zu, daß er auf dem Heimweg abends in ein Wirtshaus kam, das mit Gästen angefüllt war: sie hießen ihn willkommen und luden ihn ein, sich zu ihnen zu setzen und mit ihnen zu essen, sonst würde er schwerlich noch etwas bekommen. 'Nein,' antwortete der Schreiner, 'die paar Bissen will ich euch nicht vor dem Munde nehmen, lieber sollt ihr meine Gäste sein.' Sie lachten und meinten, er triebe seinen Spaß mit ihnen. Er aber stellte sein hölzernes Tischchen mitten in die Stube und sprach 'Tischchen, deck dich.' Augenblicklich war es mit Speisen besetzt, so gut, wie sie der Wirt nicht hätte herbeischaffen können, und wovon der Geruch den Gästen lieblich in die Nase stieg. 'Zugegriffen, liebe Freunde,' sprach der Schreiner, und die Gäste, als sie sahen, wie es gemeint war, ließen sich nicht zweimal bitten, rückten heran, zogen ihre Messer und griffen tapfer zu. Und was sie am meisten verwunderte, wenn eine Schüssel leer geworden war, so stellte sich gleich von selbst eine volle an ihren Platz. Der Wirt stand in einer Ecke und sah dem Dinge zu; er wußte gar nicht, was er sagen sollte, dachte aber 'einen solchen Koch könntest du in deiner Wirtschaft wohl brauchen.' Der Schreiner und seine Gesellschaft waren lustig bis in die späte Nacht, endlich legten sie sich schlafen, und der junge Geselle ging auch zu Bett und stellte sein Wünschtischchen an die Wand. Dem Wirte aber ließen seine Gedanken keine Ruhe, es fiel ihm ein, daß in seiner Rumpelkammer ein altes Tischchen stände, das gerade so aussähe: das holte er ganz sachte herbei und vertauschte es mit dem Wünschtischchen. Am andern Morgen zahlte der Schreiner sein Schlafgeld, packte sein Tischchen auf, dachte gar nicht daran, daß er ein falsches hätte, und ging seiner Wege. Zu Mittag kam er bei seinem Vater an, der ihn mit großer Freude empfing. 'Nun, mein lieber Sohn, was hast du gelernt?' sagte er zu ihm. 'Vater, ich bin ein Schreiner geworden.' 'Ein gutes Handwerk,' erwiderte der Alte, 'aber was hast du von deiner Wanderschaft mitgebracht?' 'Vater, das Beste, was ich mitgebracht habe, ist das Tischchen.' Der Schneider betrachtete es von allen Seiten und sagte 'daran hast du kein Meisterstück gemacht, das ist ein altes und schlechtes Tischchen.' 'Aber es ist ein Tischchen deck dich,' antwortete der Sohn, 'wenn ich es hinstelle, und sage ihm, es solle sich decken, so stehen gleich die schönsten Gerichte darauf und ein Wein dabei , der das Herz erfreut. Ladet nur alle Verwandte und Freunde ein, die sollen sich einmal laben und erquicken, denn das Tischchen macht sie alle satt.' Als die Gesellschaft beisammen war, stellte er sein Tischchen mitten in die Stube und sprach 'Tischchen, deck dich.' Aber das Tischchen regte sich nicht und blieb so leer wie ein anderer Tisch, der die Sprache nicht versteht. Da merkte der arme Geselle, daß ihm das Tischchen vertauscht war, und schämte sich, daß er wie ein Lügner dastand. Die Verwandten aber lachten ihn aus und mußten ungetrunken und ungegessen wieder heim wandern. Der Vater holte seine Lappen wieder herbei und schneiderte fort, der Sohn aber ging bei einem Meister in die Arbeit.
Der zweite Sohn war zu einem Müller gekommen und bei ihm in die Lehre gegangen. Als er seine Jahre herum hatte, sprach der Meister 'weil du dich so wohl gehalten hast, so schenke ich dir einen Esel von einer besondern Art, er zieht nicht am Wagen und trägt auch keine Säcke.' 'Wozu ist er denn nütze?' fragte der junge Geselle. 'Er speit Gold,' antwortete der Müller, 'wenn du ihn auf ein Tuch stellst und sprichst 'Bricklebrit,' so speit dir das gute Tier Goldstücke aus, hinten und vorn.' 'Das ist eine schöne Sache,' sprach der Geselle, dankte dem Meister und zog in die Welt. Wenn er Gold nötig hatte, brauchte er nur zu seinem Esel 'Bricklebrit, zu sagen, so regnete es Goldstücke, und er hatte weiter keine Mühe, als sie von der Erde aufzuheben. Wo er hinkam, war ihm das Beste gut genug, und je teurer je lieber, denn er hatte immer einen vollen Beutel. Als er sich eine Zeitlang in der Welt umgesehen hatte, dachte er 'du mußt deinen Vater aufsuchen, wenn du mit dem Goldesel kommst, so wird er seinen Zorn vergessen und dich gut aufnehmen.' Es trug sich zu, daß er in dasselbe Wirtshaus geriet, in welchem seinem Bruder das Tischchen vertauscht war. Er führte seinen Esel an der Hand, und der Wirt wollte ihm das Tier abnehmen und anbinden, der junge Geselle aber sprach 'gebt Euch keine Mühe, meinen Grauschimmel führe ich selbst in den Stall und binde ihn auch selbst an, denn ich muß wissen, wo er steht.' Dem Wirt kam es wunderlich vor und er meinte, einer, der seinen Esel selbst besorgen müßte, hätte nicht viel zu verzehren: als aber der Fremde in die Tasche griff, zwei Goldstücke herausholte und sagte, er sollte nur etwas Gutes für ihn einkaufen, so machte er große Augen, lief und suchte das Beste, das er auftreiben konnte. Nach der Mahlzeit fragte der Gast, was er schuldig wäre, der Wirt wollte die doppelte Kreide nicht sparen und sagte, noch ein paar Goldstücke müßte er zulegen. Der Ge selle griff in die Tasche, aber sein Gold war eben zu Ende. 'Wartet einen Augenblick, Herr Wirt,' sprach er, 'ich will nur gehen und Gold holen;' nahm aber das Tischtuch mit. Der Wirt wußte nicht, was das heißen sollte, war neugierig, schlich ihm nach, und da der Gast die Stalltüre zuriegelte, so guckte er durch ein Astloch. Der Fremde breitete unter dem Esel das Tuch aus, rief 'Bricklebrit,' und augenblicklich fing das Tier an, Gold zu speien von hinten und vorn, daß es ordentlich auf die Erde herabregnete. 'Ei der tausend,' sagte der Wirt, 'da sind die Dukaten bald geprägt! so ein Geldbeutel ist nicht übel!' Der Gast bezahlte seine Zeche und legte sich schlafen, der Wirt aber schlich in der Nacht herab in den Stall, führte den Münzmeister weg und band einen andern Esel an seine Stelle. Den folgenden Morgen in der Frühe zog der Geselle mit seinem Esel ab und meinte, er hätte seinen Goldesel. Mittags kam er bei seinem Vater an, der sich freute, als er ihn wiedersah, und ihn gerne aufnahm. 'Was ist aus dir geworden, mein Sohn?' fragte der Alte. 'Ein Müller, lieber Vater,' antwortete er. 'Was hast du von deiner Wanderschaft mitgebracht?' 'Weiter nichts als einen Esel.' 'Esel gibts hier genug,' sagte der Vater, 'da wäre mir doch eine gute Ziege lieber gewesen.' 'Ja,' antwortete der Sohn, 'aber es ist kein gemeiner Esel, sondern ein Goldesel: wenn ich sage 'Bricklebrit,' so speit Euch das gute Tier ein ganzes Tuch voll Goldstücke. Laßt nur alle Verwandte herbeirufen, ich mache sie alle zu reichen Leuten.' 'Das laß ich mir gefallen,' sagte der Schneider, 'dann brauch ich mich mit der Nadel nicht weiter zu quälen,' sprang selbst fort und rief die Verwandten herbei. Sobald sie beisammen waren, hieß sie der Müller Platz machen, breitete sein Tuch aus, und brachte den Esel in die Stube. 'Jetzt gebt acht,' sagte er und rief 'Bricklebrit,' aber es waren keine Goldstücke, was herabfiel, und es zeigte sich, daß das Tier nichts von der Kunst verstand, denn es bringts nicht jeder Esel so weit. Da machte der arme Müller ein langes Gesicht, sah, daß er betrogen war, und bat die Verwandten um Verzeihung, die so arm heimgingen, als sie gekommen waren. Es blieb nichts übrig, der Alte mußte wieder nach der Nadel greifen, und der Junge sich bei einem Müller verdingen.
Der dritte Bruder war zu einem Drechsler in die Lehre gegangen, und weil es ein kunstreiches Handwerk ist, mußte er am längsten lernen. Seine Brüder aber meldeten ihm in einem Briefe, wie schlimm es ihnen ergangen wäre, und wie sie der Wirt noch am letzten Abende um ihre schönen Wünschdinge gebracht hätte. Als der Drechsler nun ausgelernt hatte und wandern sollte, so schenkte ihm sein Meister, weil er sich so wohl gehalten, einen Sack und sagte 'es liegt ein Knüppel darin.' 'Den Sack kann ich umhängen, und er kann mir gute Dienste leisten, aber was soll der Knüppel darin? der macht ihn nur schwer.' 'Das will ich dir sagen,' antwortete der Meister, 'hat dir jemand etwas zuleid getan, so sprich nur 'Knüppel, aus dem Sack,' so springt dir der Knüppel heraus unter die Leute und tanzt ihnen so lustig auf dem Rücken herum, daß sie sich acht Tage lang nicht regen und bewegen können; und eher läßt er nicht ab, als bis du sagst 'Knüppel, in den Sack.' Der Gesell dankte ihm, hing den Sack um, und wenn ihm jemand zu nahe kam und auf den Leib wollte, so sprach er 'Knüppel, aus dem Sack,' alsbald sprang der Knüppel heraus und klopfte einem nach dem andern den Rock oder Wams gleich auf dem Rücken aus, und wartete nicht erst, bis er ihn ausgezogen hatte; und das ging so geschwind, daß, eh sichs einer versah, die Reihe schon an ihm war. Der junge Drechsler langte zur Abendzeit in dem Wirtshaus an, wo seine Brüder waren betrogen worden. Er legte seinen Ranzen vor sich auf den Tisch und fing an zu erzählen, was er alles Merkwürdiges in der Welt gesehen habe. 'Ja,' sagte er, 'man findet wohl ein Tischchen deck dich, einen Goldesel und dergleichen: lauter gute Dinge, die ich nicht verachte, aber das ist alles nichts gegen den Schatz, den ich mir erworben habe und mit mir da in meinem Sack führe.' Der Wirt spitzte die Ohren: 'was in aller Welt mag das sein?' dachte er, 'der Sack ist wohl mit lauter Ed elsteinen angefüllt; den sollte ich billig auch noch haben, denn aller guten Dinge sind drei.' Als Schlafenszeit war, streckte sich der Gast auf die Bank und legte seinen Sack als Kopfkissen unter. Der Wirt, als er meinte, der Gast läge in tiefem Schlaf, ging herbei, rückte und zog ganz sachte und vorsichtig an dem Sack, ob er ihn vielleicht wegziehen und einen andern unterlegen könnte. Der Drechsler aber hatte schon lange darauf gewartet, wie nun der Wirt eben einen herzhaften Ruck tun wollte, rief er 'Knüppel, aus dem Sack.' Alsbald fuhr das Knüppelchen heraus, dem Wirt auf den Leib, und rieb ihm die Nähte, daß es eine Art hatte. Der Wirt schrie zum Erbarmen, aber je lauter er schrie. desto kräftiger schlug der Knüppel ihm den Takt dazu auf dem Rücken, bis er endlich erschöpft zur Erde fiel. Da sprach der Drechsler 'wo du das Tischchen deck dich und den Goldesel nicht wieder herausgibst, so soll der Tanz von neuem angehen.' 'Ach nein,' rief der Wirt ganz kleinlaut, 'ich gebe alles gerne wieder heraus, laßt nur den verwünschten Kobold wieder in den Sack kriechen.' Da sprach der Geselle 'ich will Gnade für Recht ergehen lassen, aber hüte dich vor Schaden!' dann rief er 'Knüppel, in den Sack!' und ließ ihn ruhen.
Der Drechsler zog am andern Morgen mit dem Tischchen deck dich und dem Goldesel heim zu seinem Vater. Der Schneider freute sich, als er ihn wiedersah, und fragte auch ihn, was er in der Fremde gelernt hätte. 'Lieber Vater,' antwortete er, 'ich bin ein Drechsler geworden.' 'Ein kunstreiches Handwerk,' sagte der Vater, 'was hast du von der Wanderschaft mitgebracht?' 'Ein kostbares Stück, lieber Vater,' antwortete der Sohn, 'einen Knüppel in dem Sack.' 'Was!, rief der Vater, 'einen Knüppel! das ist der Mühe wert! den kannst du dir von jedem Baume abhauen.' 'Aber einen solchen nicht, lieber Vater: sage ich 'Knüppel, aus dem Sack,' so springt der Knüppel heraus und macht mit dem, der es nicht gut mit mir meint, einen schlimmen Tanz, und läßt nicht eher nach, als bis er auf der Erde liegt und um gut Wetter bittet. Seht Ihr, mit diesem Knüppel habe ich das Tischchen deck dich und den Goldesel wieder herbeigeschafft, die der diebische Wirt meinen Brüdern abgenommen hatte. Jetzt laßt sie beide rufen und ladet alle Verwandten ein, ich will sie speisen und tränken und will ihnen die Taschen noch mit Gold füllen.' Der alte Schneider wollte nicht recht trauen, brachte aber doch die Verwandten zusammen. Da deckte der Drechsler ein Tuch in die Stube, führte den Goldesel herein und sagte zu seinem Bruder 'nun, lieber Bruder, sprich mit ihm.' Der Müller sagte 'Bricklebrit,' und augenblicklich sprangen die Goldstücke auf das Tuch herab, als käme ein Platzregen, und der Esel hörte nicht eher auf, als bis alle so viel hatten, daß sie nicht mehr tragen konnten. (Ich sehe dirs an, du wärst auch gerne dabei gewesen.) Dann holte der Drechsler das Tischchen und sagte 'lieber Bruder, nun sprich mit ihm.' Und kaum hatte der Schreiner 'Tischchen, deck dich, gesagt, so war es gedeckt und mit den schönsten Schüsseln reichlich besetzt. Da ward eine Mahlzeit gehalten, wie der gute Schneider noch keine in seinem Hause erlebt hat te, und die ganze Verwandtschaft blieb beisammen bis in die Nacht, und waren alle lustig und vergnügt. Der Schneider verschloß Nadel und Zwirn, Elle und Bügeleisen in einen Schrank, und lebte mit seinen drei Söhnen in Freude und Herrlichkeit.
Wo ist aber die Ziege hingekommen, die schuld war, daß der Schneider seine drei Söhne fortjagte? Das will ich dir sagen. Sie schämte sich, daß sie einen kahlen Kopf hatte, lief in eine Fuchshöhle und verkroch sich hinein. Als der Fuchs nach Haus kam, funkelten ihm ein paar große Augen aus der Dunkelheit entgegen, daß er erschrak und wieder zurücklief. Der Bär begegnete ihm, und da der Fuchs ganz verstört aussah, so sprach er 'was ist dir, Bruder Fuchs, was machst du für ein Gesicht?' 'Ach,' antwortete der Rote, 'ein grimmig Tier sitzt in meiner Höhle und hat mich mit feurigen Augen angeglotzt.' 'Das wollen wir bald austreiben,' sprach der Bär, ging mit zu der Höhle und schaute hinein; als er aber die feurigen Augen erblickte, wandelte ihn ebenfalls Furcht an: er wollte mit dem grimmigen Tiere nichts zu tun haben und nahm Reißaus. Die Biene begegnete ihm, und da sie merkte, daß es ihm in seiner Haut nicht wohl zumute war, sprach sie 'Bär, du machst ja ein gewaltig verdrießlich Gesicht, wo ist deine Lustigkeit geblieben?' 'Du hast gut reden,' antwortete der Bär, 'es sitzt ein grimmiges Tier mit Glotzaugen in dem Hause des Roten, und wir können es nicht herausjagen.' Die Biene sprach 'du dauerst mich, Bär, ich bin ein armes schwaches Geschöpf, das ihr im Wege nicht anguckt, aber ich glaube doch, daß ich euch helfen kann.' Sie flog in die Fuchshöhle, setzte sich der Ziege auf den glatten geschorenen Kopf und stach sie so gewaltig, daß sie aufsprang, 'meh! meh!' schrie, und wie toll in die Welt hineinlief; und weiß niemand auf diese Stunde, wo sie hingelaufen ist.

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Vom Fischer und seiner Frau

Es war einmal ein Fischer und seine Frau, die wohnten zusammen in einer kleinen Fischerhütte, dicht an der See, und der Fischer ging alle Tage hin und angelte; und er angelte und angelte.
So saß er auch einmal mit seiner Angel und sah immer in das klare Wasser hinein; und so saß er nun und saß.
Da ging die Angel auf den Grund, tief hinunter, und als er sie heraufholte, da holte er einen großen Butt heraus. Da sagte der Butt zu ihm: „Hör mal, Fischer, ich bitte dich, laß mich leben, ich bin gar kein richtiger Butt, ich bin ein verwünschter Prinz. Was hilft dir’s, wenn du mich totmachst? Ich würde dir doch nicht recht schmecken; setz mich wieder ins Wasser und laß mich schwimmen!" „Nun", sagte der Mann, „du brauchst nicht so viele Worte zu machen; einen Butt, der sprechen kann, werde ich doch wohl schwimmen lassen." Damit setzte er ihn wieder in das klare Wasser; da ging der Butt auf den Grund und ließ einen langen Streifen Blut hinter sich. Da stand der Fischer auf und ging zu seiner Frau in die kleine Hütte.
„Mann", sagte die Frau, „hast du heute nichts gefangen?" „Nein", sagte der Mann, „ich fing einen Butt, der sagte, er wäre ein verwunschener Prinz, da hab ich ihn wieder schwimmen lassen." „Hast du dir denn nichts gewünscht?" sagte die Frau. „Nein", sagte der Mann, „was sollt ich mir denn wünschen?" „Ach", sagte die Frau, „das ist doch bös, immer hier in dem Hüttchen zu wohnen, das stinkt und ist so eklig; du hättest uns doch ein kleines Häuschen wünschen können. Geh noch mal hin und ruf ihn! Sag ihm, wir wollten ein kleines Häuschen haben, er tut das gewiß." „Ach", sagte der Mann, „was soll ich da noch mal hingehen?", „I", sagte die Frau, „du hattest ihn doch gefangen und hast ihn wieder schwimmen lassen, er tut das gewiß. Geh gleich hin!" Der Mann wollte noch nicht recht, wollte aber auch seiner Frau nicht zuwiderhandeln und ging hin an die See.
Als er dorthin kam, war die See ganz grün und gelb und gar nicht mehr so klar. So stellte er sich hin und sagte:
„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will."
Da kam der Butt angeschwommen und sagte: „Na, was will sie denn?" „Ach", sagte der Mann, „ich hab dich doch gefangen gehabt; nun sagt meine Frau, ich hätt mir doch was wünschen sollen. Sie mag nicht mehr in ihrer Hütte wohnen, sie will gern ein kleines Häuschen." „Geh nur hin", sagte der Butt, „sie hat es schon."
Da ging der Mann hin, und seine Frau saß nicht mehr in dem Fischerhüttchen; an seiner Stelle stand jetzt ein kleines Häuschen, und seine Frau saß vor der Türe auf einer Bank. Da nahm ihn seine Frau bei der Hand und sagte zu ihm: „Komm nur herein, sieh, nun ist das doch viel besser!" Da gingen sie hinein, und in dem Häuschen war ein kleiner Vorplatz und eine kleine, allerliebste Stube und Kammer, wo jedem sein Bett stand, und Küche und Speisekammer, alles aufs beste mit Gerätschaften versehen und aufs schönste aufgestellt, Zinnzeug und Messing, was eben so dazu gehört. Und dahinter war auch ein kleiner Hof mit Hühnern und Enten und ein kleiner Garten mit Grünzeug und Obst. „Sieh", sagte die Frau, „ist das nicht nett?" „Ja", sagte der Mann, „so soll es bleiben; nun wollen wir recht vergnügt leben." „Das wollen wir uns bedenken", sagte die Frau. Dann aßen sie etwas und gingen zu Bett.
So ging das wohl nun acht oder vierzehn Tage; da sagte die Frau: „Hör, Mann, das Häuschen ist auch gar zu eng, und der Hof und der Garten ist so klein; der Butt hätt uns auch wohl ein größeres Haus schenken können. Ich möchte wohl in einem großen, steinernen Schloß wohnen. Geh hin zum Butt, er soll uns ein Schloß schenken!" „Ach, wir in einem Schlosse wohnen?" „I was", sagte die Frau, „geh du nur hin, der Butt kann das schon tun!" „Nein, Frau", sagte der Mann, „der Butt hat uns erst das Häuschen gegeben; ich mag nun nicht gleich wiederkommen, den Butt könnte das verdrießen." „Geh doch", sagte die Frau, „er kann das recht gut und tut es auch gern; geh du nur hin!"
Dem Mann war sein Herz so schwer, und er wollte nicht; er sagte zu sich selber: „Das ist nicht recht" - aber ging doch hin.
Als er an die See kam, war das Wasser ganz violett und dunkelblau und grau und dick und gar nicht mehr so grün und gelb; doch war es noch still. Da stellte er sich nun hin und sagte:
„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will."
„Na, was will sie denn?" sagte der Butt. „Ach", sagte der Mann halb bedrückt, „sie will in einem großen, steinernen Schloß wohnen."
„Geh nur hin, sie steht vor der Tür", sagte der Butt.
Da ging der Mann hin und dachte, er wollte nach Haus gehen; als er aber dahin kam, da stand dort ein großer, steinerner Palast, und seine Frau stand oben auf der Treppe und wollte hineingehen; da nahm sie ihn bei der Hand und sagte: „Komm mal herein!" Damit ging er mit ihr hinein, und in dem Schloß war eine große Diele mit einem Estrich aus Marmelstein, und da waren so viele Bediente, die rissen die großen Türen auf; und die Wände waren alle blank und mit schönen Tapeten, und in den Zimmern lauter goldene Stühle und Tische, und kristallene Kronenleuchter hingen von der Decke, und alle Stuben und Kammern waren mit Fußdecken belegt; und das Essen und der allerbeste Wein stand auf den Tischen, als ob sie brechen wollten. Und hinter dem Hause war auch ein großer Hof mit einem Pferde- und Kuhstall und Kutschwagen - alles vom Besten; auch war da ein großer herrlicher Garten mit den schönsten Blumen und seinen Obstbäumen und ein herrlicher Park, wohl eine halbe Meile lang; da waren Hirsche und Rehe und Hasen drin und alles, was man sich nur immer wünschen mochte. „Na", sagte die Frau, „ist das nun nicht schön?" „Ach ja", sagte der Mann, „so soll es auch bleiben; nun wollen wir auch in dem schönen Schloß wohnen und zufrieden sein." „Das wollen wir uns bedenken", sagte die Frau, „und wollen es beschlafen." Darauf gingen sie zu Bett.
Am andern Morgen wachte die Frau zuerst auf, es war eben Tag geworden, und sah von ihrem Bett aus das herrliche Land vor sich liegen. Der Mann dehnte und reckte sich noch, da stieß sie ihn mit dem Ellenbogen in die Seite und sagte: „Mann steh auf und guck mal aus dem Fenster! Sieh, könnten wir nicht König werden über das ganze Land? Geh hin zum Butt, wir wollen König sein!" „Ach, Frau", sagte der Mann, „warum wollen wir König sein? Ich mag nicht König sein." „Nun", sagte die Frau, „willst du nicht König sein, so will ich König sein. Geh hin zum Butt, ich will König sein!" „Ach, Frau", sagte der Mann, „was willst du König sein? Das mag ich ihm nicht sagen." „Warum nicht?" sagte die Frau, „geh augenblicklich hin, ich muß König sein!" Da ging der Mann hin und war ganz bedrückt, daß seine Frau König werden wollte. Das ist und ist nicht recht, dachte der Mann. Er wollte nicht hingehen, ging aber doch hin.
Und als er an die See kam, da war die See ganz schwarzgrau, und das Wasser quoll so von unten herauf und stank auch ganz faul. Da stellte er sich hin und sagte:
„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will."
„Na, was will sie denn?" sagte der Butt. „Ach", sagte der Mann, „sie will König werden." „Geh nur hin, sie ist es schon", sagte der Butt. Da ging der Mann hin, und als er nach dem Palast kam, da war das Schloß viel größer geworden, mit einem großen Turm und herrlichem Zierat daran; und die Schildwacht stand vor dem Tor, und da waren so viele Soldaten und Pauken und Trompeten. Und als er in das Haus kam, da war alles von purem Marmelstein und Gold und samtne Decken mit großen, goldenen Quasten. Da gingen die Türen von dem Saal auf, wo der ganze Hofstaat war, und seine Frau saß auf einem hohen Thron von Gold und Diamanten und hatte eine große, goldene Krone auf und den Zepter in der Hand von purem Gold und Edelstein. Und auf beiden Seiten von ihr standen sechs Jungfern in einer Reihe, immer eine einen Kopf kleiner als die andere. Da stellte er sich nun hin und sagte: „Ach, Frau, bist du nun König?" „Ja", sagte die Frau, „nun bin ich König." Da stand er nun und sah sie an, und als er sie nun eine Zeitlang so angesehen hatte, sagte er: „Ach, Frau, was steht dir das gut, daß du König bist. Nun wollen wir uns auch nichts mehr wünschen." „Nein, Mann", sagte die Frau und war ganz unruhig, „mir wird schon Zeit und Weile lang, ich kann das nicht mehr aushalten. Geh hin zum Butt; König bin ich, nun muß ich auch Kaiser werden!" „Ach, Frau", sagte der Mann, „warum willst du Kaiser werden?" „Mann", sagte sie, „geh zum Butt, ich will Kaiser sein!" „Ach, Frau", sagte der Mann, „Kaiser kann er nicht machen, ich mag dem Butt das nicht sagen; Kaiser ist nur einmal im Reich; Kaiser kann der Butt nicht machen; das kann und kann er nicht!"
„Was", sagte die Frau, „ich bin König, und du bist doch mein Mann; willst du gleich hingehn? Gleich geh hin! Kann er Könige machen, so kann er auch Kaiser machen; ich will und will Kaiser sein; gleich geh hin!" Da mußte er hingehn. Als der Mann aber hinging, war ihm ganz bang; und als er so ging, dachte er bei sich: Das geht und geht nicht gut: Kaiser ist zu ausverschämt, der Butt wird am Ende müde.
Indes kam er an die See. Da war die See noch ganz schwarz und dick und fing an, so von unten herauf zu schäumen, daß sie Blasen warf, und es ging so ein Wirbelwind über die See hin, daß sie sich nur so drehte. Und den Mann ergriff ein Grauen. Da stand er nun und sagte:
„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will."
„Na, was will sie denn?" sagte der Butt. „Ach, Butt", sagte er, „meine Frau will Kaiser werden." „Geh nur hin", sagte der Butt, „sie ist es schon." Da ging der Mann hin, und als er ankam, da war das ganze Schloß von poliertem Marmelstein mit Figuren aus Alabaster und goldenen Zieraten. Vor der Tür marschierten die Soldaten, und sie bliesen Trompeten und schlugen Pauken und Trommeln. Aber in dem Hause, da gingen die Barone und Grafen und Herzöge grad so, als ob sie Diener wären, herum; die machten ihm die Türen auf, die von lauter Gold waren. Und als er hereinkam, da saß seine Frau auf einem Thron, der war von einem Stück Gold und war wohl zwei Meilen hoch; und sie hatte eine große, goldene Krone auf, die war drei Ellen hoch und mit Brillanten und Karfunkelsteinen besetzt. In der einen Hand hatte sie den Zepter und in der anderen den Reichsapfel, und auf beiden Seiten neben ihr, da standen die Trabanten so in zwei Reihen, immer einer kleiner als der andere, von dem allergrößten Riesen, der war zwei Meilen hoch, bis zu dem allerwinzigsten Zwerg, der war so groß wie mein kleiner Finger. Und vor ihr standen so viele Fürsten und Herzöge. Da ging nun der Mann hin und stand zwischen ihnen und sagte: „Frau, bist du nun Kaiser?" „Ja", sagte sie, „ich bin Kaiser." Da stellte er sich nun hin und besah sie sich so recht; und als er sie so eine Zeitlang angesehen hatte, da sagte er: „Ach, Frau, wie steht dir das schön, daß du Kaiser bist!" „Mann", sagte sie, „was stehst du da? Ich bin nun Kaiser; nun will ich aber auch Papst werden, geh hin zum Butt!" „Ach, Frau", sagte der Mann, „was willst du denn nicht noch alles werden?" Papst kannst du nicht werden; den Papst gibt’s doch nur einmal in der Christenheit - das kann er doch nicht machen." „Mann", sagte sie, „ich will Papst werden, geh gleich hin, ich muß heut noch Papst werden!" „Nein, Frau", sagte der Mann, „das mag ich ihm nicht sagen, das geht nicht gut aus, das ist zuviel verlangt, zum Papst kann dich der Butt nicht machen." „Mann, schwatz kein dummes Zeug!" sagte die Frau, „kann er Kaiser machen, so kann er auch Päpste machen. Geh sofort hin! Ich bin Kaiser, und du bist doch mein Mann - willst du wohl hingehen?" Da wurde ihm ganz bang zumute, und er ging hin. Ihm war aber ganz flau, er zitterte und bebte, und die Knie und Waden schlotterten ihm. Und da strich so ein Wind über das Land, und die Wolken flogen, und es wurde so düster wie gegen den Abend zu; die Blätter wehten von den Bäumen, und das Wasser ging hoch und brauste so, als ob es kochte, und platschte an das Ufer, und in der Ferne sah er die Schiffe, die gaben Notschüsse ab und tanzten und sprangen auf den Wogen. Doch der Himmel war in der Mitte noch so ein bißchen blau, aber an den Seite, da zog es so recht rot auf wie ein schweres Gewitter. Da ging er ganz verzagt hin und stand da in seiner Angst und sagte:
„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will."
„Na, was will sie denn?" sagte der Butt. „Ach", sagte der Mann, „sie will Papst werden." „Geh nur hin, sie ist es schon", sagte der Butt.
Da ging er hin, und als er ankam, da war da wie eine große Kirche, von lauter Palästen umgeben. Da drängte er sich durch das Volk; inwendig war aber alles mit tausend und aber tausend Lichtern erleuchtet, und seine Frau war ganz in Gold gekleidet und saß auf einem noch viel höheren Thron und hatte drei große, goldene Kronen auf, und um sie herum, da war so viel geistlicher Staat, und zu beiden Seiten von ihr, da standen zwei Reihen Lichter, das größte so dick und groß wie der allergrößte Turm, bis zu dem allerkleinsten Küchenlicht. Und all die Kaiser und Könige, die lagen vor ihr auf den Knien und küßten ihr den Pantoffel. „Frau", sagte der Mann und sah sie so recht an, „bist du nun Papst?" „Ja", sagte sie, „ich bin Papst." Da ging er hin und sah sie recht an, und da war ihm, als ob er in die helle Sonne sähe. Als er sie so eine Zeitlang angesehen hatte, sagte er: „Ach, Frau, wie gut steht dir das, daß du Papst bist!" Sie saß aber ganz steif wie ein Baum und rührte und regte sich nicht. Da sagte er: „Frau, nun sein zufrieden, daß du Papst bist! Nun kannst du doch nichts mehr werden." „Das will ich mir bedenken", sagte die Frau. Damit gingen sie beide zu Bett; aber sie war nicht zufrieden, und die Gier ließ sie nicht schlafen, sie dachte immer, was sie noch werden könnte.
Der Mann schlief gut und fest, er hatte am Tag viel laufen müssen; die Frau aber konnte nicht einschlafen und warf sich die ganze Nacht von einer Seite auf die andere und dachte immer drüber nach, was sie wohl noch werden könnte, und konnte sich doch auf nichts mehr besinnen. Indessen wollte die Sonne aufgehen, und als sie das Morgenrot sah, setzte sie sich aufrecht im Bett hin und sah starr da hinein. Und als sie aus dem Fenster die Sonne so heraufkommen sah: „Ha", dachte sie, „kann ich nicht auch die Sonne und den Mond aufgehen lassen?" „Mann", sagte sie und stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Rippen, „wach auf, geh hin zum Butt, ich will werden wie der liebe Gott!" Der Mann war noch ganz schlaftrunken, aber er erschrak so, daß er aus dem Bett fiel. Er meinte, er hätte sich verhört und rieb sich die Augen aus und sagte: „Ach, Frau, was sagst du?" „Mann", sagte sie, „wenn ich nicht die Sonne und den Mond kann aufgehen lassen - das kann ich nicht aushalten, und ich habe dann keine ruhige Stunde mehr, daß ich sie nicht selbst kann aufgehen lassen." Dabei sah sie ihn ganz böse an, daß ihn ein Schauder überlief. „Gleich geh hin; ich will werden wie der liebe Gott!" „Ach, Frau", sagte der Mann und fiel vor ihr auf die Knie, „das kann der Butt nicht. Kaiser und Papst kann er machen; ich bitte dich, geh in dich und bleibe Papst!" Da kam die Bosheit über sie; die Haare flogen ihr so wild um den Kopf, und sie schrie: „Ich halte das nicht aus! Und ich halte das nicht länger aus; willst du hingehen?" Da zog er sich die Hosen an und lief davon wie unsinnig.
Draußen aber ging der Sturm und brauste, daß er kaum auf den Füßen stehen konnte. Die Häuser und die Bäume wurden umgeweht, und die Berge bebten, und die Felsenstücke rollten in die See, und der Himmel war ganz pechschwarz, und es donnerte und blitzte, und die See ging in so hohen schwarzen Wogen wie Kirchtürme und Berge, und oben hatten sie alle eine weiße Schaumkrone. Da schrie er, und er konnte sein eigenes Wort nicht hören:
„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will."
„Na, was will sie denn?" sagte der Butt. „Ach", sagte er, „sie will werden wie der liebe Gott." „Geh nur hin, sie sitzt schon wieder in der Fischerhütte."
Da sitzen sie noch bis auf den heutigen Tag.

Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur bezeichnet all jene literarischen Werke, die zielgerichtet für Kinder und Jugendliche als Leser geschrieben oder überarbeitet werden. Sie sollen zum einen durch altersgerechte Aufbereitung die Wahrnehmung von Umgebung, Gesellschaft und Welt fördern, zum anderen auch der Unterhaltung dienen. Einige dieser Werke werden nur zur Unterhaltung geschrieben.

Geschichte
Anfänge
Die erste Kinder- und Jugendliteratur bestand in „erwachsenen“ Stoffen, die im Hinblick auf eine jüngere Leserschaft bearbeitet waren. So sind aus der Antike entsprechende Fassungen von Homers „Ilias“ bekannt.
Im Mittelalter dienten die Fabeln von Äsop als Kinder- und Jugendliteratur, besonders im schulischen Bereich (der damals im wesentlichen auf Klosterschulen beschränkt war). Es ist davon auszugehen, dass Kinder dort auch mit Werken wie der Bibel in Berührung kamen. Diese waren zunächst in lateinischer, später auch in der örtlichen Sprache abgefasst. Ab der Renaissance studierten einige Kinder zusammen mit ihren Eltern oder Religionslehrern religiöse Literatur.
Die Erfindung des Buchdrucks Mitte des 15. Jahrhunderts erleichterte den Zugang der Bevölkerung – darunter auch den Kindern – zur Literatur. In den 1480er Jahren veröffentlichte William Caxton eine Reihe von Kinderbüchern. Diese stellten einen lukrativen Markt dar, da Kinder dazu neigten, Bücher rasch zu zerstören. Mit dem Buchdruck waren auch immer mehr Menschen in der Lage, zu lesen. Ein Großteil der ersten speziell für Kinder gedruckten Werke waren Lernhilfen wie etwa Hornbücher.
In den 1580er Jahren erschienen zahlreiche günstige, oft minderwertige Bücher, die von Hausierern vertrieben und später auch „Volksbücher“ genannt wurden. Einige Historiker halten das 1658 vom Tschechen Johann Amos Comenius veröffentlichte Werk zum Lateinunterricht Orbis Sensualium Pictus für das erste Bilderbuch für Kinder. In den 1750er Jahren kamen nur wenige Seiten umfassende Hefte unterschiedlichen Inhalts aus Pappe auf den Markt, die oft Gebete sowie ein mit Holzschnitten illustriertes ABC enthielten. Diese Buchform war bis Mitte des 19. Jahrhunderts populär. Bekannt wurde der vom englischen Buchverkäufer und Autor anti-katholischer Verse Benjamin Harris verfasste New England Primer, der zum weitverbreitetsten Schulbuch Amerikas wurde.
Ab dem 18. Jahrhundert erschienen jugendgerechte Umarbeitungen erzählender Werke, wie Defoes „Robinson Crusoe“ (bearbeitet durch J. H. Campe, 1719), Coopers „Lederstrumpf“-Erzählungen, Swifts „Gullivers Reisen“ (1726), Melvilles „Moby Dick“ u. a., die durch ihre aufregende Handlung und Exotik bestachen. Allerdings waren vor dem 19. Jahrhundert Romane selten bebildert.

Moralistische Werke
Im 17. und 18. Jahrhundert veröffentlichten Puritaner in England und Amerika Kinderbücher, die von protestantischer Ethik geprägt waren. Da die Kindersterblichkeit damals sehr hoch war – nur jeder zweite Mensch erreichte das Ewachsenenalter –, lag der erzieherische Sinn der moralistischen Kinderliteratur vor allem in der Vorbereitung der Kinder auf ihren Tod und der Vermeidung der Höllenverdammnis. Ein Beispiel puritanischer Kinderliteratur ist James Janeways A Token for Children (1671?), das eine Reihe von „Geschichten beispielhafter Lebensführung und freudvoller Todesfälle kleiner Kinder“ enthält. Es war bis Mitte des 19. Jahrhunderts in England und seinen Kolonien weit verbreitet. Die Todesfurcht der Kinder wurde auch durch präzise Beschreibungen der Höllenqualen und durch das Zeigen von Leichen und öffentlichen Hinrichtungen gefördert.
Isaac Watts’ 1715 veröffentlichte Divine Songs Attempted in Easy Language for the Use of Children milderten die makabre Erzählweise und waren freundlicher gehalten. Seine Verse waren weiterhin Ausdruck der im 18. Jahrhundert verbreiteten Sichtweise, dass Kinder kleine Erwachsene von immanent boshaftem Wesen seien. Watts’ Lieder waren bis ins späte 19. Jahrhundert als Übungen zum Auswendiglernen geschätzt.
Abkehr von der erzieherischen Botschaft
Einige der ersten Kinderbücher, die neben einer rein erzieherischen Botschaft auch Unterhaltungswert hatten, wurden von John Newbery in den 1740er Jahren veröffentlicht; allerdings schrieb bereits einige Jahre zuvor Thomas Boreman seine Gigantick Histories.
Dennoch prägten moralistische Wertvorstellungen bis ins späte 19. Jahrhundert weiterhin – auch im deutschsprachigen Raum – viele Kinderbücher, obwohl ab Mitte des 18. Jahrhunderts die rein religiöse Botschaft immer mehr von dem von Locke und Rousseau propagierten rationalen Moralismus, bei dem die erzieherische Botschaft in raffiniert ausgearbeiteten Geschichten versteckt wird, verdrängt wurde. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden auch reine Fantasie- und Abenteuergeschichten immer mehr als Kinderliteratur akzeptiert. 1893 erschien in Deutschland erstmals die Jugendschriften-Warte, eine Publikation der Vereinigten Prüfausschüsse, die neu erschienene Kinder- und Jugendbücher beurteilten und Listen empfehlenswerter Bücher herausgab. Diese Publikation hatte in Deutschland sehr weitreichenden Einfluss, was als lesenswerte Literatur galt. Gegen Ende der Weimarer Republik betrug die Auflage der Publikation fast 200.000 Exemplare und war Beilage fast aller Lehrerzeitungen. In ihren Empfehlungslisten legte die Prufungsausschüsse sehr traditionelle Bewertungskriterien von Kunst und Kindertümlichkeit als Maßstab an. Weit verbreitete Bücher wie etwa die Trotzkopf-Reihe der Emmy von Rhoden, die Publikation der Thekla von Gumpert oder die Nesthäkchen-Serie von Else Ury galten als verderblicher Schund.
Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter (1845) war eines der ersten und auch eines der erfolgreichsten Kinderbücher, die vom Autor selbst illustriert wurden. Auch wenn – oder gerade weil – die erzieherische Botschaft deutlich zu erkennen ist, weisen die grotesk überzeichneten Illustrationen und Texte eine ganz eigene Komik auf, die jedoch teilweise nicht wahrgenommen wurde.
Historiker sind sich darin einig, dass Lewis Carrolls Geschichten von Alice im Wunderland (1865) als erste vollständig frei von moralistischer Botschaft sind. Interessanterweise parodierte Carroll in seinem Werk Watts’ Verse. Im selben Jahr wie Alice erschienen Wilhelm Buschs satirische Max und Moritz-Geschichten. Die nunmehr zunehmend in Vergessenheit geratenden Geschichten zur moralischen Erbauung wurden auch weiterhin vereinzelt parodiert, etwa von Hilaire Belloc (Cautionary Tales, 1907).

Moderne Werke
Überholt ist die Ansicht, Kinder- und Jugendbücher hätten auf bestimmte Themen zu verzichten, da sie sich nicht altersgerecht darstellen ließen. Vielmehr umfasst die Spanne dieselbe Bandbreite wie in der Literatur für Erwachsene. Auch besteht ein immer größeres Bedürfnis der Kinder und Jugendlichen danach, in Büchern all die gesellschaftlichen und sozialen Themen wieder zu finden, mit denen sie selber konfrontiert sind. Sie möchten auch als Leser ernst genommen werden. Deshalb finden sich in der Literatur Themen Tod (Jutta Bauer: Opas Engel; Jutta Richter: Hechtsommer), Selbstmord (Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werthers), Ausländerfeindlichkeit (Tahar Ben Jelloun: Papa, was ist ein Fremder?), Behinderungen (Rodman Philbreak: Freak), Scheidung der Eltern (Anne Fine: Familien-Spiel) oder der Kampf um Selbstbestimmung (Bali Rai: Bloß (k)eine Heirat).
Zu den Autoren, die immer wieder kontronverse Bücher veröffentlichen und gerade die von der Gesellschaft vielfach schon verloren gegebenen Jugendlichen im Blick haben, gehört Morton Rhue. Aus seinem Werk ragt vor allem der auf tatsächlichen Ereignissen basierende Roman Die Welle heraus, das bekannteste Buch über Rechtsradikalismus unter Jugendlichen. Es bildete auch die Vorlage für ein von Reinhold Tritt verfasstes Thaterstück.
Selbstverständlich finden nicht nur diese engagierten, von der Literaturkritik und Pädagogen als "wertvoll" geschätzten Bücher ihr begeistertes Publikum. Vielfach wird dieser Anspruch als aufgesetzt empfunden und deshalb abgelehnt. Kinder und Jugendliche lesen deshalb häufig reine Unterhaltungsgeschichten wie die Reihen Die wilden Hühner von Cornelia Funke oder Der MädchenHasserClub von Christian Bienek. Sehr beliebt sind vor allem spannende Reihen wie die Gänsehaut- Bücher von R. L. Stine, die von Alfred Hitchcock inspirierten Die drei ??? oder die schon etwas älteren Fünf Freunde von Enid Blyton. Auch dies kann dabei helfen, einen eigenständigen Geschmack zu entwickeln.

Buchtypen

Allgemein
Auch wenn im Gefolge der sehr umfänglichen und sehr erfolgreichen Harry-Potter-Bände so manches Kinder- oder Jugendbuch immer öfter als Roman gehandelt wird, ist die übliche Gestaltungsform in der Kinder- und Jugendliteratur die Erzählung. Insbesondere für Kinder unter 12 Jahren werden in der Hauptsache Titel verfasst, die aus einer Perspektive die Erlebnisse und Erfahrungen einer Identifikationsfigur oder -gruppe zumeist in einem überschaubaren Zeitabschnitt in chronologischer Abfolge abbilden - dass diese Form durchaus anspruchs- wie gehaltvolle Werke zeitigen kann, beweist u.a. Jutta Richter mit ihren preisgekrönten Erzählungen für Kinder Der Tag, als ich lernte die Spinnen zu zähmen oder auch Der Hund mit dem gelben Herzen. Demgegenüber stehen Buchtitel mit funktionaler Ausrichtung wie die sogenannten Erstlesebücher, deren Geschichten sehr knapp gehalten und in kurzen Sätzen erzählt werden, um das Lesen zu erleichtern. Als Faustregel kann gelten: Je jünger die angesprochene Zielgruppe ist, desto mehr Bilder illustrieren ein Kinderbuch. Auch die Seitenzahlen für die jeweiligen Altersgruppen unterliegen mittlerweile einer gewissen Gesetzmäßigkeit. So weisen Bilderbücher für Kinder bis 6 Jahren in der Regel zwischen 24 und 48 großformatige Seiten auf, in denen naturgemäß die Illustrationen mehr Raum einnehmen als der Text. Illustrierte Bücher für Kinder zwischen 6 und 9 Jahren variieren zwischen 64 und 96 Seiten, um dann für die Kinder von 11 Jahren auf ca. 180 Seiten und mittlerweile auch darüber hinaus anzuwachsen.

Jugendromane
Jugendromane sind Bücher für eine jugendliche Zielgruppe. Themen sind Dinge, die für Jugendliche relevant sind, wie Schule, Liebe und Verliebtheit, Sport und andere Freizeitbeschäftigungen, aber auch Drogen, Klamotten, Familienleben mit Familienkrisen, der Prozess des Erwachsenwerdens etc. Ein besonderes Merkmal solcher Bücher ist, dass die Hauptpersonen meist Jugendliche sind, zum Beispiel in Büchern wie Tintenherz, Harry Potter und diversen anderen.
Die Grenzen zur (Erwachsenen-) Literatur sind beim Kinder- und Jugendbuch zunehmend fließend. Richteten die Werke von Jules Verne, Karl May oder Jonathan Swifts „Gullivers Reisen“ sich zur Zeit ihres Entstehens noch vorwiegend an Erwachsene, gelten sie heute als Jugendliteratur.
Die früher gebräuchlichen strikten Differenzierungen der verschiedenen Zielgruppen, für die ein Roman als geeignet angesehen wird, verschwimmen immer mehr. Dies liegt zum einem daran, dass Kinder immer früher die Reife vorausgehender Generationen erreichen, aber auch daran, dass immer mehr Autoren wie Joanne K. Rowling, Cornelia Funke oder Walter Moers mit ihren vor allem an Jugendliche gerichteten Geschichten zunehmend auch Erwachsene als Leser erreichen. Daneben schreiben renommierte Schriftsteller wie Per Olov Enquist, Isabel Allende, Henning Mankell, Paula Fox oder Joyce Carol Oates für eine jugendliche Leserschaft.
Für Kinder- und Jugendromane gibt es keine Schranken hinsichtlich der Genres, in denen ihre Geschichten erzählt werden. Dies reicht vom Bilderbuch, Märchen und Lyrik über Fantasy, Krimi, Liebesgeschichten und Historienroman bis zum Sachbuch und Comic.

Autobiographien
Ein bedeutender Zweig der (Erwachsenen-) Literatur sind des Weiteren Schilderungen von (autobiographischen) Jugenderlebnissen, in denen Literaten sich selber oder fiktive Charaktere beschreiben, um eine zurückliegende Zeit und den dahinter stehenden Reifeprozess zu behandeln. Dieses ist für gleichaltrige Leser aus nahe liegenden Gründen interessant, auch wenn Handlung und Stil nicht an jugendliche Lesebedürfnisse angepasst sind. Reale Beispiele hierfür Imre Kertesz’ “Roman eines Schicksallosen“,„Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque, „Ein Porträt des Künstlers als junger Mann“ von James Joyce oder „Die Kindheit eines Chefs“ von Jean-Paul Sartre, literarische Darstellungen fiktiver Coming of Age-Geschichten sind William Goldings „Herr der Fliegen“ oder Sven Regeners „Neue Vahr Süd“.
Häufig erzählten Schriftsteller ihren jungen Leser ihre eigene Kindheit. Hierzu gehören Erich Kästner (Als ich ein kleiner Junge war), Uri Orlev (Die Bleisoldaten), Renate Welsh (Dieda oder Das fremde Kind) und Roald Dahl (Boy. Schönes und Schreckliches aus meiner Kinderzeit). Marjaleena Lemcke verfasste mehrere Romane über ihre Kindheit und Jugend in Finnland- in Als die Steine noch Vögel waren erinnert sie sich an ihren kleinen Bruder Pekka, den viele für sonderbar hielten. Astrid Lindgrens Autobiographie Das entschwundene Land war das einzige Buch, mit dem die beliebte Autorin sich vorwiegend an eine erwachsene Leserschaft richtete.
Einen Sonderfall stellt Das Tagebuch der Anne Frank dar, denn die Autorin war selber noch Jugendliche. Lara Cardella klagte in dem autobiographischen Roman Ich wollte Hosen, den sie als 19-Jährige verfasste, den Chauvinismus und die Rückständigkeit an, die noch heute in Sizilien vorherrschen. Susan E. Hinton verfasste den Roman Die Outsider 1967 im Alter von 16 Jahren und ließ sich dabei von Ereignissen in ihrer Heimatstadt inspirieren. Hannah Green beschrieb in Ich hab Dir nie einen Rosengarten versprochen ihre eigenen Aufenthalt als Teenager in einer "Irrenanstalt" der 60er Jahre. Die von Per Olov Enquist geschilderten Erlebnisse eines Großvaters mit seinen Enkeln basieren auf tatsächlichen Erlebnissen Enquists (Titel: Großvater und die Wölfe).

Bilderbücher
Ab 1830 kennt man in Deutschland den Begriff Bilderbuch als eine Buchform nur für Kinder. Die beiden ersten großen Erfolge stellen Struwwelpeter von Heinrich Hoffmann sowie Max und Moritz von Wilhelm Busch dar, die mitunter auch als Vorläufer der Comics angesehen werden.
Bilderbücher können bereits für Kleinstkinder entworfen werden.
Sie stellen zumeist den ersten Einstieg für Kleinstkinder dar, ohne dass damit Geschichten verbunden sein müssen. Bilder, in denen etwa anhand bestimmter Motive (Seefahrt, Zoo, Stadt) alle möglichen Szenen zusammengeführt werden, in denen die Kinder dann selber mögliche Geschichten zu den Bildern erfinden können, zeigen sogenannte Wimmelbücher-Das Wimmelbilderbuch ist eine spezielle Form des Bilderbuchs.
Charakteristisch ist das im Verhältnis zu anderen Bilderbüchern große Format. Häufig werden Formate größer als A 4 gewählt. Auf den sich dann im Buch meist doppelseitig erstreckenden Bildern wimmelt es von detailliert dargestellten Menschen, Tieren und Dingen, woraus sich der Name der Bilderbuchart ergibt. Innerhalb eines Bildes werden dutzende kleine Alltagsszenen dargestellt, die miteinander durch die gemeinsame Umgebung, wie zum Beispiel einen Zoo, eine Stadt oder einen Bauernhof, verbunden sind.
Wimmelbilderbücher richten sich an Kinder ab circa 18 Monate. Da es immer wieder Neues zu entdecken gibt, erfreuen sie sich bei Kindern und Eltern großer Beliebtheit. Die dargestellten Alltagsszenen ermöglichen beim gemeinsamen Betrachten einen regen Austausch zwischen Erwachsenen und Kindern über die dargestellten Situationen.
Bekannte Autoren von Wimmelbilderbüchern sind zum Beispiel Ali Mitgutsch, Rotraut Susanne Berner und Eva Scherbarth.
Als die Väter der Wimmelbilder gelten Pieter Brueghel der Ältere und Hans Jürgen Press.). Bekannteste Zeichner dieser Bilderbuchform sind Ali Mitgutsch und Rotraut Susanne Berner.
Typisch für die Verwendung einer Klapp- Zieh und Dreh- Technik zur Aufdeckung versteckter Bilder ist etwa Norman Messengers Buch "Stell Dir vor...", in der Kinder aufgefordert werden, das scheinbar Offensichtliche zu hinterfragen. Wie Messenger, der Motive von Rene Magritte oder Giuseppe Arcimboldo aufgreift, sind bei Mario Giordanos Augenreise- Büchern ganze klassische Bilder von Monstern oder Tieren abgebildet, um Menschen dieser Altersklasse an Kunst heranzuführen.
Daneben gibt es Bücher, in denen zumeist anhand an Gedichten und Bildern die Sprachkompetenz der Kleinen geschärft werden soll. Sehr erfolgreich in dieser Sparte ist etwa Nadia Budde, deren Bücher Titel tragen wie "Eins, zwei, drei, Tier" oder "Trauriger Tiger toastet Tomaten".
Eher selten haben sie Handlungen wie Die kleine Raupe Nimmersatt von Eric Carle. Für etwas größere Kinder ist das Buch Wo die wilden Kerle wohnen von Maurice Sendak, dessen letzte Geschichte Brundibár auf der gleichnamigen, im KZ Theresienstadt aufgeführten Kinderoper beruht. Gerade letzte Geschichte, die von Mut und Hoffnung handelt, beweist, dass auch diese Bücher den kleinen Lesern einen Blick in die Welt ermöglichen können, ohne sie zu überfordern.
Verschiedene Bildergeschichten (Pettersson und Findus von Sven Nordqvist und Hans de Beers Der kleine Eisbär) wurden bereits erfolgreich für Fernsehserien und Kinofilme adaptiert, wodurch wiederum die Verkaufszahlen der Bücher stiegen.

Comics
Obwohl der Comic sich mittlerweile zu einer eigenständigen Kunstrichtung entwickelt hat, gilt er vielen immer noch als anspruchsloses Massenprodukt für Kinder und Jugendliche.
Die meisten Serien haben zwar vor allem junge Leser, ohne aber deren Lebenswirklichkeit abzubilden und obwohl mitunter erst Erwachsene ihre Vielschichtigkeit und Doppeldeutigkeit erkennen. Tim und Asterix, Donald Duck und Clever & Smart, Prinz Eisenherz und Superman sind allesamt in den Geschichten (junge) Erwachsene, deren Abenteuer von Menschen jeden Alters gelesen werden, was auch daran liegt, dass viele Zeichner ihre Serien über Jahrzehnte fortführen und von den erwachsenen Kindern weiter gelesen werden. Diese erkennen zum Teil erst beim späteren Wieder- Lesen geschichtliche und kulturelle Hinweise, die sie als Kinder nicht entschlüsseln konnten, ohne dadurch weniger Spaß zu haben.
Gerade Kinder mögen auch Fantasie-Gestalten wie Die Schlümpfe oder vermenschlichte Tiere (Bewohner von Entenhausen).
Auch gestatten Reihen wie Percy Pickwick und Valerian und Veronique es Kindern, Krimi, Spionage- und Sciencefiction- Handlungen mitzuerleben, für deren Filmversionen sie zu jung wären.
Kinder waren schon früh Protagonisten in Cartoonstrips, die in Zeitungen abgedruckt wurden. Little Nemo und The Yellow Kid richteten sich aber zu aller erst an Erwachsene, die die Käufer waren. An Kinder richteten sich vor allem die pädagogisch orientierten Max und Moritz Wilhelm Busch'.
Erst allmählich änderte sich dieses. Die Peanuts, Mafalda und Calvin und Hobbes können von Kindern gelesen werden, ohne dass diese freilich das Examplarische und Hintersinnige an den Bildergeschichten erkennen. Mafalda etwa steckt voller Hinweise auf die damals in Argentinien herrschende Militärdiktakur sowie den Kalten Krieg.
Kinderfiguren wie Benni Bärenstark bilden aber nur eingeschränkt realistisch die Lebenswirklichkeit ab. Mit den Beschränkungen dieser Lebensphase muss sich der mit Superkräften ausgestattete Junge nicht abgeben. Der kleine Spirou gewinnt der neuen Perspektive einige reizvolle Elemente gegenüber der Hauptserie ab. Kinder wollen aber auch in erster Linie unterhalten werden, die Geschichten sollen positive, heitere Tendenzen aufweisen. Baru verfasste mit seiner mehrbändigen witzigen Geschichte Die Sputnik-Jahre eine in den 60ern angesiedelte Mischung aus Der kleine Nick und Der Krieg der Knöpfe, der seine kleinen Helden ernst nimmt, aber auch erwachsenen Ansprüchen genügt. Titeuf ist wegen seines ätzenden Witzes eher für Jugendliche gedacht.
Diese können sich an den komischen Erlebnissen von Jeremy Schulze in dem Cartoon Zits und Werner erfreuen, der mit seinen Biker-Freunden erfolgreich gegen sämtliche Autoritätspersonen der Welt opponiert. Spider-Man war der erste jugendliche Superheld und schlug sich zwischen seinen Abenteuern mit Teenager-Problemen wie Selbstzweifeln und Anpassungsdruck herum. Die X-Men sind junge Mutanten und besuchen die Schule von Professor Charles Xavier, von der aus sie den Kampf gegen das Böse in der Welt aufnehmen. Bis dahin sollten allenfalls jugendliche Sidekicks (wie Robin bei Batman) für die Identifikation der Leser sorgen. Ansonsten waren die Nebenfigur so ausgestaltet, dass sie zwar erwachsen waren, sich aber infantil verhielten (Obelix in Asterix und Obelix, Käptain Haddock in Tim und Struppi, Tunichtgut in Isnogud). Die Jugendabenteuer von Leutnant Blueberry hingegen lassen nicht erkennen, dass der Western-Held mit Pubertät zu kämpfen gehabt hätte.
Insgesamt sind im Westen Comicserien über Kinder und Jugendliche eher selten. Im Anime- Bereich, dem produktivsten des Genres, werden zumeist den jugendlichen Konsumenten gleichaltrige Helden präsentiert.
Dagegen erzählten zuletzt wieder häufig inhaltlich und formal anspruchsvollere Graphic Novels von der Jugend ihrer Protagonisten.
Das Leben jugendlicher Immigranten in den Vororten und ihre Konfrontation mit Rassismus, Drogenmißbrauch und sozialen Spannungen findet sich in dem explosiven Werk des Franzosen Baru. Der amerikanische Alan Moore schuf in seiner Reihe Promethea erstmals einen weiblichen Superhelden im Teenageralter.
Daneben verfassten einige Comic-Autoren auch Schilderungen eigener Erinnerungen. Marjane Satrapi und Craig Thompson geben dem Leser einen Einblick in ihre unglücklichen Jugenden, die eine im Iran vor und nach der islamischen Revolution sowie im Exil, der andere als unverstandener Sohn einer fundamentalistisch-christlichen Familie in Wisconsin, U.S.A.. Beide wurden thematisch und stilistisch beeinflusst von David B.. In dessen Reihe Die heilige Krankheit schildert der Franzose seine eigene Jugend, die von der Epilepsie-Erkrankung seines Bruders geprägt war. Für seine Erlebnisse als Kind im atombomben-zerstörten Japan findet Keiji Nakazawa in Barfuß durch Hiroshima Bilder bedrückender Intensität.
Humorvoll beschreibt hingegen Markus Witzel alias Mawil sein vielfaches Liebesleid sowie seine erfolglosen Bemühen, ein weltberühmter Musiker zu werden.

Jahrbücher
Vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ende des 20. Jahrhunderts gehörten Jahr- und Sammelbücher sowie illustrierte Jugendkalender zu den auflagenstärksten und einflussreichsten Jugendbüchern. Beispiele sind Der gute Kamerad, Das neue Universum, Der Arbeitskamerad, Wunder im Weltraum und Das große Readers Digest Jugendbuch. Diese Bücher bestanden aus einer lockeren Sammlung von kürzeren fiktiven Geschichten (darunter die ersten in Deutschland veröffentlichten Science Fiction Kurzgeschichten), naturkundlichen Sachberichten (vorwiegend über Expedition, fremde Völker, Naturwunder) und technischen Beiträgen (Lokomotiven, Schiffe, Hoch- und Tiefbau, Radio- und Fernsehtechnik).
Die erfolgreichsten Jahrbücher waren reich und sorgfältig illustriert, beinhalteten teilweise seit den zwanziger Jahren Farbtafeln und ausklappbare Explosionsdarstellungen sowie reich geschmückte, stabile Einbände. Der Schriftsatz war, damals eher unüblich, abwechslungsreich und sauber gestaltet und mehrspaltig. Wegen der aufwendigen Aufmachung waren insbesondere Der gute Kamerad und Das neue Universum preislich eher im oberen Segment angeordnet.
Altersmäßig richteten sich die meisten Jahrbücher an 10- bis 17jährige. Vor allem die technischen Beiträge sind oft derart gut recherchiert, dass sie gleichermaßen als "Anregung zum Staunen" für jüngere Kinder als auch als solide Informationsquelle für junge Erwachsene dienen können.
Waren die Bücher anfangs geschlechtsspezifisch ausgerichtet, wandten sie sich ab Mitte der 60er Jahre zunehmend gleichermaßen an Jungen und Mädchen. Die Anstrengungen, für Mädchen interessante Beiträge einzubinden, wirkten jedoch sehr bemüht und zeitigten fast keinen Erfolg.
Durch die lange Leserbindung, die mitunter ganzen Generationen überdauerte, hatten Jahrbücher einen erheblichen Einfluss auf die Interessenausprägung und moralisch-weltanschauliche Prägung der Jugendlichen des 20. Jahrhunderts. Die einflussreichsten Jahrbücher waren humanistisch-aufklärerischen Anspruchs; so erschien in Der gute Kamerad 1889 der Beitrag "Ein Plädoyer für die versklavte Menschheit" von Erich Heinemann.
Die in den fiktiven Geschichten vermittelten Tugenden beschränkten sich zumeist allgemein auf Fairness, Kameradschaft, Teamgeist und Aufgewecktheit. Ausnahme bildete Der Arbeitskamerad, der sich in der NS-Zeit vorwiegend an Lehrlinge und Werksschüler richtete und die Unterordnung unter die herrschenden Strukturen als hehres Ziel vermitteln sollte.
Nach dem Ende der des letzten Jahrbuches Das neue Universum gab es keine vergleichbare Literaturgattung für Jugendliche. Ob das schwindende Interesse an technischen Sachverhalten Ursache oder Wirkung des Jahrbuchsterbens ist, ist umstritten. Unumstritten ist, dass technisch interessierte Jugendliche beim Entdecken alter Jahrbücher im elterlichen Bücherfundus oft nicht mehr davon loszureißen sind und dass sich gerade in den letzten Jahren eine Sammlerszene etabliert.
Die Jahrbücher finden keine ihrer immensen Bedeutung angemessene Behandlung in der Literarischen Forschung. Durch den großen Anteil technischer Beiträge wurde die teilweise ausgesprochen hohe Qualität der Berichte und fiktiven Geschichten wahrscheinlich einfach übersehen. Erst durch die Entdeckung von teilweise unter Pseudonymen geschriebenen Beiträgen der ersten deutschen Science Fiction-Autoren in den 90er Jahren und die Wiederentdeckung von Karl May-Geschichten (1891 Das Vermächtnis des Inka) fanden Jahrbücher eine gewisse Würdigung in der Literaturszene.

Krimis
Um Kriminalgeschichten einigermaßen glaubwürdig erscheinen zu lassen, muss der Detektiv ein gewisses Alter erreicht haben. Nur dann kann er die hierfür nötigen kognitiven Denkarbeiten leisten. Kalle Blomquist, Emil Tischbein, die vier Ermittler von TKKG, Jan als Detektiv und Die drei ??? sind allesamt Jugendliche, lediglich die meisten Reihen von Enid Blyton (etwa Fünf Freunde, Abenteuer-Serie) drehen sich um Kinder. Die Leser hingegen können stets ältere Kinder sein.
Wolfgang Ecke verfasste neben seinen Geschichten um Perry Clifton und Balduin Pfiff in der Reihe Der Club der Detektive viele Rätselgeschichten, an deren Ende er den Leser aufforderte, den Fall selber zu lösen.
Zu den bekanntesten modernen Vertreter des Genres gehört Mats Wahl. Carl Hiassen, der zahlreiche Krimies für Erwachsene verfasste, veröffentlichte mit Eulen einen unterhaltsamen und lustigen Umweltkrimi für Jugendliche. Mickey Spillane schrieb mit Der Tag, an dem das Meer verschwand eine atemberaubende Geschichte um einen von der Ebbe freigelegten Schatz, hinter den zahlreiche Menschen her sind.
Heutzutage sind auch die unzähligen Krimis von Agatha Christie und Edgar Wallace sowie jene um Sherlock Holmes für ältere Kinder geeignet.

Liebesgeschichten
Eine Reihe von Romanen befassen sich mit der aufkeimenden Liebe junger Menschen, die sie mitunter gar nicht verstehen oder benennen können. Neugier auf das Unbekannte, Enthusiasmus, Eifersucht und eine bislang unbekannte Intensität von Gefühlen überfordert viele, deren bislang geschätzte Freundschaft sich plötzlich in etwas völlig neues und unbekanntes wandelt. Häufig entsteht auch eine Konkurrenzsituation des bisherigen besten Freundes, der plötzlich nicht mehr soviel Wertschätzung erfährt wie die neue Freundin. Als großes Problem erweist sich auch, wenn das Objekt der Begierde nicht (mehr) dasselbe empfindet und sich einem anderen zuwendet.
Ein Ausnahmefall dürfte dabei Ben sein, der Anna liebt. Er ist in dem Buch von Peter Härtling neun Jahre alt.
Zumeist sind die Protagonisten aber schon Jugendliche. Leo verknallt sich in das seltsame Stargirl und isoliert sich von seinen Freunden. Die unglückliche Liebe von Werther zu der andersweitig verlobten Charlotte erscheint ihm wie ein unerträgliches Leiden, dem er sich nur durch Selbstmord entziehen zu können glaubt. Ebenfalls tragisch endet das Theaterstück über Romeo und Julia von William Shakespeare.

Lyrik
Mit Gedichten und Poesie tun sich Kinder häufig schwer, da sie zu den meisten Texten, die häufig einer Interpretation bedürfen, nur schwer Zugang finden. Es hat sich deshalb eine eigene literarische Gattung Kinderlyrik herausgebildet, für die mittlerweile der Österreichische Staatspreis verliehen wird. Ihre bekanntesten deutschsprachigen Vertreter sind Georg Bydlinski und Josef Guggenmos, dessen Band Was denkt die Maus am Donnerstag vielleicht als der Klassiker der Gattung anzusehen ist.

Sachbücher
Ein nicht zu unterschätzendes Segment bei Kinder- und Jugendbüchern bilden Sachbücher. Diese setzen schon im frühen Kinderalter ein machen diese mit bestimmten Themen bekannt. Erfolgreich ist zum Beispiel die langlebige Reihe „Was ist Was?“.
Dahinter steckt häufig der Wunsch der Eltern, ihren Kindern auch außerhalb der Schule Wissen zu vermitteln. Aktuell haben Autoren wie Gerhard Staguhn oder die Organisatoren der Kinder-Uni sehr großen Erfolg. David Macaulay beschreibt anhand fiktiver Beispiele, wie Kathedralen oder Moscheen gebaut wurden. Peter Sís entwirft aufwendige, zum Teil assoziative Bilderbücher über Tibet oder Charles Darwin („Der Baum des Lebens“). Alois Prinz schreibt wissenschaftlich fundierte, gleichwohl spannende Biographien von Menschen wie Ulrike Meinhof (Lieber wütend als traurig), Hermann Hesse oder Hannah Arendt, die dem Leser die Besonderheiten dieser Persönlichkeiten vermitteln und, obgleich vorrangig an Jugendliche gerichtet, auch Erwachsenen viel Neues erzählen.
Manfred Mai verfasste eine Reihe vielgelobter und unterhaltsamer Geschichtsbücher, die älteren Kinder auf gar nicht trockene Weise eine Einführung geben in Deutsche Geschichte oder Weltgeschichte sowie über die der deutschen Literatur. Der Fernsehjournalist Claus Kleber stellt in Nachrichten, die Geschichte machten – Von der Antike bis heute die Ereignisse der Historie als dpa-Meldungen vor und macht sie Jugendlichen deshalb auf eine Weise erlebbar, die ihnen in der heutigen Medienwelt vertraut ist (LUCHS 233).
Zum wohl relevantesten Bereich des Sachbuchs für Kinder und Jugendliche, dem Schulbuch, siehe hier.

"Geschlechtsbezogene" Bücher
Immer noch gibt es verschiedene Buchreihen, die sich ganz speziell an Mädchen wenden. Pferdebücher etwa sind sehr beliebt bei Mädchen im frühen Teenager-Alter. In diesen Büchern geht es hauptsächlich um Mädchenfreundschaften. Dagegen existiert keine Literatur speziell für Jungen. Die erfolgreiche Reihe „Die wilden Fussballkerle“ wird auch von Mädchen gelesen.
Generell ist in Untersuchungen zum Leseverhalten von Kindern und Jugendlichen festgestellt worden, dass Mädchen durchaus bereit sind Bücher zu lesen, in denen Jungen die Hauptpersonen sind, während Jungen sich hingegen schwer damit tun, Geschichten zu lesen, deren Heldin ein Mädchen ist.

„Altersfreigaben“
Im Gegensatz bei den verpflichtenden Altersfreigaben bei Kinder- und Jugendfilmen (FSK) gibt es im Buchbereich lediglich freiwillige Empfehlungen einiger Verlage bezüglich der geeigneten Altersgrenzen. Im unteren Altersbereich sind dies jährliche Altersstufen, später erfolgen die Abstufungen in Zwei-Jahres-Schritten. Dadurch wird eine komplexe Differenzierung ermöglicht, die gleichwohl dem Entwicklungsstand jedes einzelnen Kindes anzupassen ist. Gibt es eine Empfehlung, sollte diese auf der Seite zum Buch angegeben werden.
Bücher, die im Allgemeinen als für Zwölfjährige geeignet angesehen werden, gelten als Jugendbücher.

Übertragung in andere Medien
Eine wichtige Rolle bei der Vermarktung von Kinder-/Jugendbüchern spielen die immer zahlreicheren Buch- Verfilmungen, deren Erfolg auch die Verkaufszahlen der Vorlagen beeinflusst.
Auch in Deutschland werden Adaptionen vorgenommen. Allein im ersten Halbjahr 2006 erlebten Der Räuber Hotzenplotz, Knallhart, Rolltreppe abwärts, Herr der Diebe, Die Wilden Hühner, Die Wolke und die zweite Fortsetzung der Wilden Kerle ihre Kino- Aufführung.
Diverse Bücher lieferten zudem Vorlagen für Fernsehserien und Hörspiele.
Darüber hinaus erschienen Comic- Varianten, etwa von Der kleine Hobbit, Der Wind in den Weiden oder Herman Melvilles Moby Dick, die Will Eisner, einer der bekanntesten Autoren des Genres, vornahm.

Auszeichnungen
In Deutschland ist der Deutsche Jugendliteraturpreis der renommierteste Preis. Daneben gibt es den LUCHS, La vache qui lit, den Preis der Jury der jungen Leser, den Weilheimer Literaturpreis. Die Autorengruppe der deutschen Krimiliteratur Syndikat verleiht jährlich den Hansjörg-Martin-Preis für den besten Kinder- und Jugend-Krimi.
Vergleichbar mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ist in Amerika die Newbery Medal. Im Commonwealth wird die Carnegie Medal verliehen für Werke, die auf Englisch geschrieben wurden.
Gleich zwei Jugendliteraturpreise wurden dem Andenken der schwedischen Kinder- und Jugendbuchautorin Astrid Lindgren gewidmet: der Astrid-Lindgren-Preis für schwedische Werke sowie der international vergebene Astrid-Lindgren-Gedächtnis-Preis.
Die bedeutendste internationale Auszeichnung ist der Hans Christian Andersen Award.
Weitere Kinder- und Jugendliteraturpreise werden in der entsprechenden Kategorie erfasst (siehe dazu unten).

Literatur
• Theodor Brüggemann u. Otto Brunken (Hrsg.): Handbuch der Kinder- und Jugendliteratur von 1570 bis 1750. Stuttgart: Metzler 1991 ISBN 3-476-00611-5
• Hans-Heino Ewers: Literatur für Kinder und Jugendliche. Eine Einführung in grundlegende Aspekte des Handlungs- und Symbolsystems Kinder- und Jugendliteratur. Fink, München 2000. ISBN 3-8252-2124-5
• Carsten Gansel: Moderne Kinder- und Jugendliteratur. Ein Praxishandbuch für den Unterricht. Cornelsen, Berlin 1999. ISBN 3-589-21152-0
• Gabriele von Glasenapp, Michael Nagel: Das jüdische Jugendbuch. Von der Aufklärung bis zum Dritten Reich. J.B. Metzler, Stuttgart/Weimar 1996. ISBN 3476014134.
• „Laboratorium Vielseitigkeit“. Zur Literatur der Weimarer Republik. Festschrift für Helga Karrenbrock zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. Petra Josting u. Walter Fähnders. Bielefeld 2005 ISBN 3-89528-546-3 (enthält u.a. 13 Beiträge über die Kinder- und Jugendliteratur der Weimarer Republik).
• Winfried Kaminski: Antizipation und Erinnerung. Studien zur Kinder- und Jugendliteratur in pädagogischer Absicht. J.B. Metzler, Stuttgart/ Weimar 1992. ISBN 3476450201
• Helga Karrenbrock: Märchenkinder - Zeitgenossen. Untersuchungen zur Kinderliteratur der Weimarer Republik. J.B. Metzler, Stuttgart/ Weimar 1995. ISBN 3476450686
• Aiga Klotz: Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland 1840- 1950. Gesamtverzeichnis der Veröffentlichungen in deutscher Sprache.
Band 1: A-F 1990, ISBN 3476007022
Band 2: G-K 1992, ISBN 3476007049
Band 3: L-Q 1994, ISBN 3476007049
Band 4: R-S 1996, ISBN 3476007057
Band 5: T-Z 1997, ISBN 3476007065. Alle J.B. Metzler Verlag.
• Bettina Kümmerling-Meibauer: Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur. Ein internationales Lexikon. 3 Bände. Metzler, Stuttgart 2004. ISBN 3-476-02021-5
• Dorothee Markert: Momo, Pippi, Rote Zora... was kommt dann? Leseerziehung, weibliche Autorität und Geschlechterdemokratie. Ulrike Helmer Verlag. ISBN 3927164674
• Reiner Wild (Hrsg.): Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur. J.B. Metzler, Stuttgart/Weimar 2002. ISBN 3476019020

Jutta Richter

Jutta Richter (* 30. September 1955 in Burgsteinfurt, Westfalen) ist eine deutsche Autorin von Kinder- und Jugendliteratur.
Leben
Nach einer Jugend im Ruhrgebiet und Sauerland verbrachte sie mit 15 ein Jahr in Detroit (USA). Dort schrieb sie ihr erstes Buch, das sie noch als Schülerin veröffentlichte.
Nach einem Studium der Theologie, Germanistik und Publizistik lebt sie seit 1978 als freie Autorin auf Schloss Westerwinkel in Ascheberg-Herbern und in Lucca in der Toskana.
Jutta Richter war mit Ralf Thenior verheiratet, aus dieser Ehe ist eine Tochter namens Lena hervorgegangen.
Aktuelles
2006 erschienen im Carl Hanser Verlag Die Katze oder Wie ich die Ewigkeit verloren habe mit zweifarbigen Illustrationen von Rotraut Susanne Berner sowie Sommer und Bär. Eine Liebesgeschichte. im Sanssouci Verlag. Dieses Projekt entstand gemeinsam mit der renommierten Fotografin Nomi Baumgartl in Erinnerung an den deutschen Zeichner und Grafiker Horst Janssen.
Wie die Autorin in einem Interview ankündigte, trägt ihr nächstes Buch den Titel Manchmal spricht Adam auch mit dem Mond. Der Erscheinungstermin ist noch unklar.
Auszeichnungen
• 2000 Rattenfänger-Literaturpreis für Der Hund mit dem gelben Herzen oder die Geschichte vom Gegenteil
• 2000 LUCHS des Jahres für Der Tag, als ich lernte die Spinnen zu zähmen
• 2001 Deutscher Jugendliteraturpreis für Der Tag, als ich lernte die Spinnen zu zähmen
• 2004 LUCHS des Monats August für Hechtsommer
• 2004 LesePeter September für Hechtsommer
• 2005 Katholischer Kinder- und Jugendbuchpreis für Hechtsommer
Werke
• Popcorn und Sternenbanner. Tagebuch einer Austauschschülerin, 1975
• Die Puppenmütter, 1980
• Das Geraniengefängnis, Roman, 1980
• Die heilste Welt der Welt. Ein Jahr im Leben der Familie Feuerstein, 1984
• Gib mir einen Kuß, Frau Nuß!, 1984
• Was machen wir jetzt? Oder die seltsamen Abenteuer der gelben Kanalratte und des karierten Meerschweinchens, 1985
• Himmel, Hölle, Fegefeuer. Versuch einer Befreiung, 1985
• Das Tontilon, 1986
• Und jeden Samstag baden. Geschichten von früher., 1987
• Prinz Neumann oder Andere Kinder heißen wie ihr Vater, Roman für Kinder, 1987
• Satemin Seidenfuß. Eine Liebesgeschichte, 1988
• Annabella Klimperauge. Geschichten aus dem Kinderzimmer, 1989
• Der Sommer schmeckt wie Himbeereis. Gedichte und Reime für Große und Kleine, 1990
• Hexenwald und Zaubersocken, 1993
• Der Hund mit dem gelben Herzen oder die Geschichte vom Gegenteil, 1998
• Herr Oska und das Zirr, 1998
• Es lebte ein Kind auf den Bäumen, 1999
• In der allerlängsten Nacht, 1999
• Verlass mich nicht zur Kirschenzeit. Liebesgedichte, 2000
• Der Tag, als ich lernte die Spinnen zu zähmen, 2000
• Hinter dem Bahnhof liegt das Meer, 2001
• An einem großen stillen See, 2003
• Hechtsommer, 2004
• Die Katze oder Wie ich die Ewigkeit verloren habe, 2006
• Sommer und Bär. Eine Liebesgeschichte, 2006
• Manchmal spricht Adam auch mit dem Mond, noch offen
Literatur
• Bruno Blume: Erinnerungen an eine verlorene Kindheit. Versuch einer umfassenden Rezension. In: Bulletin Jugend und Literatur. Geesthacht, 32, H. 2, 2001, S. 21
• Christoph Meckel: Plagiat oder Lärm um nichts? Die Debatte um Jutta Richters "Hinter dem Bahnhof liegt das Meer". Eine Dokumentation. In: Bulletin Jugend und Literatur. Geesthacht, 33, H. 3, 2002. S. 7-9, 29-30.
• Juliane Schier: Jutta Richter. Kinder- und Jugendbuchautorin. Leben und Werke. Dortmund: Univ. Hausarb. 1999.
Hechtsommer
Hechtsommer ist ein Roman von Jutta Richter, den sie 2004 veröffentlichte. Im Zentrum steht das Mädchen Anna, das diesen Sommer erlebt, an dessen Ende sich das Leben von ihr und ihren Freunden, den Brüdern Daniel und Lukas, unwiderbringlich verändert hat.
Inhalt
Während der Sommer immer wärmer wird und Daniel und Lukas versuchen, den Hecht zu fangen, bekommt Anna langsam mit, das sich etwas veränderte. Gisela, die Mutter ihrer Freunde, ist an Krebs erkrankt. Keiner sagt dem Mädchen, aus deren Perspektive der Roman geschrieben ist, um welche Krankheit es sich handelt. Nur daran, dass sich die Erwachsenen, allen voran Annas Mutter, Daniel und Lukas gegenüber anders verhalten, fällt ihr auf. Auch Daniel und Lukas spüren die Veränderung, aber was können sie machen? Und wie kann Anna ihnen helfen? Eine ausführliche Rezension findet sich bei der Verleihung des LesePeter-Preises der Arbeitsgemeinschaft für Jugendliteratur und Medien, www.ajum.de, dem Link LesePeter folgen
Beschreibung
Jutta Richter verknüpft die Darstellung des sich endlos dahinziehenden, schicksalhaften Sommers mit der persönlichen Nöten der Kinder, die nicht wissen, was sie von den Erwachsenen halten sollen und dem sich abzeichnenden Schicksal scheinbar hilflos gegenüber stehen und eigene Methoden entwickeln, nicht zugrunde zu gehen.
Dabei führt diese Verbindung zu einer Leichtigkeit und Traurigkeit, die einem die Gefühlswelt der Kinder eindringlich nacherleben lässt.
Der Tag, als ich lernte die Spinnen zu zähmen
Der Tag als ich lernte die Spinnen zu zähmen ist ein Kinderbuch von Jutta Richter, das mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis sowie dem LUCHS 2000 ausgezeichnet wurde.
Handlung
Hauptperson ist ein 8- jähriges Mädchen, das als Ich- Erzählerin fungiert. Sie hat zwar drei Spielkameraden in ihrer Straße, aber sie erkennt früh, dass sie sich ihnen nicht ganz verbunden fühlt. Es gibt Dinge, die sie ihnen nicht anvertrauen kann, etwa ihre Angst vor der Kellerkatze oder vor Spinnen, nicht zuletzt aber ihr unglückliches Leben mit ihren Eltern. Ihr Vater gab beim Umzug den Hund ins Tierheim und behauptet, dieser hätte kein Heimweh. Auch duldet er keinen Widerspruch und entwickelt kein Verständnis für seine Tochter. Mit ihrer Mutter hat das Mädchen kaum mehr Glück. Das Desinteresse an den Kindern und ihren Bedürfnissen teilen die Eltern mit den anderen Erwachsenen, die über alle herziehen, die nicht den gewöhnlichen Normen entsprachen und mehr Aufmerksamkeit erfordern.
Das gilt insbesondere für Rainer, der aus einer problematischen Familiensituation stammt und seinen eigenen Kopf hat. Er verjagt aber auch die Kellerkatze, zeigt dem Mädchen, wie man Spinnen fangen kann und geht mit ihr auf die Suche nach der Rattenmutter. Die beiden Kinder entwickeln eine Nähe, wie es das Mädchen zuvor nicht kannte. Diese Freundschaft wird freilich von ihren anderen Freunden und den Erwachsenen misstrauisch beäugt und schließlich verboten. Rainer, schon immer Außenseiter, hatte nach einer Provokation eines der anderen Kinder geschlagen und verletzt. Die Erzählerin muss sich zwischen ihm, ihren ersten richtigen Freund, und den anderen Kindern und den Erwachsenen entscheiden und beugt sich schließlich dem Druck. Sie verrät ihre Freundschaft zu Rainer.
Bemerkungen
Die Geschichte kreist um das große Thema Freundschaft und wie schwer es sein kann, zu ihr zu stehen. Auch erkennt die Erzählerin das heuchlerische Verhalten der Mitmenschen, die nicht in ihrer Ruhe gestört werden wollen und ist noch nicht fähig, ihre Überzeugung zu offenbaren. Sie sieht aber die Fehler bei ihnen und spürt, dass etwas sie von den anderen trennt. Indem sie sich trotzdem anpasst, muss sie einen hohen Preis zahlen.
Das Buch handelt auch von der Notwendigkeit von Zivilcourage und dass jeder Jemanden braucht, der einen stärkt und zu solchen Taten auch ermutigt.
Insofern ist dies ein Text für Kinder ab 10 und auch ihre Eltern, die die Kinder stärken müssen, ihre eigene Individualität zu entwickeln.
Stil
Die Darstellung erfolgt aus der Ich- Perspektive des Mädchens, das den Konflikt zwischen Loyalität und Anpassung auslebt. Die Autorin verfügt über die Fähigkeit, die Gefühle und Gedanken eines Kindes glaubhaft zu transportieren, wodurch sich auch eine gewisse Poesie und Schönheit der Sprache entfaltet. Es gibt keinen falschen Pathos und keine Analysen, die nicht altersgerecht wären. Das Kind erkennt lediglich, dass sich alle falsch verhalten und ihr Herz am Ende bricht. Dadurch erscheint die Wirkung dieser tragischen Geschichte umso intensiver.

Donnerstag, 10. Mai 2007

Joachim Masannek

Joachim Masannek (* 1. September 1960 in Hamm) ist ein erfolgreicher deutscher Kinderbuchautor, der vor allem durch seine Buchreihe Die wilden Fussballkerle und deren drei Verfilmungen bekannt wurde.
Leben
Nach seinem Germanistik- und Philosophiestudium studierte Masannek an der Hochschule für Fernsehen und Film München und arbeitete als Kameramann, Ausstatter und Drehbuchautor für Film-, TV- und Studioproduktionen.
Mit seinem Bestseller Die wilden Fußballkerle schrieb er seine bis heute erfolgreichste Reihe von bisher 14 Bänden, die eine Gesamtauflage von weit über einer Million haben und in 11 Sprachen übersetzt wurden. Er selbst hat den Inhalt der Bücher mittlerweile als Regisseur mit Uwe Ochsenknecht und dessen Söhnen in den Hauptrollen in drei Filmen verarbeitet, wobei die filmische Umsetzung ursprünglich als Serie geplant war. Es gibt außerdem Comics, Kartenspiele, Computerspiele über die Buchreihe.
Joachim Masannek ist außerdem Trainer der echten „Wilde Kerle"-Mannschaft und Vater der beiden Fußballer Marlon Wessel und Leon Wessel-Masannek, die ebenfalls in den erfolgreichen Filmen mitspielen -- allerdings nicht die Rollen von Marlon und Leon, sondern die von Maxi und Markus.
Im Mittelpunkt seiner Geschichten stehen meist Jungen mit Mut, Teamgeist und Kampfeslust.
Werke
Neben seinen 14 „Wilde Kerle"-Bänden veröffentlichte Joachim Masannek noch zahlreiche andere Publikationen, die sich aber fast ausnahmslos alle auf die Wilden Kerle beziehen:
• Das Wilde Fußball-Buch. Tipps - Tricks - Training - Wilde Sprüche
• Der Teufelstopf wird zum Hexenkessel!
• Die wildesten Sprüche!
• Im Wilde-Fußballkerle-Land - Das große Filmabenteuer
• Lass uns Fußball spielen - Band 1: Jetzt geht's los!
• Meine Wilden Freunde
• Trainingsregeln, Tipps & Tricks
• Wilde Fußballkerle-Schülerkalender 2005/2006
• Wilde Kerle 2: Das Posterbuch
• Wilde Kerle 3: Das Posterbuch
• Wilde Kerle 2: Der Teufelstopf wird zum Hexenkessel! Das Filmbuch
• Wilde Kerle 3: Die Attacke der Biestigen Biester! Das Filmbuch
Filmografie
• Die Wilden Kerle – Alles ist gut, solange du wild bist! (2003)
• Die Wilden Kerle 2 (2005)
• Die Wilden Kerle 3 (2006)
• Die Wilden Kerle 4 (2007)
Die wilden Fussballkerle
Die Wilden Fussballkerle ist der Name einer Kinderbuchserie von Joachim Masannek. Sie handelt von 14 fußballverrückten Kindern, die mit ihrem Verein, den Wilden Fußballkerlen e.W. (e.W. = erobern die Welt), allerlei Abenteuer erleben. Die Bücher werden von Jan Birck illustriert.
Charaktere
Die Wilden Fussballkerle
• Leon, der Slalomdribbler, Torjäger und Blitzpasstorvorbereiter (Mittelfeld): Leon ist der Anführer der Wilden Kerle. Er schießt Tore wie einstmals Gerd Müller oder bereitet sie in atemberaubenden Überraschungsblitzpässen vor. Seine Spezialität sind Fallrückzieher und er kann selbst mit dem Ohrläppchen ein Tor schießen. Leon will nur gewinnen - dafür wirft er auch schon mal die Schwächsten aus der Mannschaft -, doch oft ist seine Loyalität zu den Wilden Kerlen größer als sein Siegerwille. Sein bester Freund ist Fabi und gemeinsam sind sie die Golden Twins. Im ersten Band fordert er den Dicken Michi heraus, sie spielen Fußball um den Bolzplatz der Wilden Kerle, den Teufelstopf. Die Wilden Kerle gewinnen und dürfen den Teufelstopf behalten.
• Fabi, der schnellste Rechtsaußen der Welt (Rechtsaußen): Fabi ist Leons bester Freund. Zusammen sind sie die Golden Twins, die Sturm - und Tormaschinerie der Wilden Kerle. Fabi ist der Wildeste unter Tausend. Er ist berühmt für sein unwiderstehliches Lächeln, mit dem er sich aus jeder Klemme heraus mogelt. Er kennt für jedes Problem eine Lösung. Im Gegenteil zu Leon interessiert sich Fabi schon für Mädchen - was Leon ziemlich eklig findet. Fabi wird im achten Band vom FC Bayern angeworben, doch als er merkt, wie wichtig ihm seine Freunde von den Wilden Fussballkerlen e.W. verlässt er die Bayern und durch ihn gewinnen die Wilden Kerle ein entscheidendes Spiel.
• Marlon, die Nummer 10, die Intuition (Mittelfeldregisseur): Marlon ist ein Jahr älter als sein Bruder Leon und für Leon ist er die Pest. Doch für die Mannschaft ist er das Herz, die Seele und die Intuition. Marlon spielt so unauffällig, als hätte er eine Tarnkappe auf, doch seine Spielübersicht ist so groß, als kreise sein Kopf wie ein Satellit über dem Feld. Und auch außerhalb des Spielfeldes gibt es niemanden, der mehr Gespür für die Probleme seiner Freunde besitzt. Doch als Marlon in Band 10 sich das Bein bricht, scheint für ihn seine Fußballkarriere beendet. Nicht einmal mit seinem besten Freund Rocce will er noch zu tun haben. Durch einen Trick bringen ihn schließlich die Wilden Kerle zum Teamarzt der Bayern, wo er seine Intuition wiederbekommt. In diesem Band verlieben sich Vanessa und Marlon ineinander, die das allerdings beide nicht wirklich zugeben.
• Raban, der Held (Ersatztorjäger): Raban spielt Fußball wie ein Blinder, der Fotograf werden will. Er besitzt noch nicht einmal einen falschen Fuß. Denn wer einen falschen Fuß hat, der muss auch einen richtigen haben. Die besten Schüsse gelingen ihm in der Halle: Über 5 Banden durch Zufall ins Tor. Raban trägt eine Coca-Cola-Glas-Brille und ist ohne so gut wie blind. Er hat knallrote Locken, die ihm allerdings sehr oft von seinen 3 Cousinen, den rosa Monstern, verunstaltet werden. Allerdings ist er einer der wichtigsten Kerle des Teams, denn seine Freundschaft und Loyalität kann keiner übertreffen. In Band 6 befragt er das große Fußballorakel, ob er einmal Profi wird. Er soll aber kein Profi werden, stattdessen wird er Manager der Wilden Kerle.
• Felix, der Wirbelwind (Linksaußen): Felix ist der perfekte Linksaußen, denn er spielt seine Gegner schwindelig. Doch wenn Felix Asthma hat, dann ist er nichts. Das glaubt er zumindest, bis er im Spiel gegen den FC Bayern München seine Angst und seine Krankheit besiegt, die Wilden Fussballkerle mit Trikots, Logo, Satzung und echten Spielerverträgen in eine richtige Mannschaft verwandelt und dadurch selbst die Achtung von Giacomo Ribaldo, dem brasilianischen Fußballstar der Bayern, gewinnt (Band 2).
• Rocce, der Zauberer (offensives Mittelfeld): Rocce ist absolut cool. Er zaubert den Ball dorthin, wo er ihn haben will. Er ist der Sohn des brasilianischen Fußballstars der Bayern, Giacomo Ribaldo, doch obwohl er genauso gut spielt wie sein Vater, will er selbst nur in einem einzigen Team spielen: bei den Wilden Fussballkerlen e.W. Er ist Marlons bester Freund und gab sich selbst die Schuld an Marlons Beinbruch. Rocce ist so abergläubisch, dass er kracht; er versteckt in jedem Fußballschuh diverse Talismane. In Band 12 verliebt er sich in Annika, die daraufhin bei den Wilden Kerlen aufgenommen wird.
• Jojo, der mit der Sonne tanzt (Linksaußen): Jojo kommt aus dem Waisenhaus, weil seine Mutter keine Arbeit hat und zuviel trinkt. Er besaß noch nicht einmal richtige Fußballschuhe und kickte in geflickten Sandalen, bis er in Band 11 richtige Schuhe geschenkt bekommt und außerdem noch lernt, dass materieller Besitz Freundschaft einfach nicht toppen kann.
• Markus, der Unbezwingbare (Torwart): Markus ist das Gegenteil von Jojo. Er wohnt in einem riesigen Haus mit Diener und Geld. Obwohl er im Tor ein Naturtalent ist, will sein Vater aus ihm einen Golfprofi machen, deswegen schleicht sich Markus heimlich zum Training. In Band 13 werden Markus und die Wilden Kerle von Biestigen Biestern herausgefordert und so machen sich die Kerle auf den Weg nach Hamm (600 km entfernt von ihrer Heimatstadt München) und fahren innerhalb von wenigen Tagen mit dem Fahrrad durch halb Deutschland. Beim entscheidenden Duell zwischen Markus und dem Torwart der Biestigen Biester gibt es ein Unentschieden, woraufhin die Wilden Kerle immer noch die Wildeste Mannschaft der Welt ist.
• Juli "Huckleberry" Fort Knox, die Viererkette in einer Person (Verteidigung, letzter Mann): Juli ist so gut in der Abwehr, dass seine Gegner glauben, dass er sich wirklich vervierfachen kann. Ansonsten lebt er geheimnisvoll wie Huckleberry Finn und hat das dreistöckige Baumhaus der Wilden Kerle gebaut. Camelot ist die Vereinszentrale und die vor Geheimwaffen strotzende Wilde Kerle- Burg, bis sie von Gonzo Gonzales, dem blassen Vampir, der Anführer der Flammenmützen in Band 9 zerstört, und sie später, als Camelot 2 wie der Phönix aus der Asche aus den Trümmern des alten Baumhauses wieder entsteht. In Band 4 wird Juli vom Dicken Michi erpresst, aber mit Hilfe seiner Freunde entkommt er ihm und findet seinen Vater, den er seit Jahren nicht mehr gesehen hat.
• Joschka, die siebte Kavallerie (Verteidigung, allerletzter Mann): Joschka ist Julis viel jüngerer Bruder, der kleinste der Wilden Kerle. An seinem 7. Geburtstag (Band 9) nimmt er es als einziger Wilder Kerl mit Gonzo Gonzales auf und besiegt ihn und erobert den Teufelstopf von den Flammenmützen zurück. Seither ist Joschka auch auf dem Fußballfeld die 7. Kavallerie und rettet, wenn Markus geschlagen ist, oft in allerletzter Sekunde direkt auf der Linie.
• Vanessa, die Unerschrockene (Mittelfeld): Vanessa ist das wildeste Mädchen diesseits des Finsterwalds. Sie trägt selbst in der Schule Fußballklamotten und will die erste Frau der Männernationalmannschaft sein. Nach ihrem Umzug von Hamburg nach München (Band 3) hat sie sich nicht nur ihren Platz bei den Wilden Fussballkerlen erkämpft, sondern ist auch zusammen mit Leon und Fabi zu ihren Anführern geworden. Und aus diesem Grund muss, solange es die Wilden Kerle gibt, muss die Männernationalmannschaft noch auf sie warten.
• Maxi "Tippkick" Maximilian, der Mann mit dem härtesten Schuss auf der Welt (Defensives Mittelfeld):Maxi redet nicht. Selbst in der Schule oder am Telefon sagt er kein Wort. Er ist ein Mann der Tat und er besitzt den härtesten Bums auf der Welt: den Trippel:M.S., den Mega-Mörser-Monster-Schuss. Für Maxi ist Fußball alles, doch wenn es um seine Freunde geht, dann opfert Maxi nicht nur seine Freiheit und nimmt wochenlangen Hausarrest und absolutes Fußballverbot in Kauf, sondern dann bricht er sogar sein Schweigen.
• Deniz, die Lokomotive (Stürmer, und zwar überall): Deniz ist Türke und für die Wilden Fussballkerle fährt er jeden Tag durch die ganze Stadt. Denn bei ihnen hat er gelernt, dass er eine Brille braucht (Band 5), dass er nicht auf sich allein gestellt ist und dass Freunde viel wichtiger sind als der persönliche Triumph. So wild Deniz auch aussieht - er hat einen Irokesenschnitt - ist er doch der friedliebendste der Wilden Kerle. Er hasst jede Form von Waffen oder Gewalt - außer natürlich den Zweikampf auf dem Fußballplatz.
• Annika, die Drachenreiterin: Annika wollte eigentlich kein Wilder Kerl sein. Rocce musste alles geben, um sie zu überzeugen, zu den Wilden Kerlen zu kommen (Band 12). Außer dass Annika das erste Mädchen ist, das gleichzeitig die Hexengrätsche mit drei Fußbällen beherrscht, Ballett tanzt, Thai boxt und ein doppelt bereiftes Mountainbike mit einem zweifachen Turboblaster-Schwungradantrieb fährt, wissen die Wilden Kerle eigentlich gar nichts von ihr. Allerdings kennen sie noch Annikas Schwäche für Rocce, dass Annikas Eltern Angst vorm Fliegen haben und dass Annika eine Sache auf keinen Fall kann: nämlich fluchen.
• Wilson, der größte und gefährlichste der Wilden Kerle (Mittelfeld): Er ist der ältere Bruder von Marlon und Leon und veschwand eines Tages, denn er wollte nichts mehr mit den Wilden Kerlen zu tun haben. Als Verräter gründete er seine eigene Mannschaft, die „Wölfe der Ragnaröcke“, und hatte nur einen Wunsch, seinen Erzfeind Jan zu besiegen. Als er jedoch verlor, musste er schwören ein wilder Kerl zu sein, doch zum entscheidenden Spiel gegen die „Wölfe der Ragnaröke“ tauchte er nicht auf. Nach dieser 9:10-Niederlage dachten alle, die Wilden Kerle würden auseinander gehen, weil nur noch gestritten wurde. Doch dann erscheint Wilson und schwört sie wieder aufeinander ein.
• Willi, der Beste Trainer der Welt (Trainer): Willi lebt im Wohnwagen hinter dem Bolzplatzkiosk. Er wollte selbst einmal Fußballprofi werden, doch dann hat ihm der Vater vom Dicken Michi das Knie ruiniert. Jetzt trainiert er die Wilden Fussballkerle. Er ist der beste und außergewöhnlichste Trainer der Welt und deshalb hat er für die Wilden Kerle den Bolzplatz zum Teufelstopf umgebaut: Zum Hexenkessel aller Hexenkessel, dem Stadion der Wilden Fussballkerle e.W., mit waschechter Baustrahler-Flutlichtanlage. Allerdings hat Willi ein Alkoholproblem und wenn er zuviel getrunken hat, schizophren.
Willis Gang, die Fantastischen Vier
• Hadschi ben Hadschi ben Hadschi ben Hadschi wird auch das "Geheimerfinder-Phantom" genannt. Lange Zeit war er den Wilden Kerlen nur als Obsthändler bekannt. Doch dann offenbarte er sein Geheimnis: Unter dem Obststand befindet sich der Eingang zu Hadschis Geheimerfinder-Werkstatt, in der er all die fantastischen Dinge gebaut hat, die die Wilden Kerle besitzen, z.B. die Baustrahler-Flutlichtanlage.
• Edgar, der Pinguin, ist der Butler von Markus' Eltern, doch er hat den Wilden Kerlen schon immer geholfen. Edgar kocht fantastisch und wenn er dabei seine Rüschenschürze trägt, sieht er aus wie Mary Poppins mit Glatze.
• Billi, der Flugzeugpropeller-Ringelsocken-Klapperschlangen-Mann lebte mit anderen Obdachlosen unter der Brücke am Fluss, die die Wilden Kerle das Höllentor nennen. Doch Billi ist überhaupt nicht gefährlich. Er arbeitet jetzt in einem Biergarten und ist nun der neue Freund von Jojos Mutter. Er schenkte Jojo niegelnagelneue Fußballschuhe und ist für ihn wie ein Vater geworden.
Gegenspieler der Wilden Kerle
• "Gonzo" Gonzales, der blasse Vampir ist der Anführer der Flammenmützen, der Skatergang aus dem Internat "Nebelburg". Wilson wollte die Wilden Kerle vernichten und galt als unbesiegbar, bis die Wilden Kerle sein Geheimnis entdeckten: das Geheimnis der Hexe Staraja Riba, an deren Kraft Wilson glaubte. Doch Joschka, der kleinste der Kerle, nutzte diese Schwäche aus und besiegte den coolen Skater. Seitdem ist Gonzo den Wilden Kerlen verpflichtet. Doch das gilt natürlich nur solange, wie sie die wildeste Fußballmannschaft bleiben, die es auf der ganzen Welt gibt.
• Der Dicke Michi war, bis Wilson auftauchte, der Darth Vader im Wilde-Kerle-Land, und auch jetzt noch ist er Anführer der Unbesiegbaren Sieger: Der Anführer von Sense, Krake, Mähdrescher, Dampfwalze, Fettauge und dem mächtigen Kong. Der Dicke Michi regiert noch immer in den Graffiti-Burgen, den drei Mietskasernen jenseits des Finsterwalds. Nur durch den Sieg der Wilden Kerle wurde er zu ihrem Freund. Doch er wartet darauf, sich an den Kerlen zu rächen.
• Der fette Vetter ist der Cousin vom Dicken Michi, der viel fetter und älter als der dicke Michi ist. Er ist auch doppelt so gemein und hinterhältig. Er haust in den Schwarzen Hügeln als waschechter Räuberhauptmann.
• Die Biestigen Biester ist eine Mädchenfußballmannschaft aus Hamm, die die Wilden Fussballkerle herausfordert und ihnen den Titel "Wildeste Mannschaft der Welt" streitig macht. Doch das Endergebnis ihres Spiels ist ein 1:1 und aus diesem Grund bleiben die Wilden Kerle die "Wildeste Fußballmannschaft der Welt".
Bücher
• Band 1: Leon, der Slalomdribbler
• Band 2: Felix, der Wirbelwind
• Band 3: Vanessa, die Unerschrockene
• Band 4: Juli, die Viererkette
• Band 5: Deniz, die Lokomotive
• Band 6: Raban, der Held
• Band 7: Maxi "Tippkick" Maximilian
• Band 8: Fabi, der schnellste Rechtsaußen der Welt
• Band 9: Joschka, die siebte Kavallerie
• Band 10: Marlon, die Nummer 10
• Band 11: Jojo, der mit der Sonne tanzt
• Band 12: Rocce, der Zauberer
• Band 13: Markus, der Unbezwingbare
• Band 14: Der Dicke Michi (angekündigt noch nicht erhältlich)
• Band 15: Janeck "Jan" Jason, der Torschützenkönig
• Band 16: Wilson, der größte und gefährlichste der Wilden Kerle
• Band 17: Nerv, der größte Fan der Wilden Kerle
Verfilmungen
2003 verfilmte Joachim Masannek seine Buchreihe gleich selbst und führte bei Die wilden Kerle – Alles ist gut, solange du wild bist! die Regie. 2005 und 2006 folgten die jeweiligen Fortsetzungen. 2007 soll der 4. Film erscheinen. Da anscheinend die Bücher nicht genügend Action beinhalten, wurden die Drehbücher vor allem bei den letzteren beiden Teilen umgeändert und haben nur noch wenig mit der Buchreihe zu tun. Ebenso verschwinden hier hin und wieder Mitglieder der Wilden Kerle bzw. tauchen wieder auf.
• Die wilden Kerle – Alles ist gut, solange du wild bist! (2003)
• Die wilden Kerle 2 (2005)
• Die wilden Kerle 3 (2006)
• Die wilden Kerle 4 (2007)
• Die wilden Kerle 5 (geplant für 2008)

Heinrich Hoffmann

Heinrich Hoffmann
Heinrich Hoffmann (* 13. Juni 1809 in Frankfurt am Main; † 20. September 1894 in Frankfurt am Main; Pseudonyme Reimerich Kinderlieb, Peter Struwwel) war ein Psychiater und ist der Verfasser des Struwwelpeters.
Leben
Hoffmann studierte Medizin in Heidelberg, wo er sich dem Corps Alemannia anschloss. Ab 1851 war er Direktor der städtischen Nervenheilanstalt in Frankfurt am Main. Er gilt als erster Vertreter der Jugendpsychiatrie.


Heinrich Hoffmann: Der Struwwelpeter, 1858
Weltweit bekannt wurde er durch sein von ihm selbst mit Bildern ausgestattetes Kinderbuch Der Struwwelpeter (1844). Vermutlich 1858 erstellte Hoffmann eine neue Fassung mit veränderten Bildern; auf dieser basieren alle folgenden Ausgaben des Struwwelpeter.
Werke
Das Breviarium der Ehe. 1833
• Gedichte. 1842
• Die Mondzügler. 1843
• Lustige Geschichten und drollige Bilder für Kinder von 3–6 Jahren. 1844
• Handbüchlein für Wühler oder kurzgefasste Anleitung in wenigen Tagen ein Volksmann zu werden. 1848
• Heulerspiegel. Mitteilungen aus dem Tagebuch des Herrn Heulalius von Heulenburg. 1849
• Der wahre und ächte Hinkende Bote. (Zwei Bände), 1850 bis 1851
• König Nußknacker und der arme Reinhold. 1851
• Die Physiologie der Sinnes-Hallucinationen. 1851
• Bastian der Faulpelz. 1854
• Im Himmel und auf der Erde. Herzliches und Scherzliches aus der Kinderwelt. 1857
• Allerseelen-Büchlein, eine humoristische Friedhofsanthologie. 1858
• Beobachtungen und Erfahrungen über Seelenstörungen und Epilepsie in der Irrenanstalt zu Frankfurt, 1851–1858. 1859
• Der Badeort Salzloch. 1860
• Ein Liederbuch für Naturforscher und Ärzte. 1867
• Prinz Grünewald und Perlenfein mit ihrem lieben Eselein. 1871
• Auf heiteren Pfaden. Gesammelte Gedichte. 1873
Außerdem als Bilderbücher erschienen
• Melodien zum Struwwelpeter
• Unterm Märchenbaum
• Kaspers lustige Streiche
• Die Insel Marzipan
• Der kleine ABC-Schütz
• Jung Purzelmann
• Lachende Kinder
• Höckchen-Döckchen
Das Urmanuskript des Buches Drollige Geschichten und lustige Bilder, welches den Struwwelpeter enthält, liegt im Germanischen Nationalmuseum (8° Hs 100921, 21 x 16,8 cm).
Literatur
• „Hoffmann, Heinrich“ in Meyers Konversationslexikon, 4. Aufl. 1888, Bd. 8, S. 616
• Ursula Peters: „Drollige Geschichten und lustige Bilder“, Heinrich Hoffmanns Urmanuskript des „Struwwelpeter“, in: monats anzeiger. Museen und Ausstellungen in Nürnberg, August 2003, S. 2–3;

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